Karim ist deutscher Staatsbürger geworden: “Hier bin ich”

“Wenn ich das heute alles nochmal machen müsste, hätte ich es vielleicht nicht geschafft”. Karim* ist 2014 aus Afghanistan nach Deutschland geflohen. Zwischendurch lebte er in Norwegen, wo er allerdings zwei Mal abgelehnt wurde und nach Afghanistan zurückreisen sollte. Schließlich kommt er nach Hamburg. In Deutschland hoffte Karim auf ein sicheres Leben und eine neue Chance. Lest seine Geschichte in diesem Beitrag zum Schwerpunktthema von zu.flucht.

Fotograf*in: Markus Winkler auf unsplash

Karim verließ noch vor 2015, einem Jahr, in dem sehr viele Menschen flohen, seine Heimat. Erst dann wurden neue Gesetze und Regulationen zu Migration und Flucht beschlossen, wodurch Karim es zu Anfang sehr schwer hatte. “Ich wusste anfangs nicht, wohin mit mir, ich kannte niemanden und hatte kein Ziel.” Karim meldete sich bei der Polizei, nachdem er am Hamburger Hauptbahnhof ankam, die ihn dann nach Schleswig-Holstein schickte. Weil seine Fingerabdrücke aber in Norwegen registriert waren, wurde es kompliziert. “Die ersten drei Jahre waren sehr, sehr schwer. Ich hatte jede Woche Post und musste ständig was erklären, bearbeiten oder vorlegen. Das war wirklich ein Kampf”, sagt er heute.

„Ich wollte endlich friedlich schlafen können“

Karim tauchte ein halbes Jahr unter, bis seine Fingerabdrücke in Norwegen gelöscht wurden. In Neumünster stellte er dann einen neuen Asylantrag. Er fing wieder bei Null an. Schon drei Monate nach seiner Ankunft in Deutschland begann er seinen Führerschein und belegte Sprachkurse. Doch heraus kam nur ein Abschiebeverbot, keine längerfristige Perspektive, um das neue Leben endlich richtig zu beginnen. “Für mich war das keine Sicherheit, denn es kann von heute auf morgen zurückgenommen werden”, sagt Karim, “Doch man darf nicht aufgeben. Ich wollte endlich friedlich schlafen können und meine Ruhe haben.”

Nach einer gewonnenen Klage für seinen Aufenthalt und ein Jahr nach seinem Umzug nach Hamburg hat Karim eine unbefristete Niederlassungserlaubnis bekommen. Karim hatte in all den Jahren Menschen um sich, die ihn unterstützt haben. Etwa ein paar Freunde, Teamkollegen aus seiner Fußballmannschaft, aber auch juristische Beratung. Auf dem Weg zur deutschen Staatsbürgerschaft hat ihn die Anwältin Angelika Willigerod-Bauer begleitet. Sie erinnert sich an den Einbürgerungsprozess von Karim: “Irgendwann sagte er zu mir, dass er deutscher Staatsbürger werden möchte. Wir haben uns dann zusammen hingesetzt, den seitenlangen Antrag ausgefüllt und alle Dokumente zusammengesucht. Das mit der Einwanderungsbehörde hat aber ein bisschen gedauert.”

„Ich wollte beweisen, dass ich der richtige Kandidat für die deutsche Staatsbürgerschaft bin“

Um den ganzen Prozess zu beschleunigen, erwähnen Karim und Angelika immer wieder, dass man sofort alle geforderten Dokumente in einem Ordner sammeln sollte, wenn man die deutsche Staatsbürgerschaft beantragt. Auch zusätzlich Dokumente wie Freiwilligenbescheinigungen und Zeugnisse können helfen. Karim hat seinen vollständigen Ordner mit allen erdenklichen Extra-Zertifikaten vorgelegt, sich dabei persönlich vorgestellt und innerhalb von fünf Minuten auf Mails der Einwanderungsbehörde geantwortet – auch, wenn ihm drei Mal die gleichen Fragen gestellt wurden. “Ich wollte beweisen, dass ich der richtige Kandidat für die deutsche Staatsbürgerschaft bin. Und hier bin ich.”

Denn anders als in Karims Fall kann der ganze Prozess auch mehrere Jahre dauern. Das kann an fehlenden Dokumenten oder auch an der Behörde liegen. “Ich hatte mal einen Fall, wo wir wegen Untätigkeit geklagt haben. Das ging durch. Mein Klient hatte eineinhalb Jahre nichts gehört und bei Anfragen per Mail oder Telefon war die Sachbearbeiterin nie da. Innerhalb einer Woche, nachdem die Klage zugestellt war, war dann die Einbürgerung auch da. Zum Gück ist es im deutschen Recht so geregelt, dass wir in einem Rechtsstaat leben. Das heißt, man kann gegen jeden Verwaltungsakt, der dort erlassen wird oder eben nicht erlassen wird, rechtlich vorgehen”, erzählt Angelika.

Nach all den Jahren in Deutschland ist die Beantragung der deutschen Staatsbürgerschaft für Karim ein Akt der Bürokratie. Seine Einbürgerungsurkunde bekommt er in einem nüchternen Zimmer einer Hamburger Behörde überreicht, erinnert sich Angelika. Doch sein deutscher Ausweis bringt ihm vor allem Sicherheit und Freiheit. Karim muss sich nie wieder Gedanken darüber machen, abgeschoben zu werden, friedlich schlafen, er kann arbeiten und wohnen, wo er möchte. Und er kann reisen. Die ersten Ziele: Neuseeland oder Kanada.

 

*Name geändert. Der richtige Name ist der Redaktion bekannt.

Bildquellen

Schlagwörter:
Natalia ist in den Bereichen (Mode-)Journalismus und Medienkommunikation ausgebildet und hat einen Bachelor in Management und Kommunikation. Derzeit studiert sie Digitalen Journalismus im Master. Besonders gerne schreibt sie über (und mit!) Menschen, erzählt deren Lebensgeschichten und kommentiert gesellschaftliche Themen. Sie leitet die Redaktion und das Schreibtandem von kohero. „Ich arbeite bei kohero, weil ich es wichtig finde, dass die Geschichten von Geflüchteten erzählt werden – für mehr Toleranz und ein Miteinander auf Augenhöhe.“     (Bild: Tim Hoppe, HMS)

Zum Abo: 

Mit deinem Abo können wir nicht nur neue Printausgaben produzieren, sondern auch unsere Podcasts und das Online-Magazin weiter kostenlos anbieten.

Wir machen Journalismus, der zugänglich für alle sein soll. Mit dem Rabattcode koherobedeutetZusammenhalt kannst du einzelne Ausgaben günstiger bestellen. 

Zusammen Fastenbrechen bedeutet zusammen leben

Weil sich das „Flüchtling-Magazin“ nicht nur mit seinen Worten für eine gemeinsame Gesellschaft engagiert, hat es ihre Leser zum gemeinsamen Fastenbrechen eingeladen. Unter dem Motto „Kontakt macht uns offen“ fand vier Mal ein Fastenbrechen in unserem Büro statt.

Weiterlesen …

Düstere Lage – ein Syrien-Update

Am 14. September hat der russische Präsident Putin den syrischen Machthaber Al-Assad zu Gesprächen nach Moskau eingeladen. Laut den Meldungen verschiedener Nachrichtenagenturen sollen Putin und Assad die ‘Einmischung’ von internationalen Streitkräften im Land dabei kritisiert haben – die russischen Streitkräfte natürlich ausgenommen. Die militärische Präsenz anderer Länder erfolge ohne Beschluss der Vereinten Nationen und ohne die Zustimmung des Autokraten Assad. Präsident Putin soll die internationalen Truppen als “Hauptproblem” Syriens beschrieben haben. Gleichzeitig sei er bemüht gewesen, die russisch-syrischen “Erfolge” in den Vordergrund zu rücken. Assad soll die Rückkehr von syrischen Geflüchteten gelobt haben. Unklar blieb jedoch, ob er damit Zurückkehrende aus Europa meinte oder Binnenvertriebene.  Außerhalb des Kremls oder des Regierungspalastes in Damaskus ist jedoch unumstritten, dass Syrerinnen und Syrer weiterhin vielen Unsicherheiten, Bedrohungen, Belagerungen und Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt sind. Auch jetzt noch, zehneinhalb furchtbare Jahre nach dem Beginn der friedlichen Demonstrationen im Land. Berichten zufolge ist es zurzeit sogar so schlimm in Syrien wie seit Jahren nicht mehr (hier eine Analyse dazu von ZEIT Online).  Schwerste Verbrechen gegen die Menschlichkeit Auch die Nichtregierungsorganisation Amnesty International meldete Anfang September, dass syrische Geheimdienste in mindestens 66 Fällen zurückgekehrte Geflüchtete inhaftiert, gefoltert und verschwinden lassen haben (Bericht: „You’re going to your death“). Amnesty dokumentiert schwerste Verbrechen gegen die Menschlichkeit, unter anderem an 13 Kindern. “Neben sexualisierter Gewalt und anderen Misshandlungen dokumentierte Amnesty International fünf Todesfälle; in weiteren 17 Fällen ist der Verbleib der Menschen bis heute nicht bekannt”, heißt es in dem Bericht. Als Konsequenz hat Amnesty alle Länder (erneut) dazu aufgefordert, alle Abschiebungen oder Rückführungen nach Syrien zu stoppen. Nachbarländer von Syrien, wie etwa Türkei und Libanon, müssen ebenfalls davon überzeugt werden, die Rückführungen aufzugeben. Konkrete militärische Kämpfe in vielen – aber nicht allen – Landesteilen von Syrien haben nachgelassen. Seither versuchen viele Länder die Möglichkeiten der Rückführung oder Abschiebung auszuloten. Die

Weiterlesen …

Artikel 21 – help for queer refugees

  Joe, also known as Josefine, is involved in the project Artikel 21, which supports refugees from the LGBTQIA+ community in the asylum process. She herself fled from Syria to Germany in 2015. We meet at Joe’s home, sit on the balcony and eat the various snacks Joe has prepared.   What experiences did you have with health care during your asylum procedure in Germany? I didn’t feel well at all: I didn’t feel safe and my queer identity was denied to me. Queer refugees are put into collective accommodation in Germany and are very alone there and have no access to the queer community. There are perpetrators, homophobic and transphobic people there. The place where you are supposed to have the possibility to withdraw is unsafe. Moreover, the asylum procedure is based on a heteronormative system.   „I was very afraid of the future“   What is the impact of this? This means, for example, that in the personal interview in the asylum procedure, there are people and translators present who have not been not sensitised. During my first interview, things were written down in the protocol that I did not say. My appearance with a beard was used to infer that I can’t be queer. I also get looked at strangely on the street. This has led to me suffering from depression. Did you have any support? My accommodation had no counselling centre for queer people.The staff of the accommodation were able to help me after I had experienced or witnessed violence. Social workers are not educated about the queer community. I was always told to inform the police. This made me very upset. I was very afraid of the future. My health was not good.   „“Artikel 21″ shines a light on these problems“   Where you

Weiterlesen …

So viele Möglichkeiten und so wenig Zeit

Morgens Deutschkurs, nachmittags Lern-Apps und Youtube-Videos, abends ein Film auf Deutsch. Afaf beschreibt, wie sie Deutsch lernt in einer Welt der 1000 Möglichkeiten. Sie wirft einen humoristischen Blick auf ihren Alltag, sagt aber auch: „Deutsch nicht zu können, verwechseln die Leute oft mit mangelndem Wissen im Generellen.“

Weiterlesen …
Kategorie & Format
Natalia ist in den Bereichen (Mode-)Journalismus und Medienkommunikation ausgebildet und hat einen Bachelor in Management und Kommunikation. Derzeit studiert sie Digitalen Journalismus im Master. Besonders gerne schreibt sie über (und mit!) Menschen, erzählt deren Lebensgeschichten und kommentiert gesellschaftliche Themen. Sie leitet die Redaktion und das Schreibtandem von kohero. „Ich arbeite bei kohero, weil ich es wichtig finde, dass die Geschichten von Geflüchteten erzählt werden – für mehr Toleranz und ein Miteinander auf Augenhöhe.“     (Bild: Tim Hoppe, HMS)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Kohero Magazin