Meine Diaspora

Die Lyrik von Mahtab Mahboub beschreibt ihre Empfindungen über das Leben in der Diaspora.

Bäume im Nebel
Fotograf*in: Dmytro Soroka

Es öffnet sich Dir

Nicht, als würdest Du die Tür an einem Tag voller Donner öffnen, wenn Dir der Wind ins Gesicht schlägt und deinen Schal davon bläst, und doch ist die Erde unter deinen Füßen

Es ist mehr wie ein schwarzes Loch, ähnlich denen, die wir in unseren Alpträumen sehen, doch wir können nicht entkommen, so sehr wir auch brüllen

In diesem schwarzen Loch erhängen sich Kinder, weil sie kein Smartphone haben

Nicht, um damit Spaß zu haben, nein nein nein nein

sondern um in Tagen der Pandemie die Schule zu besuchen

und jetzt haben diese Engel ihren Weg ins Grab gefunden!

Wo sie Mutter und Tochter als Strafe für ihre Entscheidung einsperren,

Weil sie frei sein wollen, wie Schwalben, fliegen und nicht fliehen

Weil sie den Wind in den Haaren wollen, und dass die Sonne furchtlos scheint!

In der Abwärtsspirale höre ich Schreie einer Frau und ihrer Kinder – eines ist so jung wie das meine–

Wenn die Beamten ihre Hütte ruinieren, in Schutt und Asche legen, was sie ihr „Haus“ nennen,

Keine Bulldozer, nicht einmal Hammer, nur ein Stoß der Hand reichte aus, die Ziegel niederzureißen, und ihr Leben zerschellte

Und dann plötzlich, bin ich sicher, hoch und trocken und meinem Sohn geht es gut; und Judith Butler spricht zu uns von „The force of Nonviolence“

Den ganzen November wagte ich nicht nur, auf das Blut zu sehen, das auf den jungen Gesichtern blühte – manche so jung wie dreizehn – die mich mit Leben in ihren Augen anstarrten

Gewiss nach einem Jahr und vielen, die noch folgen werden

Ich rannte davon vor der Wärme ihrer Körper, die auf der Straße lagen, auf der Leute rannten, der Wärme, die sich aus meinem Bildschirm und noch so viel weiter ergoss

Und ihren Namen, die über meine Heimatstadt glitten

In der die Luft verschmutzt ist und so auch der Geist von allen

Und wie das Alles stoppen? Mit einem Fingerdruck!

Drück nur auf des x in der oberen Ecke!

Doch wie stoppt man den Finderdruck auf dem Abzug all dieser Waffen?

 

Das wird nicht verblassen, aber jetzt ist es eh Zeit, aufzuwachen!

Ach, Willkommen in Hanau[1]!

Willkommen im Leben in meiner Diaspora!

 

[1] Im Februar 2020 tötete ein rassistischer Amokläufer neun Menschen in zwei Shisha-Bars in der deutschen Stadt Hanau.

Bildquellen

Schlagwörter:
Mahtab ist eine iranische feministische und anti-rassistische Aktivistin und kämpft leidenschaftlich und geduldig für soziale Gerechtigkeit für alle. Sie schreibt und gibt Workshops über ihre Erfahrungen als Mutter mit Migrationshintergrund in Deutschland aus einer feministischen Perspektive. Sie hat einen Masters-Abschluss in Europäischen Studien.

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In Hamburg habe ich schwimmen gelernt

Ar-Raqqa ist eine schöne Stadt am Fluss Euphrat. Die Stadt umgibt eine historische Mauer, sie stammt aus der Zeit des Abbasiden Kalifats. Eine weitere Sehenswürdigkeit ist die wunderschöne Burg Qalʿat Dschaʿbar, sie liegt auf einer Insel in einem Stausee, der durch eine Talsperre am Euphrat entstanden ist. In Aleppo habe ich  Englisch und Literatur studiert und ein pädagogisches Diplom erworben. Ich mag klassische Literatur wie „Homer“ oder englische Klassiker von Charles Dickens. Ich lese auch gerne den Dramatiker Christopher Marlowe, insbesondere seine „The Tragicall History of Dr Faustus“. In Syrien habe ich drei Jahre als Lehrer gearbeitet. Eigentlich wollte ich noch ein Jahr studieren und einen Masterabschluss als Übersetzer machen. Aber es war nicht möglich, da der Krieg in Syrien ausbrach und es in Aleppo gefährlich wurde. Im Krieg habe ich als Übersetzer bei „Ärzte ohne Grenzen“ gearbeitet und war bei IRC (International Rescue Committee) bei „Cash for Work“ als Beobachter tätig. Letztes Wochenende war ich übrigens in Berlin bei der Mitgliederversammlung „Ärzte ohne Grenzen“. Mein Fluchtweg nach Europa lag auf dem Wasser. Wir waren ca. 50 Menschen in einem Motorboot, darunter Kinder. Ich hatte Angst, da ich nicht schwimmen konnte. Als einmal der Motor aussetzte,  dachte ich: hier muss ich sterben. Aber das Boot hielt durch. Danach ging es über Land: Griechenland, Mazedonien, Serbien, Ungarn… In Ungarn habe ich meinen Flucht-Kameraden aus der Augen verloren. Später hat er sich aus Bayern gemeldet. Am 2. Juli 2015 erreichte ich Hamburg. Ich habe dann in Hamburg schwimmen gelernt. Im August mache ich noch einen Kraultechnik-Kurs. Letzte Woche habe ich meine Unterlagen für das Anerkennungsverfahren aus Syrien bekommen. Vielleicht mache ich später ein Studium im Bereich Sprachwissenschaft und Literatur. Mein Traum ist es, ganz Deutschland zu bereisen und ein Tagebuch über diese Reise zu führen. Vielleicht wird später ein Buch daraus?

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Katja Fedulva Foto Uwe Reicherter

Wie kann ich meine Heimaten lieben?

August 1993. Die Passagiere des Flugs Il-96 Sankt Petersburg – Hamburg, werden zum Boarding gebeten. Eine junge Frau, kurze Haare, runde Brille, findet ihren Platz direkt am Fenster. Dies ist ein schicksalhafter Flug für sie. Ihre Gedanken rasen. Sie sucht die Blicke anderer Passagiere, die in die Kabine drängen. Wer beginnt gerade ein neues Leben, bewaffnet nur mit ein paar Habseligkeiten, die ins Handgepäck passen? Manchmal trifft sich ihr Blick mit dem anderer junger Passagiere. Nur für einen Augenblick. Dann schauen beide verlegen weg. Was treibt sie ins Ausland, in das wohlgeordnete Deutschland? Warum schämen sie sich? Die junge Frau dreht sich zum Kabinenfenster. Das Terminalgebäude wirkt trostlos und schäbig. Obendrüber schweben riesige, ergraute Lettern: „HELDENSTADT LENINGRAD“. „Heldenstadt“ durften sich sowjetische Städte nennen, die sich im Großen Vaterländischen Krieg mit besonderer Tapferkeit gegen den Faschismus verteidigt und gesiegt hatten. Später wird an diesem Flughafen „Leningrad“ durch „Sankt Petersburg“ ersetzt werden und die „Heldenstadt“ verschwinden. Aber jetzt scheint es der jungen Frau, als hieße „Heldenstadt“ vor allem eins: dass all die jungen Menschen, die dieses Land für immer verlassen wollen, die ihr Glück im Deutschland suchen, nicht mehr dazu gehören. Eine von ihnen bin ich, Katja Fedulova. Zu ungeduldig für lange Veränderungsprozesse 25 Jahre lang lebe und arbeite ich nun schon als Filmemacherin in Deutschland, seit ich den chaotischen Zuständen meines Heimatlandes in den 90ern Jahren entflohen bin. Jenes Land, das mitten im Umbruch war, auf der Suche nach neuen Perspektiven, voller Hoffnungen auf vielleicht Besseres. Ich war zu jung, zu ungeduldig, um an dem langen Veränderungsprozess meines Heimatlandes teilzunehmen. Ich wollte mein Leben auf der Stelle ändern. Und ging nach Deutschland. Um mich in der Fremde zurecht zu finden, wählte ich mir eine neue Identität: Ich wollte deutsch sein. Es hat eine Weile gedauert, bis ich erkannt habe, dass es

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Hope Is Still There

My name is Behishta, I’m 19 years old. I was born in Afghanistan but I grew up in Tashkent, Uzbekistan and today I want to share my story with you and tell you about my experience. My story is no different from the other girls who are living in a country called Afghanistan. The country I called my motherland, the country I loved and enjoyed the most. My story might not have the same journey as any other afghan girl out there but yet at some point we still have something in common: the pain that is unforgettable even if you try to neglect it or escape from it: it will always follow you like a shadow. I was born in Afghanistan in an open-minded family. Thanks to my parents I never felt any difference between my female siblings, I was given the same opportunities, I was treated the same or even nicer compared to them. This has never been a problem for us. But all this vanished day by day when I finally left the comfort zone of my home. I started to learn how to write, how to read or simply how to differentiate right from wrong and deal with the obstacles by myself. As soon as I entered society I felt a weakness, a disability in me which I never believed in. I grew up as an immigrant, I was very little when we moved to Tashkent, Uzbekistan, as my father was working in the embassy of Afghanistan in Tashkent. I started my studies there, made friends and spent all of my childhood there. I thought that this is my home. However, when I got older I realized that I belong somewhere else, I have my own nation and country. Life in Afghanistan In 2014 my parents

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Neues Land, neue Feste

Ich bin vor etwa 4 Jahren aus einem islamischen Land nach Europa gekommen, wo die Bevölkerung der Muslim*innen 96,47% ist. Die Zahl der Anhänger*innen des Christentums beträgt nur 1,27%. Aus diesem Grund hatte ich nicht die Gelegenheit, viel über das Weihnachtsfest zu erfahren, während ich in Pakistan lebte. Nachdem ich hierherkam, konnte ich Weihnachten und viele andere Feste sehen, die für mich sehr einzigartig waren. Nun, ihr kennt dieses Feste besser als ich, aber heute werde ich euch von meinen Erfahrungen erzählen. Wie ihr wisst, ist gerade Weihnachten! Jede Straße, jeder Weg, jedes Geschäft ist geschmückt, sogar Kinderwagen leuchten, als ob die Lichter vom Himmel herabfallen würden. Ich habe einige meiner deutschen Freund*innen und einige alte Menschen auf dem Weg gefragt, wie sie Weihnachten feiern. Sie hatten alle unterschiedliche schöne Vorstellungen für Weihnachten z.B Geschenke öffnen, den Spaß zu sehen, was alle anderen zum Weihnachten geschenkt bekommen haben. Weihnachtsessen, geniale Fernsehfilme und Serien. Den ganzen Nachmittag Schokolade essen und genießen. Scharade, Karten, Monopoly mit der Familie spielen usw. Und das Überraschendste und Interessanteste für mich war die Tradition, einen Tannen- oder Weihnachtsbaum zu pflanzen und zu Hause dekoriert hinzustellen. Der Weihnachtsbaum ist keine christliche Erfindung. Aber die ersten Christ*innen nahmen den Brauch in ihre christliche Symbolik auf. Denn wie anderes Immergrün stehen Tanne und Fichte für ewiges Leben, Ausdauer und Überleben. Es steht auch als Symbol für die verheißende Geburt Jesus Christus. Das Licht am Tannenbaum zeigt das helle Licht, was vom Himmel auf die Erde kommt. Das Schmücken des Baumes steht für die Geschenke der Heiligen Drei Könige an das neugeborene Kind Jesus. Dies alles zeigt das Ende der Fastenzeit. Der Tannenbaum ist also ein Symbol der Freude, Zuversicht, des Friedens und der Verheißung, dass es jemand gibt, der seine Hand über uns hält. Es gibt viele Geschichten, die

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Mahtab ist eine iranische feministische und anti-rassistische Aktivistin und kämpft leidenschaftlich und geduldig für soziale Gerechtigkeit für alle. Sie schreibt und gibt Workshops über ihre Erfahrungen als Mutter mit Migrationshintergrund in Deutschland aus einer feministischen Perspektive. Sie hat einen Masters-Abschluss in Europäischen Studien.

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