Rahime Sürücü möchte den Klimaschutz demokratischer machen. Hier erzählt sie, wie ihre Kindheit ihre Leidenschaft für Umweltschutz geprägt hat und wobei die europäische Klimaschutzpolitik bisher versagt.
„Ich glaube, das Nomadentum liegt in meinen Genen“, erklärt Rahime Sürücü gleich zu Beginn unseres Gespräches. Damit hat sie gar nicht unrecht: Rahime wächst in Ankara auf, doch jede Sommerferien verbringt sie in einem Dorf bei ihren Großeltern, die als Nomaden lebten. Rahime lebt schon seit 45 Jahren in Hamburg, doch sie gerät immer noch ins Schwärmen, wenn sie vom Dorfleben ihrer Kindheit erzählt.
Der 62jährigen gelingt es in wenigen Sätzen, ihre Sehnsucht greifbar zu machen: Sie erzählt von den Schäfern, die abends mit der Herde und den Hunden zurück ins Dorf kamen, davon, wie das Dorf die ganze Nacht lang die Kühe molk. „Meine Mutter konnte so gut Pferde reiten, wir waren wahnsinnig stolz auf sie. Ich bekomme heute noch Gänsehaut, wenn ich daran denke.“
Fragt man sie, ob das Nomadentum nicht ein hartes Leben ist, schüttelt sie lächelnd den Kopf. „Nie im Leben würde ich, heute ein Stadtmensch, sagen, dass meine Familie ein hartes Leben führt. Wenn die Nomaden weiterziehen, dann hinterlassen sie nichts. Im ganzen Dorf gab es keinen Müll, und Kleidung haben wir an unsere Nachbarn weitergegeben, wenn wir sie nicht mehr brauchten.“ Noch heute weiß Rahime, wie man aus Milch Käse und Joghurt herstellt und Töpfe und Teller mit Asche auswäscht.
Aber was macht eine Nomadin wie Rahime dann in der Großstadt Hamburg? „Ich wusste immer, die Welt ist nicht nur Ankara, wo wir leben. Ich wollte noch mehr sehen und außerdem studieren.“ Rahime kommt also mit 17 Jahren und ihrem Abitur in der Tasche ganz alleine nach Hamburg. „Und ich habe mich direkt in Hamburg verliebt.“ Sagt sie, und das ist bis heute so: nur Hamburg gebe ihr ein Gefühl von Heimat. Auch ihr Sohn und ihr Enkelkind leben in Hamburg.
„Ich habe mich direkt in Hamburg verliebt“
Ihre Liebe für die Natur setzt Rahime in Hamburg für den Umweltschutz ein. „Ich bin die Weltmeisterin in Unterschriften sammeln.“, sagt Rahime grinsend. Sie sammelte zum Beispiel Unterschriften für den Erhalt des wilden Waldes, ein zehn Hektar großes Waldgebiet in Wilhelmsburg, das nach den Zerstörungen durch die Sturmflut 1962 wuchs. Die Stadt Hamburg plant, dieses Biotop für den Bau von Wohn- und Gewerbeflächen zu roden.
„Ich verstehe das nicht.“, sagt Rahime kopfschüttelnd. „Aber das Problem ist, dass kaum jemand von der geplanten Rodung weiß.“ Noch dazu ist Wilhelmsburg ein sehr migrantischer Stadtteil. Viele der Bewohner*innen können nicht unterschreiben – denn ohne deutsche Staatsbürgerschaft zählt ihre Stimme nicht. „Als Bürger*innen zählen sie nur, wenn sie Steuern zahlen und wenn sie falsch parken – das ist doch keine Demokratie!“ Für den wilden Wald hat es bisher nicht gereicht: Das Bürgerbegehren hat im Bürgerbegehren 2021 nicht genug Unterschriften erhalten, der Wald ist also noch nicht gerettet.
„Menschen sollen sich auf der ganzen Welt für Klimaschutz entscheiden können“
Doch Rahime lässt sich davon nicht entmutigen – im Gegenteil, Rückschläge motivieren sie, noch mehr Menschen für den Klima-Aktivismus zu gewinnen. Doch dabei gibt es einige Hindernisse. Zum Beispiel werden Sprachbarrieren von vielen Klima-Initiativen nicht mitgedacht. Also hat Rahime einfach kurzerhand selbst eine Initiative gegründet. In Rahimes Bürgerinitiative sind mehrheitlich migrantische Menschen, die Flyer und die Webseite auf mehreren Sprachen: „Deutsch, Türkisch, Englisch, Kurdisch, Swahili und Tamil. Wir sind aber offen für jeden!“ erklärt Rahime stolz, dann schlägt sie sich vor die Stirn. „Entschuldigung, ich habe unseren Tee ganz vergessen – wenn ich über das Klima spreche, vergesse ich alles!“
Politisches Engagement und Klima-Aktivismus sind für Rahime untrennbar. Nach dem Erdbeben in der Türkei und Syrien sammelte sie Spenden, sie betreute Kinder ukrainischer Geflüchteter und nimmt als Rednerin an Friedensdemos teil. „Viele Menschen, und gerade Migrant*innen, kennen ihre Rechte gar nicht – sie wissen nichts von Bürgerbegehren, Bürgerentscheiden oder akzeptieren einfach, dass sie kein Wahlrecht haben in dem Land, in dem sie wohnen. Wir wollen das ändern!“ Rahime fordert, dass Bürger- und Volksentscheide zukünftig nicht nur für Menschen mit EU-Wahlrecht offenstehen, sondern für Alle.
„Ich bin die Weltmeisterin in Unterschriften sammeln“
Alternativ schlägt sie eine Ausweitung des EU-Wahlrechtes vor. „Ich möchte ein Gesetz, dass es allen Menschen weltweit ermöglicht, bei Bürgerbegehren und Entscheiden abzustimmen.“ Für den Klimaschutz sei es ein Verlust, dass nur Menschen in Europa über die europäische Klimaschutzpolitik abstimmen können – und auch nur die, die ein EU-Wahlrecht besitzen. Dafür ist Rahime kein Weg zu weit: „Ich habe schon zwei Briefe mit meinen Anliegen an den Bundeskanzler geschrieben, aber wir haben bisher keine richtige Antwort bekommen. Vielleicht muss ich mal seine Telefonnummer herausfinden“, sagt sie zwinkernd.
Sucht Rahime nach Natur in Hamburg, dann geht sie gerne an die Elbe, an die Alster, oder einfach vor die Tür. In ihrem Neubauviertel hat sie begonnen, Blumen und Gemüse zu pflanzen. Das macht nicht nur das Viertel bunter, sondern bringt auch die Nachbarschaft zusammen, die gemeinsam die Beete pflegen. Rahime, die einer Nomadenfamilie entstammt, ist fest verwurzelt in ihren Überzeugungen, in ihrem Einsatz für Frieden und Klimaschutz. Und in der Stadt, in der sie seit 45 Jahren lebt: „Hamburg ist mein Herz, egal wo ich hingehe.“
Rahimes Bürgerinitiative findet sich hier.
Am 27.September zwischen 19.00-21.00 Uhr bietet sie mit ihrer Bürgerinitiative bei der AKTIKO Veranstaltung ein Workshop über „Bürgerbegehren – Bürgerentscheide Recht auf Klimaschutz“.