Leila Aboulela: Anderswo, daheim

Almut Scheller-Mahmoud rezensiert Leila Aboulela: "Anderswo, daheim." Die Autorin entführt uns mit ihren dreizehn Kurzgeschichten in eine Welt der Schwebe. Die meist weiblichen Protagonistinnen versuchen wie auf einem Schwebebalken die Balance zu halten. Zwischen Hier und Dort und Dort und Hier. Zwischen Jetzt und Damals.

Leila Aboulela hat ein feines Gespür für zerrissene Fäden, für ein fadenloses Leben. Ein Leben auf der Suche nach dem Roten Faden, der das Dort mit dem Hier und das Damals mit dem Jetzt verbindet. Warum verlässt man sein Mutterland, sein Vaterland, um fremdländisch zu sein? Weil es dort keine Arbeit gibt, weil man ein Studium beenden möchte, weil man heiratet. In den Geschichten sind es keine Katastrophen wie Hunger, Überschwemmungen, Erdbeben oder politische Verfolgung. Einfach die Sehnsucht nach einem besseren Leben. Aber die Geschichten sind durchtränkt von Wehmut und Heimweh, von zerstörten Hoffnungen, geplatzten Illusionen, von Unsicherheiten.

Die Geschichten

Da gibt es die wärmenden Erinnerungen an süßen Zimttee, geröstete Wassermelonenkerne, Hitze, Wasser des Nil, an einen anderen Lebensrhythmus. Sinnlicher, gemächlicher und zugleich lebendiger als im kühlen kalten England. Für manche der Protagonist*innen wird der Glaube zur starken Überlebenskraft, gibt der Glaube Halt.

Kebabshop

In der Geschichte „Kebabshop“ findet Kassim mit einem marokkanischen, dem weltlichen Leben zuneigenden Vater und einer schottischen Mutter, die kein Interesse an Religion hat, zum Glauben. Dina schwankt zwischen dem Leben, das er ihr bietet und der Unerfülltheit, das ihr Elternhaus ihr vermittelt.

Altes und Neues

In „Altes und Neues“, lesen wir von einem englischen Konvertiten, der zu seiner Braut zur Eheschließung nach Khartum fliegt. Und sich dort mit den Realitäten dieses Landes konfrontiert sieht. Die nicht unbedingt mit den angelesenen übereinstimmen.

Der Mann der Aromatherapeutin

In „Der Mann der Aromatherapeutin“ endet ein gemeinsames Leben, eine Ehe mit dem Schild „Zu verkaufen“. Zu weit driften die zwei Charaktere und die zwei Welten auseinander: Elaine steigert sich in ihr Gefühl des Erwähltseins und der Überlegenheit zu Adam. Sie spirituell, er materialistisch. Da lässt es sich gut glauben, dass ihr spiritueller Lehrer ein Indianer oder ein somalischer Krieger sei. Adam würde sie in ihrer Entwicklung zurückhalten, behindern.

Bunte Lichter

In „Bunte Lichter“ sind die farbfrohen Lichterketten Symbole für die Weihnachtsbeleuchtung hier und die Beleuchtung der Hochzeitshäuser dort. Visuelle Weihnachtsfreude und Tod des geliebten Bruders durch eine defekte Lichterkette. Statt Hochzeit der Tod. Der Vater stiftet eine Schule aus Lehm in seinem Heimatdort in Erinnerung an seinen Sohn, die Mutter hängt einen großen Tontopf, der immer kühles Wasser spenden wird, in den Baum. Hier gibt es gestiftete Erinnerungsbänke.

Circle Line

In „Circle Line“ werden das Älterwerden und die Selbsttäuschungen angesprochen. Die Welt dreht sich schnell wie ein Riesenrad, hoch hinauf, tief hinunter und wieder hoch hinauf und tief hinunter: der Rhythmus des Lebens.

Sommerlabyrinth

In „Sommerlabyrinth“ nähert sich Nadia ihren Wurzeln. Sie merkt, dass Ägypten, das ihr bisher so fremd geblieben war, Teil ihrer DNA ist. Sie will für ein Projektjahr nach Kairo gehen, um Arabisch zu lernen.

Die Geschichten zeigen lebensnah diverse Perspektiven auf, die zum Nachdenken anregen, wie es Menschen im Hier geht, die von Dort sind. Ihre Fremdheit nähert sich unserer eigenen Fremdheit in dieser schnellen modernen Welt. In der „Zeitenwende“, die die Karten auf allen Ebenen, den politischen, wirtschaftlichen, kulturellen, gesellschaftlichen, neu mischt. Und so ist in diesen interkulturellen Geschichten die grundsätzliche Fremdheit des Menschen enthalten. Schon Schubert hat in seinem Liederzyklus „Die Winterreise“ die Fremdheit thematisiert. „Fremd bin ich eingezogen, fremd zieh’ ich wieder aus“ .

Weitere Rezensierungen von Almut Scheller-Mahmoud findest du z.B. hier oder hier.

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