„Übersetzung ist eine Brücke für Lesende“

Ohne Übersetzungen würde uns ein Großteil der Literatur (und anderen Medien) verwehrt bleiben. Nour Talal Nasra ist eine syrische Autorin, Dichterin und Übersetzerin. Im Interview spricht sie über ihre Arbeit, Poesie und die Übertragung von Kreativität in andere Sprachen.

Nour Talal Nasrah
Fotograf*in: privat

Übersetzung ist der Übergang zwischen zwei Welten, zwischen der Geschichte und ihren Folgen, zwischen dem Unbestimmten und dem, was geklärt werden soll, und zwischen der Stille und all den Minenfeldern der Rede drumherum. Es bedeutet, „seine Fußstapfen sehr sorgfältig zu wählen, damit keine Mine explodiert, der falsche Stoß, die irreführende Übersetzung, wir würden in Gebieten leben, die von Stille umgeben sind.“ (George Steiner, amerikanischer Philosoph, Denker und Literaturkritiker)

Nour Talal Nasrah, geboren 1987, ist eine syrische Autorin, Dichterin und Übersetzerin. Sie hat einen Bachelorabschluss in Übersetzung an der Tishreen University (Fakultät für Kunst und Geisteswissenschaften, Department of Translation) gemacht und ist Mitglied der Syrischen Journalistenvereinigung. Sie hat in zahlreichen syrischen und arabischen Zeitungen und Zeitschriften veröffentlicht. Nour Nasra gewann den ersten Platz beim ersten poetischen Wortwettbewerb des New Delmon House in Damaskus im Jahr 2017 für ihre Gedichtsammlung mit dem Titel „Soundproof Walls“. Derzeit arbeitet Nour an der Übersetzung des Romans „Das Haus des Professors“ von Willa Cather, der bei Dar Al-Ahlia erscheinen wird.

 

Was kommt zuerst, Übersetzung oder Poesie?

Die Übersetzung brachte mich aus der Poesie und es scheint, dass sie mich so schnell nicht zurückbringen wird. Ich kann sie nicht trennen, denn meine Leidenschaft für das Schreiben von Poesie ist nichts Geringeres als meine Leidenschaft für das Übersetzen, die tiefer in meinen Alltag eingedrungen ist und in dem großen Wunsch resultiert, weiterhin sorgfältige Schritte in diese Richtung zu gehen.

 

Welche Qualifikationen haben gute Übersetzer*innen?

Sie müssen die Originalsprache, aus der man übersetzt, und die Muttersprache, in die man übersetzt, beherrschen. Und das zusätzlich zum Besitz der kreativen Werkzeuge und Geduld.

 

Welche Funktion hat die Übersetzung?

Die Übersetzung ist der Spiegel der Literatur und der Künste und eine Brücke für die Lesenden, um sie in neue Kulturen und andere Welten zu tragen.

 

Nach welchen Kriterien wählen Sie ein zu übersetzendes Buch aus?

Die Geschichte des Werkes zieht mich zuerst an und dann die Sprache. Alle von mir übersetzten Bücher wurden von den Verlagen ausgewählt und ich habe bisher keinen Vorschlag abgelehnt. Was mich jedoch dazu bringt, ein bestimmtes Buch abzulehnen, ist der Mangel an Zeit, um es frei zu übersetzen. Das gilt insbesondere bei neu veröffentlichten Büchern.

 

Für eine wahrheitsgetreue Übersetzung erfordert dies eine Kommunikation zwischen Autor*in und Übersetzer*in.

Dies kann passieren, wenn beide Seiten des Unternehmens Bereitschaft zur Zusammenarbeit zeigen, es keine etablierten Gewohnheiten oder ein klares Protokoll gibt, nach dem die Dinge funktionieren. Ich denke, dass dies, außer in bestimmten Fällen, nicht erforderlich ist. Es gibt zum Beispiel klassische Werke, die nach dem Tod ihrer Besitzer übersetzt wurden, und es sind wunderbare Werke.

 

Inwieweit greifen Sie in den übersetzten Text ein?

Ich greife in angemessenem Umfang ein, der die wahre Bedeutung nicht verdirbt oder verzerrt und nicht von der Bedeutung abweicht, die ein*e Autor*in anstrebt.

 

Bearbeiten Sie Ihre eigenen Texte?

Die meisten Übersetzungen habe ich selbst redigiert und man kann sagen, dass die kreative Übersetzung selbst keine Bearbeitung braucht. Ich nutze manchmal einen Korrekturleser, wenn ich einen Fehler in einem bestimmten Satz vermute.

 

Da Sie kreatives Schreiben erwähnt haben, befassen Sie sich mit Übersetzung als Beruf oder als kreative Arbeit?

Literarisches Übersetzen ist notwendigerweise eine kreative Arbeit. Ich habe versucht, mich stundenlang zu trainieren, um das Übersetzen zu einem Beruf und einer täglichen Routine zu machen. Die befreit mich von der Stimmung der Schriftsteller*innen, die mich die meiste Zeit kontrolliert. Das ist mir einigermaßen gelungen , aber ich konnte den von mir übersetzten Text nicht unparteiisch oder objektiv bearbeiten. Es entsteht eine Beziehung zwischen uns, die mich neu in seine Formulierung eintauchen lässt.

 

Es wird gesagt, dass Poesie eines der am schwierigsten zu übersetzenden literarischen Genres ist. Haben Sie als Dichter jemals Poesie übersetzt?

Ja, ich habe mit Poesie angefangen. Ich habe Gedichte der Dichterin Sylvia Plath übersetzt, bevor ich angefangen habe, Romane zu übersetzen. Als Dichterin hatte ich keine Schwierigkeiten, Gedichte zu übersetzen, ganz im Gegenteil.

 

Sie sagen also, dass Poesie nur von Poet*innen übersetzt werden sollte. Erklärt dies die manchmal schlechte Qualität von übersetzter Poesie?

Manchmal ja. Aber lassen Sie mich sagen, dass die schlechte Qualität der übersetzten Gedichte oft durch den Originaltext selbst verursacht wird. Ich sage dies aufgrund meiner persönlichen Erfahrung, da viele der Gedichte nach der Übersetzung nicht veröffentlicht wurden, weil die Standards der arabischen Poesie und der Geschmack der arabischen Lesenden sich von anderen Kulturen unterscheiden.

 

Der Verlag kontrolliert den Übersetzungsmarkt, wie sehen Sie das?

Der arabische Verlag ist sich bewusst geworden, wie wichtig es ist, gute Werke auszuwählen und auf den Geschmack der Lesenden zu achten. Dies spiegelt sich in den Gewinnraten wider und machte sich in den letzten Jahren bemerkbar, nachdem arabische Verlagshäuser Rechte an den wichtigsten weltweit verbreiteten Werken erworben haben.

 

Wie sehen Sie den Anteil junger Menschen bei erfolgreichen arabischen Namen in der Übersetzung?

Die Jugendkomponente ist im Bereich der Übersetzung stark präsent und auch erfolgreich. Es gibt Namen, die ihre Präsenz und ihre Fähigkeiten bewiesen haben.

 

Haben Sie einen Plan für die Übersetzung kompletter Werke, zum Beispiel von bestimmten Schriftsteller*innen?

Ich habe vor, das (Gesamt-)Werk des britischen Schriftstellers Jodi Picoult zu übersetzen. Ich habe das Projekt jedoch noch keinem Verlag vorgelegt.

 

Einige sagen, dass eine Übersetzung die Originalbücher verzerrt. Wie reagieren Sie darauf?

Das ist wahr, Übersetzung ist nicht nur eine Übertragung von Vokabeln in eine andere Sprache, sondern ein Prozess des tiefen Verstehens des Originaltextes. Das ist überhaupt nicht einfach. Es erfordert manchmal das Lesen vieler Werke und Bücher, um sie entziffern zu können. und ist ein allumfassender Prozess des Verstehens, der Recherche und des Stils.

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Kategorie & Format
Autorengruppe
Boshra ist eine syrische Dichterin und Schriftstellerin. Sie studierte Medienwissenschaften an der Universität Damaskus und hat zwei Gedichtsammlungen veröffentlicht. Heute lebt sie in Kiel.

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