Mama, Papa und Kunst

Marushka lebt schon länger in Hamburg, ist Künstlerin, Autorin, Märchenerzählerin und noch so viel anderes. Als der Krieg in der Ukraine eskaliert, unterstützt sie ihre Familie und Freund*innen beim Ankommen in Deutschland. Die Kunst ist in all den Jahren ihr Halt. Über das Leben mit ihren Eltern und die lange Geschichte der Anerkennung meiner Kunst

Fotograf*in: Berry Behrendt, gemalt von Marushka

Es ist März, 2022. Adenauerallee, Hamburger ZOB.

„Marushka wir gehen endlich feiern“, ruft mir Gustav zu. „Meine Mama kommt“, antworte ich. „Dann nimm die mit!“ „Na ja, sie kommt zusammen mit den Frauen und Kinder aus der Ukraine. Vielleicht hilfst du mir?“ Und es war so. Gustav und seine Freunde haben mich und die Neuangekommenen mit drei Autos vom ZOB zur Rudolf-Steiner-Schule Hamburg-Bergstedt gebracht. Dann war alles wie im Traum. Nur ohne Emotionen.
In den ersten Kriegswochen, genau vor einem Jahr, haben wir es mithilfe aller Beteiligten geschafft, viele Schüler*innen mit ihren Müttern nach Hamburg zu evakuieren. Meine Mama Valentina und meine Nichten Sofia und Polina waren dabei. Nach den Sommerferien entschlossen sich viele Familien, zurück in die Ukraine zu kehren. Die Geschichte Waldorfschule in Lutsk geht weiter. Momentan meistens im Keller. Im August „besuchte“ uns mein Papa Semen und meine Eltern leben wie mehr als 30.000 Ukrainer*innen in Hamburg. Als „Besucher*innen“ bekommen meine Eltern wie alle Geflüchtete aus der Ukraine einen 2-jährigen Aufenthaltstitel. Inzwischen, heute, ist ein Jahr schon um.

Ich warte auf den Bus aus Kyiv. Meine Freund*innen haben mir und ihren Gastfamilien, in denen sie gewohnt haben, ein Dankeschön-Geschenk gegeben. Honig aus der Ukraine. Ich fange an, zu heulen. Mir wird klar, dass ich vor einem Jahr, genau an diesem Tag, als die Menschen in Hamburg die Wiedereröffnung der Clubs nach Corona gefeiert haben, meine Mama, Nichten und meine Schüler*innen mit ihren Müttern abgeholt habe. Erst jetzt kann ich reflektieren und weinen. Endlich. Ich spüre große Wellen der Dankbarkeit und Liebe, Wellen von Vertrauen und Mut und letztendlich Unterstützung und Hilfe. Ich spüre. Endlich.

Krieg und Kunst

Seit einem, aber eigentlich seit neun Jahren herrscht Krieg in meinem Heimatland Ukraine. Ich bin seit 2012 in Hamburg und dokumentiere die Geburt der neuen Ukraine in künstlerischen Tagebüchern. Als Künstlerin und Autorin. Mama Valentina und Papa Semen wussten nichts darüber. Meine neue Berufung Waldorflehrerin zu werden, fanden die nach meinen erfolgreichen journalistischen Jahren als Radiomoderatorin echt komisch. Mit der Kunst konnten die gar nichts anfangen. Die vier Monate, die Mama bei mir wohnte, waren eine Gefahr für meine Kunst. Auf einmal wurden meine Artobjekte als Müll anerkannt, die Installationen, Stücke und Collagen (Gabel, Löffel, Kerzen, Kartoffeln, Zwiebel) gehörten plötzlich nur zur Küche und Mamas Bedarf nach Sauberkeit hat mich fast zur weißen Periode meiner Malerei gebracht. Ich hatte Angst, dass Mama alle Bilder, wie die Wände, Türen und Fenster in Weiß bemalt und dann lackiert. Seit meine Eltern im August 2022 eine eigene Wohnung haben, habe ich wahre Kritiker*innen an meiner Kunst.

„Dieses hässliche Bild zeigst du?“, flüsterte meine Mama beleidigt bei der Eröffnung meiner Ausstellung „Rubicon“ in der Hauptkirche St. Nikolai am Klosterstern bei der „Nacht der Kirchen 2022“ im Herbst. Das Bild „Zwei Schwestern“, eine davon die Mama meiner Mama, aber darum geht es nicht. „Vom Suchen und Finden“ war das Motto der „Nacht der Kirchen 2022“.

In meinen künstlerischen Tagebüchern konnte ich nichts finden, was die Anerkennung meiner Eltern zeigt und mir Freude schenkt. Am 20.02. hatte ich Geburtstag, den ich seit 9 Jahren an diesem Tag nicht feiere. 20.2.2014 – das war der blutigste Tag der Maidan-Revolution in Kyiv. Seit 2014 ist es ein Trauertag in der Ukraine und kein Feiertag. „Töchterchen, du musst feiern!“, sagte meine Mama zu mir. Am 20.2.2023 habe ich zum Geburtstag und zur Ausstellung #9Marushka „Liebe heilt alle Wunden“ in das neue Atelier eingeladen: HALL4CRCLRTY open lab circular textiles. Das war eine Reise, von meinen frühen Videoinstallationen „Marushkas Tagebuch“ hin zur abstrakten Kunst, mit früheren und neuen Werken der deutsch-ukrainischen Art Fashion Kollaboration ANASTASIS.

Krieg zerstört nicht nur Länder, Krieg stiehlt die Träume

„Komm und wir
schweigen,
stricken,
weinen,
singen,
erzählen Gedichte, besprechen Filme,
hören Märchen“ schrieb ich und es war so.

„Hast du das alles gemalt?“, wunderte sich mein Papa Semen. „Männer kannst du gut malen!“, fand Mama Valentina. „Liebe heilt alle Wunden“ (Любов зцілює всі рани) – mein erster Traum seit Februar 2022. Ein gestickter Satz, schwarz auf weiß. Krieg zerstört nicht nur Länder, Krieg stiehlt die Träume. Aber der Faden der Geschichte geht weiter. Mein Herz spürt was. Endlich. Die Woche war ich nicht allein. Eine junge Generation von ukrainischen Künstler*innen, die neu in Deutschland sind, richtet ihren ganz eigenen Blick auf die Themen Identität und Kultur.

Ich hatte viel nette Gäste, meine Mama macht sich keine Sorgen mehr, weil nur gute Menschen um mich herum sind. Zur Finissage #9Marushka „Liebe heilt alle Wunden“ hatte ich Gäst*innen aus der Ukraine: PANCHYSHYN & SVIT. Ostap Panchyshyn und Svitlana Germanova spielen moderne ukrainische Musik mit akustischem Sound, vertonen Gedichte ukrainischer Schriftsteller und führen Weltmusik auf.

Und die, die es nicht zu meiner Ausstellung geschafft haben, schenken mir Frühlingstulpen und schreiben mir, was sie spüren. Genauso wie ich Dingen, die mich bewegen, in meinen Bildern und Geschichten Ausdruck gebe.

Kunst des Lebens

Meine Eltern haben eine neue Bleibe, mein Bruder kämpft als Soldat, meine Nichten und meine Schwägerin leben in Polen… Ich habe viel in letzten Jahren und Monaten geschafft und geleistet. Viel liegt noch vor mir. Vor uns.

„Trotz der schlimmen Zeiten sind mir gute Gaben gegeben – Malen und Märchen erzählen“, schreibt mir ein Mitglied des Vorstands Märchenforum Hamburg e.V., wo auch ich Mitglied bin. Ich betrachte Revolution als eine Art Evolution, in der Kunst stärker als Waffen ist, und in der freie Schulen der Schlüssel zu einer freien Gesellschaft sind.

Der gelbe Faden, der meine Geschichte erzählt

Der Faden, die durch die ganze Geschichte führt, ist bei mir gelb. Wie die Sonne. Oder Honig aus der Ukraine die Sergij, Mykola und Dmytro gemacht haben. In der Zeit, wenn ihre liebsten Frauen, Mütter, Schwestern und Kinder in Hamburg waren, haben sie Anfang Sommer 2022 nicht weit von Kyiv zwei Bienenstöcken gekauft, jetzt haben die schon drei. Jetzt sind die wieder mit Familien zusammen und ich habe Honig aus der Ukraine. Sonnenblumenhonig. Die dritte Ernte.

Meine Mama hat Hoffnung, dass die Deutschen die Ukraine aufbauen. Ich habe nicht nur Honig aus Kyiv, viele Geschenke, meine süße Träume und köstliche Tränen wieder. Ich habe auch eine große Dankbarkeit. Wir haben zusammen vom Winter 2023 Abschied genommen und begrüßen den friedlichen Frühling. Die Kunst des Lebens.

Titelbild:

MARUSHKA, Sonnenfinsternis (Triptychon), 2015, Acryl auf Leinwand, 80 × 100 cm (Mitteltafel) , 50 × 70 cm (Seitentafeln)

Marushkas nächste Ausstellung findet im Rahmen der Altonale am 19.06.2023 um 17 Uhr statt.

 

Dieser Beitrag ist im Rahmen des Schreibtandems entstanden. 

Bildquellen

  • Marushkas Kunst des Lebens: Marushka
Schlagwörter:
Yuliia (Marushka) studierte Journalismus und Waldorfpädagogik (sowohl in der Ukraine als auch in Deutschland). Das Lebensziel, eine Waldorfschule in ihrer Heimatstadt zu gründen, führte Marushka 2012 nach Deutschland und sie konnte diesen erfolgreich 2020 erfüllen. In der Ukraine war sie zuvor als Radiomoderatorin tätig. Die Maidan Revolution führte sie zum Aktivismus, den sie durch Kunst ausführt. In Hamburg ist sie nun als freie Künstlerin, Autorin und Märchenerzählerin (Mäuschen Marushka) unterwegs.  „Die Frage: ‚Bist du geflüchtet?‘ hat mich persönlich mitgenommen. Deshalb arbeite ich bei kohero. Es ist an der Zeit, ukrainische Stimmen wahrzunehmen.“

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Die Angst im hier zu sterben

Die Angst im hier zu sterben

Eine Winternacht In einer Winternacht im Jahr 2018 hat meine Verlobte mich nach einem gemeinsam verbrachten Tag allein gelassen, um mit ihrer Familie Essen zu gehen. Damals habe ich noch mit meinem Bruder zusammen gelebt und auch er war an diesem Abend nicht zu Hause. In diesen Stunden habe ich mich einsam gefühlt und ich fürchte mich vor der Einsamkeit. Ich habe meine Facebook-App geöffnet, weil mir langweilig war und las einen Post über einen syrischen Mann, der hier im Exil gestorben ist. Das hat mir unheimlich Angst eingejagt. Ich verstand damals nicht warum sein Tod mir eine solche Angst machte, schließlich war ich noch jung. Es stimmt, dass wenn meine Eltern, die in Syrien leben, sterben sollten, ich sie nicht sehen kann, aber auch sie sind gesund.   Wenn uns der Himmel in Syrien Regen schickt Vor ein paar Tagen sprach ich mit einem Bekannten, der hier in Deutschland lebt und einen deutschen Pass hat. Aber er fühlt sich nicht als Deutscher oder hat das Gefühl zu Deutschland zu gehören. Wenn uns der Himmel in Syrien Regen schickt, dann sagen wir „Gott sendet Gutes“ und wir erbitten mehr Regen, weil der Regen für Erde und Bäume wichtig ist. Aber hier in Deutschland beschweren sich viele Leute wegen dieses Wetters, obwohl sie auch für die Umwelt kämpfen. Egal. Mein Bekannter hat mir gesagt, wenn er den Regen hier siehst, kann er nicht sagen:  „Gott sendet Gutes“, weil der Regen ihm nicht gehören kann. Die Bäume auf der Straße gehören nicht ihm, deswegen kann er sich auch keinen Regen für sie wünschen.  Er lebt alleine und arbeitet auch von zu Hause aus. Er hat sich gefragt, was passiert, wenn er eine deutsche Frau kennenlernen möchte? Was würden wir essen? Nur syrisches Essen? Ja, das könnte sein, weil die Deutschen mögen auch Hummus und

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Gahzan

Ich wünsche mir Frieden auf der ganzen Welt

Die Stadt liegt im Norden von Syrien, aber sie ist jetzt zerstört. Ich habe in Syrien Abitur gemacht und danach als Dekorateur gearbeitet. Am 08. September 2015 bin ich nach Deutschland gekommen. Hier möchte ich lernen und später arbeiten. Also nicht nur zu Hause sitzen und Geld vom Staat bekommen. Seit acht Monaten besuche ich nun einen Sprachkurs, denn ich möchte später gerne eine Ausbildung machen. Ich bin jetzt Flüchtling in Deutschland. Meine Erfahrungen, speziell die Tatsache, dass ich dem Krieg in meinem Heimatland entkommen bin, haben mir geholfen, mein Talent weiterzuentwickeln. So kann ich durch das Malen meinen Gefühlen über die Flucht, aber auch über Hoffnung Ausdruck verleihen. Ich wünsche mir Frieden auf der ganzen Welt, nicht nur in meinem Heimatland. Es ist eine Botschaft an alle. Wir haben zwar eine Heimat, doch wir können nicht unter diesen Kriegsbedingungen leben. Ich möchte gerne arbeiten und wie schon gesagt, in Frieden leben. Und ich finde, dass der Kontakt zwischen Deutschen und Geflüchteten sehr wichtig ist. Aber leider leben hier auch einige Flüchtlinge gerne isoliert. Das finde ich nicht gut. Viele Menschen fragen mich, warum ich hier bin. Ich bin wegen des Kriegs in meinem Heimatland geflohen, denn ich bin ein Mensch, der nicht im Krieg leben kann. Hass und Gewalt sind schlimm. Und ich weiß auch, dass meine Bilder nicht viel ändern. Das Malen habe ich nicht gelernt. Erst vor vier Monaten habe ich angefangen, mit Ölfarbe zu malen. Meine Bilder versuchen, den Krieg zu erklären. Dafür nehme ich verschiedene Farben. Mit Schwarz drücke ich meine Gefühle und das Erlebte aus, mit den hellen Farben zeichne ich Frieden und Hoffnung.

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Zunehmende Verbote für die Frauen und die Presse dominieren unsere Kolumne in diesem Monat. Unsere Autorin fasst die Nachrichten aus Afghanistan für den vergangenen Monat zusammen.

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Dating und Liebe – das kann sehr schön aber auch sehr anstrengend sein. Schön, weil man auf eine Person treffen kann, die einen inspiriert, mit der man Nähe und Intimität austauschen kann. Anstrengend, weil wir in einer Gesellschaft leben, die immer schnelllebiger wird, mit sexistischen und rassistischen Stereotypen und Normen. Welche Erfahrungen machen Menschen mit Migrations- und Fluchterfahrung in Deutschland beim Daten und in der Liebe? Zwei Menschen treffen aufeinander und damit auch zwei (kulturelle) Identitäten mit unterschiedlichen Erwartungen, Sozialisierungen und Erfahrungen. Unterschiedliche Wünsche, Freiheiten und manchmal auch Sprachen. Dabei kann es zu Missverständnissen, Vorurteilen, neuen Einblicken und Gemeinsamkeiten kommen. In unserer Reihe „Kultur der Liebe“ wollen wir es genauer wissen. In Mexiko ist Stef (29) in einer katholisch-konservativen Gesellschaft aufgewachsen. Und obwohl ihre Familie selbst nicht religiös war, ist Stef auf christliche Schulen gegangen, da diese eine gute Ausbildung boten. Durch die dortige Sexualerziehung war sie zunächst von sexueller Intimität abgeschreckt und wollte am Liebsten für immer Kind bleiben. Zwar kann sie sich daran erinnern, schon im Kindergarten immer in irgendjemanden verliebt gewesen zu sein, aber Sex wurde ihr als etwas sehr Schlimmes und Verbotenes vermittelt, vor allem für “brave Mädchen”. Sexualität war ein schambehaftetes Thema. Mittlerweile ist das nicht mehr so. „Das war alles nicht so sexuell. Ich weiß nicht wieso“ Ich bin in Bezug auf Dating und Liebe eine Spätzünderin gewesen. Auf der einen Seite gab es das konservative Umfeld meiner Schule und auf der anderen Seite meine Freundinnen. Sie sind nicht auf christliche Schulen gegangen und hatten bereits Interesse an Sex. Häufig hatte ich dadurch das Gefühl, unter Druck zu stehen, sexuell aktiv sein zu müssen. Genau das wollte ich nicht. Deshalb war ich froh, dass ich erst spät meine Menstruation bekommen habe. Ich hatte keine Lust auf sexuelle  Erfahrungen und am liebsten wäre ich für

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Kategorie & Format
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