Interview mit Pshtiwan Qadir: Sei menschlich und gewissenhaft

Pshtiwan Qadir und Almut haben sich über das Projekt Schreibtandem des Kohero-Magazins kennen gelernt.
Ihr imponiert, wie gebildet er ist. Da er viel liest und als Journalist gern schreibt, ergänzen sie sich gut mit ganz ähnlichen Interessen. Sie treffen sich einmal die Woche und haben immer eine anregende Zeit. Ihr Thema heute: ein Interview nach dem Vorbild des berühmten "Proust Fragebogens", der zu Lebzeiten des französischen Dichters (1871-1922) als beliebtes Gesellschaftsspiel galt.

Das Gespräch mit Pshtiwan Qadir wurde am 4. September 2020 mit Almut Scheller Mahmoud  in schreibtandem geführt.

Pshtiwan, wo und wann bist Du geboren?  

Im Dezember in Sulemanyia im kurdischen Teil des Irak.

Was ist Dein Schulabschluss?  

Ich habe das Abitur, habe aber nicht studiert. Sondern ich wollte arbeiten und Geld verdienen.  

Was hast Du gearbeitet?  

Ich habe als Volontär in einer Zeitungsredaktion („ Hawbir“)  gearbeitet und schließlich ein eigenes Magazin herausgegeben: „Sahir“ (wörtliche Bedeutung „Schlaflosigkeit“) als Hommage an den arabischen Sänger und Komponisten Kadim Al Sahir. Das Hauptthema war  Kunst. Dann habe ich mit Freunden das Magazin „Honya“ gemacht, das die Themen Politik, Gesellschaft und Kunst behandelte.  Später habe ich in der Buchhaltung in zwei großen Firmen gearbeitet.  

Wann hast du den Irak verlassen?  

Ich bin 2016 in die Türkei geflüchtet. Von Istanbul aus mit dem Schiff, das eigentlich nach Italien fahren sollte, aber kaputt ging. So bin ich in Athen gelandet. Von dort ohne Schlepper zu Fuß, manchmal per Autostop oder auch mit dem Zug nach Deutschland.  

Warum bist Du geflüchtet?   

Ich fühlte mich gefangen

Durch einen Artikel, in dem ich die Korruption der Regierung  anprangerte, wurde ich verhaftet und war drei Wochen im Gefängnis.  Außerdem fühlte ich mich „gefangen“. Eine Umsiedlung in eine andere Stadt und die Anmietung einer Wohnung war nur möglich, wenn man  eine Ehefrau hatte.  

Wo möchtest Du leben?  

Überall dort, wo Frieden und Freiheit herrschen und wo man zufrieden und in Sicherheit leben kann. 

Was ist für Dich das vollkommene irdische Glück?  

Wenn es keine Kriege mehr gibt und keine Menschen mehr verhungern oder fliehen müssen, wenn es keine Folter mehr gibt und alle Menschen in ihrem Heimatland ein friedliches Leben ohne Ungerechtigkeiten führen können. Wenn alle Menschen gleich sind.  (Charta der Menschenrechte). 

Was ist für Dich das größte Unglück?  

Krieg, Rassismus und Unfreiheit

Jedes Mal, wenn ein Krieg ausbricht, sterben unschuldige Menschen: Kinder, Frauen und Männer.  

Welche Fehler entschuldigst Du am ehesten?  

Fast alle, bis auf Machtgier und Korruption.   

Welches sind Deine persönlichen Stärken?  

Eine schnelle Auffassungsgabe, Organisationstalent und Verständnis für meine Umwelt.   

Was sind Deine Schwächen?  

Schüchternheit, Ungeduld, Wortkargheit.   

Was schätzt Du bei Deinen Freunden am meisten?  

Engagement, Kompromissfähigkeit und Aufrichtigkeit.   

Was verabscheust Du am meisten?  

Gewalt, Ungerechtigkeit, Machtmissbrauch und Überheblichkeit. Ignoranz, Rücksichtslosigkeit, Rassismus, Lügen.   

Welche militärischen Leistungen bewunderst Du am meisten? 

Keine.   

Am liebsten lesen

Was sind Deine liebsten Romane?  

„Sinuhe der Ägypter“ von Mika Waltari. „Moses, Prince of Egypt“ von Howard Fast. „Anabasis“ von Xenophon. „Zorba“ von Nikos Kazantzakis. „Sofies Welt“ von Jostein Gaarder. „Der da Vinci-Code“ von Dan Brown und „Der Pate“ von Mario Puzo. 

Was ist Dein Lieblingsbuch?  

Zur Zeit „The Story of Civilization“ von Will und Ariel Durant.  

Was sind Deine Lieblings-Filmschauspieler?  

Charlie Chaplin in all seinen Filmen. Anthony Quinn in „Zorba“, Marlon Brando und Al Pacino in „Der Pate“ und Robert de Niro in „Taxi Driver“.  

Was sind Deine Lieblingsmaler?  

Leonardo da Vinci. Jean- Francois Millet, Vincent van Gogh, Pablo Pi casso.   

Was sind Deine Lieblingskomponisten?  

Beethoven, Bach, Mozart, Tschaikowski. Die Klassiker habe ich über das Radio kennen- und schätzen gelernt.  Mikis Theodorakis „Kadim al  Sahir, Yanni“.  

Was ist Deine Lieblingsbeschäftigung?  

Im Regen spazieren gehen, dem Regen lauschen, Wandern im Wald  und am Meer. Und natürlich lesen.   

Wer oder was hättest Du gern sein mögen?  

Archäologe oder Pilot.  

Warum gerade diese Berufe?  

Als Kind war ich fasziniert von den am Himmel fliegenden Flugzeugen.  Archäologie hat mich später interessiert und noch heute bin ich  fasziniert von der Antike und allen alten Zivilisationen.  

Magst Du die Natur?   

Ich mag den Regen

Ich mag das Meer und den Wald. Und natürlich Tiere und  Pflanzen.   

Welches sind Deine Lieblingsschriftsteller?  

William James Durant, Dale Carnegie, Maurice Maeterlinck, Khalil Gibran, Ali Al Wardi.   

Wie bist Du auf Maurice Maeterlinck gekommen? Der ist ja selbst hier kaum noch bekannt. 

Ich habe sein Buch – übersetzt heißt es, glaube ich „Schicksal und  Weisheit“ – in einem Buchladen entdeckt, gekauft und dreimal gelesen.   

Deine Idole der Wirklichkeit?  

Charlie Chaplin. Nizar Qabbani. Kadim al Sahir.  

Wer ist Nizar Qabbani?  

Ein syrischer Poet und Schriftsteller, dessen Gedichte z.B. alle von Kadim al Sahir vertont und gesungen wurden.   

Deine  Idole in der Geschichte?  

Ramses, Echnaton, Sokrates. Platon, Aristoteles, Homer, Herodot, Ibn Khaldun. René Descartes und Karl Marx.   

Von den Denkern Griechenlands geprägt

Warum bist Du so von der Antike fasziniert?  

Griechenland mit seinen Denkern und Philosophen haben das europäische Denken geprägt und tun es bis heute. Und natürlich das Wissen des alten Ägypten und Babylons. Die Araber waren führend in Mathematik, Medizin und Astronomie und Astrologe. Tempel, die vor  Jahrtausenden von Jahren gebaut wurden und heute noch existieren.  All das muss geschützt werden.  

Wen möchtest Du gern persönlich kennenlernen?  

Kadim Al Sahir, der „Cäsar der arabischen Musik“, Emmanuel Macron und Justin Trudeau.   

Warum gerade Macron und Trudeau?  

Sie sind jünger als die üblichen politischen Führer und deshalb kreativer und dynamischer. Mit mehr Weitblick. Und sie machen den Mund  auf. Und mitunter scheint es, als ob sie tatsächlich meinen, was sie  sagen. Obwohl ich natürlich weiß, dass auch sie nur Worthülsen von sich geben.  

Menschen sind wichtiger als die  Ökonomie

Was ist für Dich die wichtigste Erfindung der letzten 100 Jahre? 

Das Flugzeug. TV und Radio. Die Atombombe. Computer, Internet und Handy. Und die neue „Erfindung“ des Coronavirus.  

Glaubst Du, dass Gott eine Erfindung der Menschen ist? 

Ich möchte diese Frage nicht beantworten.   

Was würdest du tun, wenn du Bundeskanzler wärst?  

Den sozialen Zusammenhalt stärken. Menschen sind wichtiger als die  Ökonomie. Der Kanzler oder Präsident sollte immer das öffentliche  Interesse und die Bedürfnisse der Landesbewohner als ersten  Maßstab nehmen. Gesetze, die vor Jahren erlassen wurden, müssen  immer wieder geprüft werden und sich auf die aktuelle Lage beziehen können, z.B. das Asylrecht. Ein Kanzler oder Präsident und auch seine  Minister und Mitarbeiter dürfen nicht mit Unternehmen verbunden sein. Wichtig ist auch, die Souveränität des Landes zu wahren, trotz  aller außenpolitischen Kompromisse die Unabhängigkeit zu behalten.   

Welche geschichtlichen Gestalten verabscheust Du am meisten? 

Hitler. Sadam Hussein.   

Welche Reform bewunderst Du am meisten?  

Die Renaissance.   

Aber Renaissance ist ja nur eine kulturelle Reform bzw. Revolution. Wie  steht es mit den politischen Revolutionen?  

Weder die Russische Revolution noch Maos Kulturrevolution waren  gut für die Menschheit. Sie waren gut für eine bestimmte politische  Klasse.   

Ich hätte gern in der Antike gelebt

Welche natürliche Gabe möchtest Du besitzen?  

Komponieren. Und ich hätte gern in der Antike gelebt, in Babylon, bei den Pharaonen und den Hellenen.   

Es ist interessant, dass bei Dir immer wieder „die Antike“ erwähnt wird.   

Welchen Sport treibst du?  

Schwimmen und Fahrrad fahren.   

Welches Auto möchtest du gerne fahren?  

Ein altes aus den 20ern.

Welche drei Gegenstände würdest du auf eine einsame Insel mitnehmen? 

Bücher, Stift, Papier und ein Klavier.  

Der Tod ist ein natürlicher Prozess

Wie möchtest Du gern sterben?   

Wie ich sterbe, war mir bisher egal. Aber da der Tod ein natürlicher Prozess ist, wäre es schön, wenn es ein friedliches Sterben wäre, also  nicht im Krieg.  

Was ist Dein Lebensmotto?  

Meine persönlichen Zehn Gebote: Sei menschlich und gewissenhaft. Jedes Problem kann man lösen. Von  jedem Mensch, dem ich begegne, kann ich etwas lernen. Ich lerne aus  meinen Fehlern. Alles, was ich beginne, kann ein Erfolg werden. Sich selbst treu sein. Alles, was passiert, hat eine Bedeutung und einen  Grund. Man ist nicht nur für das verantwortlich, was man tut, sondern  auch für das, was man unterlässt. Respektiere die Menschen, die dich respektieren. Alles wird vergehen.   

Was würdest Du tun, wenn Du viel Geld hättest?  

Ich würde eine Akropolis bauen lassen, exakt nach den alten Vorgaben, ohne jegliche Technologie, wie in alten Zeiten.  

Wie ist Deine gegenwärtige Geistesverfassung?  

Immer im Stress. Immer mit Gedanken an die unsichere Zukunft: die Aufenthaltsgestattung gilt immer nur für ein halbes Jahr. Deshalb  unkonzentriert und unsicher.  

Dein Wunsch für die Zukunft?  

Frieden und Verständigung

Ich wünsche mir eine Welt ohne Kriege und dass alle Menschen ihre Probleme in Frieden lösen. Und dass alle Menschen eine gemeinsame  Sprache sprechen, wie z.B. das Esperanto, neben ihrer Muttersprache und Dialekten. Denn Sprache ist Basis für Missverständnisse, die  wiederum zu Streit führen und zu weiteren Folgen. Manchmal sind diese  Missverständnisse nur das Ergebnis falscher Interpretation,  manchmal vielleicht ganz bewusst forciert. 

Dein Wunsch für Deine persönliche Zukunft?   

Ich möchte gern arbeiten oder studieren. Eine Ausbildung als Tischler  würde mir gefallen. Ein Studium der Archäologie auch, ich weiß aber,  dass das fast unmöglich ist.  

 

Das Gespräch mit Pshtiwan Qadir wurde am 4. September 2020 mit Almut Scheller Mahmoud im Schreibtandem Projekt geführt.

Übrigens: Pshtiwan sucht eine kleine Wohnung bzw. ein Zimmer in einer ruhigen WG. 

Schlagwörter:
brenda Kusi-Appiah

Bittersüße Diaspora

Menschen, die ihr Heimatland verlassen haben, um in Deutschland eine neue Existenz aufzubauen, werden oft mit vielen Hürden wie Diskriminierung und Rassismus auf dem Weg zur Integration konfrontiert. Diese Probleme werden auch an die folgenden Generationen weitergetragen.

Weiterlesen …
Maria.Foto: Sophie Martin

Durch das Schreiben verarbeite ich Erfahrungen

María Teresa González Osorio studierte Jura und Psychologie in ihrem Heimatland Mexiko. 1997 verließ sie die mexikanische Stadt Oaxaca und kam nach Hamburg. Hier arbeitet sie erfolgreich als Psychologin mit Migranten aus dem spanischsprachigen Raum. Und María hat eine weitere Passion: Sie schreibt wunderschöne Gedichte über die Liebe, über Beziehungen und die Gerechtigkeit. In diesem Interview erzählt sie davon.

Weiterlesen …

Mama, Papa, Bruder und ich

„Wenn Dir einmal jemand gesagt hätte, dass an deinem 70. Geburtstag dein Sohn in die Ostukraine gehen würden, um dort einen Krieg mit Russland zu

Weiterlesen …

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Kohero Magazin