Was helfen Gefühle ohne Taten?

Ist geteiltes Leid wirklich halbes Leid? Es kommt weniger auf Mitleidsbekundungen als auf Taten an, meint Alaa Muhrez.

Fotograf*in: Rafly Alfaridzy on unsplash

Was ist der Unterschied zwischen dir und denen, die ihre Kriege nicht geführt haben? Denkst Du, dass Du der Einzige bist, der in verschiedenen inneren Kämpfen lebt, manchmal kapituliert, manchmal standhaft bleibt und manchmal kämpft?

Ich versichere dir, dass wir ausnahmslos alle genug davon haben. Unsere inneren Kämpfe unterscheiden sich je nach Ausdauer, Energie, Zeit, Ort und aktuellen Umständen!

Als ich in meinen Zwanzigern war, erinnere ich mich, dass meine Freundin weinte, weil sie nicht die richtige Kleidergröße für sich finden konnte, als wäre dieser Moment das Ende der Welt für sie! Und es war wirklich das Ende der Welt für ein Mädchen, das dachte, dieses Kleid sei das einzige, das die ganze Welt sie tragen sehen würde, Aschenputtel der damaligen Zeit und Miss Planet Emerald. Damals dachte ich, wann würde sie aufhören, weil ich das Wort „schade“ mehr als zehn Mal wiederholte und mir langweilig war.

Andererseits kämpfte vielleicht ein anderes Mädchen darum, wie es sich seine Studiengebühren sichern sollte. Die erste hat kein Recht, Mitleid mit der zweiten zu empfinden, und die zweite hat kein Recht, das erste Kleid zu verachten.

Unsere Rolle im Leben

Ich glaube, dass unsere Rolle im Leben des anderen darin besteht, zu helfen, nicht in Gefühlen und Urteilen. Was mache ich mit deinen Gefühlen, wenn du mir nicht hilfst, ein Problem zu lösen, das ich habe, oder diese Gefühle zumindest Teil der Lösung sind? Alles wird vergehen und es wird entweder eine lustige oder schmerzhafte Erinnerung bleiben, oder es bedeutet nichts. Sei also bei deinen Erinnerungen sehr vorsichtig, denn sie werden den Kampf bestimmen, der folgt.

Wenn ich lache, kannst Du es gerne mit mir teilen. Und wenn ich weine, weine nicht mit mir. Was soll ich mit deinem Weinen machen? Soll ich dir ein Taschentuch geben? Tu etwas, wenn du wirklich helfen willst!

Ich glaube auch, dass jede harte Lektion für uns ein Geschenk des Lebens und des Himmels ist, damit wir nicht am Rande des Lebens leben, damit wir das Leben in all seinen Details spüren, unsere Präsenz spüren, jeden Atemzug, jede Brise, jeden Tanz einer arroganten Krähe vor uns und jedes Schwanken eines Frühlingszweigs. So werdet ihr im Paradies der Erde in all seinen Details leben.

Entweder eine Lektion und Dankbarkeit… oder eine Lektion und die Rolle und der Zyklus des Opfers.

Dies ist unser einziger Kampf um die Wahl zwischen Himmel und Hölle, denn Feiglinge wählen ihre Umstände und tragen Dinge mit sich, die nicht dem Schicksal gehören.

Braves, wir müssen kämpfen!

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Alaa Muhrez
Alaa kommt aus Homs in Syrien. Sie lebt seit 2015 in Deutschland und lernt leidenschaftlich Deutsch. Seit 2018 ist sie als Buchhalterin bei einem Rechtsanwalt und Steuerberater tätig. Sie beschäftigt sich viel damit, wie wir verschleierte Frauen in den Arbeitsmarkt integrieren können. Außerdem hat sie eine Ausbildung zur Kulturvermittlerin und hat eine Zeit lang in Ägypten als Mathematiklehrerin gearbeitet. Sie schreibt gerne über Gedanken, die sie von ihrem Vater übernommen hat.      

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In ihrer Freizeit engagiert sich Marah sehr stark und möchte den Menschen die arabische Kultur und Sprache näher bringen. Sie hat einen eigenen YouTube Kanal auf dem sie einen arabisch Sprachkurs für Anfänger anbietet und organisiert regelmäßig einen arabischen Stammtisch.

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Neuanfang

Neuanfang

Du gehst die Straße entlang. Schritt für Schritt. Du versuchst schneller zu laufen, aber dein Bein will nicht mitmachen. Du siehst die Bäume an der Straße. Eine Sekunde schaust du ohne zu blinzeln, du hörst zu. Nach einiger Zeit erreichst du ein großes Gebäude, dessen Fenster so hell erleuchtet sind, dass die Straße gegenüber in der Nacht strahlt. Du drehst dich um und entdeckst dein eigenes Blut auf dem Weg, den du gekommen bist. Dein Blick folgt der Spur bis zu deiner Hose, die wegen deines Blutes kaum mehr als eine grüne Uniform erkennbar ist. Dann schaust du auf das Gebäude und siehst die Krankenwagen, die davor geparkt sind. Du holst deinen Geldbeutel aus deiner Hosentasche. Ein vergilbtes Foto: eine Frau mit einem Kind in den Armen. Du steckst den Geldbeutel wieder ein und gehst weiter geradeaus, bis die Straße wieder ganz dunkel wird. Du erinnerst dich an damals. Jetzt kannst du schneller laufen. Du erinnerst dich an die Grenzen, daran, dass du dasselbe Foto in deinem Unterhemd versteckt hattest. Jedes Mal nach den Bombenangriffen hast du deinen Herzschlag gespürt. Hast das Papier auf deiner Haut gefühlt, wie es die Muskeln deiner Brust bewegt haben. Dann konntest du wieder atmen und dein Herz beruhigen. Du gehst weiter und schaust nach vorne. In der Dunkelheit erkennst du einen etwas älteren Mann mit einer grünen Uniform. Du freust dich. Er sagt: „Schöner Wollmantel!“ „Danke.“ „Hält der warm?“ „Ja.“ „Das letzte Mal hab‘ ich so‘ nen Mantel vor dreiundzwanzig Jahren gesehen. Im Urlaub. In den Bergen.“ „Schade, dass die Produktion bei uns nicht mehr läuft.“ „Bei Euch? In den Bergen?“ „Ich meinte am Meer.“ „Ach so! Dafür haben wir goldene Fischschuppenmäntel. Siehste nicht?“ „Doch. Steht Ihnen.“ „Bin zwar alt, aber immer noch Fischer! Wie mein Vater. Weißt du?“ „Interessant.“ „Der Fisch hat dein

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Subsidiärer Schutz, aber keine Rechte

Ich hatte ein Problem mit dem Jobcenter und mein Vertrag wurde gekündigt. Ich musste schnell Arbeit finden und bekam einen  Job im Café Schmidt in Altona. Dort arbeite ich nun am Wochenende. Jetzt lerne ich Deutsch und am 31. August habe ich meine Prüfung. In Syrien musste ich zur Armee gehen und mit Waffen hantieren, aber irgendwie konnte ich das nicht machen. Ich lebte dort mit Kaninchen und Vögeln und habe von diesen Tieren gelernt, dass wir nur mit Liebe miteinander leben können. Ich habe in Syrien eine Ausbildung zum Veterinär gemacht, hier in Deutschland würde ich gerne eine Ausbildung zum Krankenpfleger absolvieren. Dazu müsste ich ab September ein Praktikum in einem Krankenhaus antreten. Ich bin auf der Suche, habe aber leider noch nichts gefunden. Mein Bruder wohnt in Bad Segeberg in Schleswig-Holstein. Er ist 17 Jahre alt, aber er kann nicht zu mir nach Hamburg ziehen, weil ich keine Wohnung habe. Ich wohne im Asylheim und darf auch nicht nach Bad Segeberg ziehen, da ich subsidiären Schutz bekomme. Wenn man subsidiären Schutz bekommt, hat man keine Rechte. Die Regierung darf uns unsere Rechte nehmen. Aber ich möchte mich in jedem Fall bei allen Deutschen für das tolle und schöne „Willkommen“, das sie uns Geflüchteten entgegenbringen, bedanken. Mein Deutsch ist nicht so gut. Ich kann ein wenig verstehen, aber nicht so gut sprechen, weil ich wenig Kontakt zu Deutschen habe. Ich suche Freunde, aber mein Deutsch ist nicht gut genug für eine Freundschaft. Aber trotzdem habe ich Hoffnung, dass ich in der Zukunft Freunde finden werde.

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Wo ist meine Kindheit und meine Teenagerzeit geblieben?

Vielleicht ist Warten unser Krieg Ich war 15 Jahre alt und ging zur Schule, als der Krieg anfing. In dieser Zeit hörte mein Leben, so wie es kannte, auf. In der Schule war ich Handballspieler. Doch im Krieg, kann man nichts machen – nur auf seinen Tod warten oder um sein Überleben kämpfen. Vielleicht ist Warten unser persönlicher Krieg und auch im Krieg selbst muss man warten. Ich zog in den Libanon um. Dort musste ich arbeiten, um leben zu können. Ich war ein Junge und alles, was mir blieb war Arbeiten, dem Heute danken. Meine Träume musste ich vergessen, meine Zukunft war mein Brot. Ein halbes Jahr blieb ich im Libanon und fühlte mich wie eine Maschine: Arbeit, Essen, Schlafen. An etwas anderes durfte ich nicht denken und auch nicht erleben, weil ich ein Flüchtling war. Weil in meinem Land Krieg war. Weil ich ein Junge war. Sport eint Menschen und hilft bei der Integration Als ich hier das erste Mal in einem Aufnahmelager unterkam, suchte ich einen Sportverein, um etwas in meinem Leben zu machen. So fand ich die 4. Herren SG Altona. Wir trainierten ab September 2016 zusammen, erreichten in der Kreisklassen-Liga den zweiten Platz und inzwischen spielen wir in der 1. Gruppe der Kreisliga. Ich spiele sehr gerne mit meinen Freunden und möchte, dass wir gemeinsame Erfolge erreichen, um in der ersten Liga spielen zu können. Durch den Sport ist es sehr einfach, sich zu integrieren. Ich habe ganz viele Freunde gefunden und mit ihnen Deutsch gelernt. Auch besuchte ich den Deutschkurs, kann nun gut Deutsch sprechen und Dank meiner Freunde lernte ich die deutsche Kultur kennen. Mit Freunden kann man Integration schaffen. Erste Schritte zu einem selbstbestimmten Leben Erst nach einem Jahr des Wartens erhielt ich subsidiären Schutz. Doch das ist egal für mich, weil

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Alaa Muhrez
Alaa kommt aus Homs in Syrien. Sie lebt seit 2015 in Deutschland und lernt leidenschaftlich Deutsch. Seit 2018 ist sie als Buchhalterin bei einem Rechtsanwalt und Steuerberater tätig. Sie beschäftigt sich viel damit, wie wir verschleierte Frauen in den Arbeitsmarkt integrieren können. Außerdem hat sie eine Ausbildung zur Kulturvermittlerin und hat eine Zeit lang in Ägypten als Mathematiklehrerin gearbeitet. Sie schreibt gerne über Gedanken, die sie von ihrem Vater übernommen hat.      

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