Heimat ist mehr als gemauerte Wände

Die Casa Colonia soll ein Integrationshaus werden, noch ist sie ein Projekt des Kunst hilft geben für Arme und Wohnungslose in Köln e.V. Die Idee ist, “Menschen zu helfen, die kein Dach über dem Kopf haben”. Dazu gehören auch Geflüchtete. Ein Gespräch mit Dirk Kästel von Kunst hilft geben.

Kunst fördert Heimat

Knapp 6000 Geflüchtete lebten 2021 in Köln. Oft sind die Menschen nach ihrer Ankunft in Not- und Gemeinschaftsunterkünften untergebracht. Denn für die Stadt Köln besteht eine gesetzliche Unterbringungsverpflichtung, um die geflüchteten Menschen vor Obdachlosigkeit zu bewahren. Um sich in einer neuen Umgebung einzuleben, braucht es jedoch mehr als das. Es braucht privaten, festen Wohnraum. Doch damit stellt sich für die Menschen das nächste Problem: der Kölner Wohnungsmarkt. Zudem wird in einem Interview mit Carmen Bleker vom Kölner Auszugsmanagement bereits deutlich, dass das für Geflüchtete oft nur einer von vielen Faktoren ist. Vorurteile und Rassismus sind Alltag für viele bei der Wohnungssuche. Zum Glück gibt es Konzepte, die in solchen Notlagen Lösungen bieten und den Betroffenen eine Heimat schenken wollen. Eines davon ist die Casa Colonia.

 

Die Casa Colonia ist mehr als eine Idee. Das Projekt gibt es bereits seit zehn Jahren. Können Sie kurz beschreiben, was die Casa Colonia ausmacht?

Wir haben seit 2012 die Idee, Menschen, die obdachlos in Köln sind, zu helfen. Menschen zu helfen, die kein Dach über dem Kopf haben – und das sind auch Flüchtlinge! Unser Konzept sieht dreifache Integrationsbereiche. Der erste Bereich ist das Wohnen. Es soll öffentlich geförderte, menschenwürdige, bezahlbare Wohnmöglichkeiten für Bedürftige geben. Das sind zum Beispiel Obdachlose, Flüchtlinge, Studierende und Künstler und Künstlerinnen – die alle gemeinsam unter einem Dach leben. Der zweite Integrationsbereich ist die Arbeit: Es soll ein Kunstcafe und ein Restaurant geben. Dort sollen Auszubildende und Heranwachsende mit körperlichem, geistigem oder sozialem Handicap arbeiten können. Drittens gibt es den Bereich Kunst und Kultur. Wir wollen einen Kulturtreff für alle bieten, mit einer Benefiz-Galerie, einem kleinen Kino, Konzerten und Lesungen.

 

Das Projekt richtet sich unter anderem speziell an Geflüchtete. Warum ist es gerade für sie eine Alternative zu Heimen bzw. von der Stadt zur Verfügung gestellten Wohnungen?

Wir meinen, dass große Heime nicht die Wohnform der Zukunft sind. Wir wollen kleine gemischte Wohngruppen in drei Häusern anbieten, mit je acht Wohnungen.

 

Wie viele Geflüchtete sollen dort Einzug finden? Sind die 30 Wohnungen fest eingeteilt?

Wir wollen bei 24 bis 30 geplanten Neubau-Wohnungen 16-20 ehemals Obdachlose und Flüchtlinge dauerhaft ein Dach über ihrem Kopf anbieten. Dazu kommen vier bis sechs Studierende und vier bis sechs Künstler oder Künstlerinnen.

 

In der Planungsmappe des Projektes ist zu lesen: ‚Das Haus als Heimat‘. Heimat klingt im ersten Moment nach viel mehr als „Wohnraum“. Was macht die Casa Colonia als solche aus?

Tatsächlich möchten wir mehr als gemauerte Wände anbieten. Das Herz ist das Kunst-Café als sozialer und kultureller Raum der Begegnung. Es bietet ein vielfältiges Angebot für Bewohner und Bewohnerinnen sowie Nachbarn. Heimat ist außerdem: die Wohnung als menschenwürdiger, sicherer Rückzugsraum.

 

Auf der Casa Colonia-Webseite ist zu lesen: „Ein erster Schritt der Reintegration ist ein Arbeits- oder Ausbildungsplatz. Darum sollen die Funktionen im Sockelgeschoss Menschen eine Beschäftigung geben. Dies geht nur in einem öffentlich geförderten Haus“. Bei Geflüchteten geht es häufig um Inklusion, sie waren in Deutschland vorher noch nie ‚integriert‘, also auch nicht RE-integrierbar. Können sie trotzdem an der Möglichkeit teilhaben, einen Job im Haus zu finden?

Das Angebot Integration durch Arbeit steht jedem offen, ist aber nicht auf die Bewohner und Bewohnerinnen fixiert. Zu viel räumliche Nähe von Wohnen und Arbeit kann schließlich auch ein Nachteil sein. Ja, es ist möglich in der Casa Colonia zu wohnen und zu arbeiten.

 

Wie sieht eine öffentliche Förderung aus?

Das Land NRW fördert öffentlichen Wohnungsbau, gibt Kredite zu 0-Prozent Zinsen und wir geben dafür 20 bis 30 Jahre Belegungsbindung für Geringverdienende. Die Finanzierung ist für uns nicht das Problem, sondern ein bezahlbares Grundstück in Köln für Casa Colonia zu finden. Das geht nach jahrelanger Suche nur, wenn die Stadt uns ein Grundstück zu einem moderatem Preis verkauft. Oder wir ein bestehendes Gebäude kaufen können.

Geflüchtete, insbesondere die neu ankommenden aus der Ukraine, haben aber keine Zeit zu warten, bis die Verwaltung handelt. Deshalb haben wir uns bereits im Januar 2022 auf die Suche nach Wohnungen auf dem viel zu teuren Kölner Immobilienmarkt gemacht! Trotzdem haben wir eine Wohnung sowie ein Einfamilienhaus für 9 Personen für 812.500 € gekauft. Eben ganz nach dem Housing First-Konzept: Zuerst kommt der Einzug in eine Wohnung, dann kümmern wir uns um weitere Hilfen. Der Kauf eines weiteren Hauses für 2,1 Mio. € für 20 bis 25 Personen folgt. Vorteil: Diese Wohnungen sind kurzfristig für Menschen in Not da. Es gibt kein warten auf eine Baugenehmigung, Baumaterial und so weiter… Dennoch träumen wir vom Bau der CASA COLONIA. Wann die Stadt Köln ein Grundstück an uns verkauft, steht in den Sternen.

 

Casa Colonia ist spendenfinanziert, sie arbeiten alle ehrenamtlich. Was motiviert Sie zu einem solchen Projekt?

Unsere Motivation ist denjenigen zu helfen, die Hilfe nötig haben. Jeder von uns könnte einmal auf Hilfe angewiesen sein.

 

Wie kann denn Kunst eine soziale Brücke sein?

In zehn Jahre haben wir siebzig Benefiz-Kunstausstellungen erfolgreich durchgeführt. Damit konnten wir rund 600.000 Euro an Geld- und Sachspenden für Obdachlose und Flüchtlinge in Köln spenden. Kunst verfolgt bei uns ausschließlich soziale Zwecke. Wir meinen: „Was soll Kunst, wenn sie nicht sozial ist“, so Joseph Beuys. Wir wollen auch weiterhin mit Kunst Brücken der Integration bauen.

 

Finden Sie, dass es an öffentlichen Geldern für Obdachlosen- und Geflüchtetenhilfe fehlt? An welchen Stellen müsste die Stadt weiter anpacken?

Laut der Europäischen Union soll Obdachlosigkeit bis 2030 abgeschafft sein. Bis dahin ist noch sehr viel zu tun. Wenn wir so langsam weitermachen wie bisher, sehe ich das nicht. Wir wollen als kleine Privatinitiative ein kleines Leuchtturmprojekt in die Tat umsetzen: CASA COLONIA.

Aktuell sammelt die Cultopia Stiftung von Kunst hilft geben e.V. Spenden als Nothilfe für Ukraine-Kriegsopfer und Obdachlose. Die Spenden werden bis 100.000 € von der Bethe-Stiftung verdoppelt. Die Aktion läuft bis zum 04.06.2022.

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Autorengruppe
Chiara Bachels
Chiara hat Mehrsprachige Kommunikation in Köln und Aix-en-Provence studiert. Ihre Interessen Kunst und Kultur teilt sie am liebsten in Wort und Schrift: „Toleranz und Sensibilität für andere Kulturen rücken im Zusammenleben viel zu oft in den Hintergrund. Kohero bietet den Raum für eine Auseinandersetzung damit“

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