Vollefarben.de ist eine Plattform, auf der Produkte von internationalen Menschen mit internationaler Geschichte angeboten werden, und das an ein Publikum, das auf der Suche nach antirassistischen Produkten mit Repräsentation ist, wie beispielsweise Kinderbücher mit Schwarzen Protagonist*innen, gerichtet ist.
Wie kommt es, dass Künstler*innen und Unternehmer*innen ihre Produkte bei Euch und nicht in einem eigenen Online-Shop vertreiben?
Viele kleine Unternehmer*innen mit einer internationalen Geschichte gründen vor allem aus Eigenbedarf heraus. Sie suchen etwas, worin sie sich selbst repräsentiert sehen, finden das nicht, und bilden sich dann in diese Richtung weiter, um dieses Produkt selbst herzustellen. Oftmals gründen sie in Teilzeit oder starten aus einem Hobby heraus, und wenn dann nicht die gewünschte Reichweite erzielt wird, geben sie schnell wieder auf.
Was letzten Endes oftmals für einen erfolgreichen Geschäftsbetrieb fehlt, sind Ressourcen, ein Netzwerk, technisches Knowhow und Marketing-Kenntnisse. Dies gilt insbesondere, um sich online durchzusetzen. Viele möchten sich auch auf das Produkt konzentrieren und haben viel Spaß an der Entwicklung, können oder wollen aber beispielsweise kein Social-Media-Marketing betreiben. Dafür gibt es dann Spezialist*innen, aber die kann sich nicht jede*r am Anfang leisten.
Genau diese Lücke wollen wir schließen und eine Plattform bieten, wo viele dieser interkulturellen Produkte zusammenkommen. Auf der anderen Seite ist vollefarben.de für Menschen da, die auf der Suche nach solchen Produkten sind. Wir machen es einfach, diese zu finden.
vollefarben.de ist ein junger Online-Shop und gerade da spielt Werbung vermutlich eine große Rolle.
Ja genau, um die Produkte zu vertreiben, nutzen wir die gesamte Palette des Online-Marketings und die Plattform selbst, welche als allgemeine Anlaufstelle für alle Produkte fungieren soll. Wir betreiben Social-Media-Marketing, sodass wir auf verschiedenen Kanälen Aufmerksamkeit für das Thema Diversität selbst generieren und dann auch gleich Lösungen anbieten, also den Ort, an dem man entsprechende Produkte finden kann.
Wir möchten, dass sich unsere Kund*innen von den vielfältigen Produkten inspirieren lassen können. Allerdings stehen wir noch am Anfang, die Produktpalette wird nach und nach ausgebaut und wir freuen uns immer, wenn andere auf uns aufmerksam werden und Vorschläge zu Labels, Brands, Produkten etc. für unser Sortiment machen.
Hast Du ein Beispiel aus dem Shop, bei welchem diese Wirkung deutlich wird?
Ein gutes Beispiel ist das Geschenkpapier von einer Unternehmerin aus Mainz. Sie versucht ihre Produkte schon länger zu vertreiben, aber die wenigsten wissen davon. Die wenigsten werden auch darauf aufmerksam. Niemand von uns wird einfach „Geschenkpapier mit afrikanischem Muster“ suchen. Genau diese Rolle erfüllen wir, indem wir aktiv nach diesen Produkten scouten und diese dann auf der Plattform anbieten.
Das aktive Scouten stellt sicherlich einen enormen Zeitaufwand dar. Rechnet ihr für die Zukunft damit, dass Unternehmer*innen und Künstler*innen selbst auf euch zukommen?
Ja, absolut. Das ist nicht nur eine Vision, es passiert tatsächlich schon. Über Social-Media treten Leute mit uns in Kontakt und möchten die Plattform gerne für sich nutzen. Das ist genau das, was wir wollen: eine Plattform für alle aufbauen.
Wie ist die Idee zu vollefarben.de entstanden?
Die kam auch durch einen Eigenbedarf. Meine Frau und ich sind relativ bewusst beim Einkaufen und auf der Suche nach Geschenken für Nichten und Neffen war uns wichtig, etwas zu schenken, worin sie sich wiederfinden. Meine Frau hat einen pakistanischen Hintergrund, ich habe einen türkischen Hintergrund. Wir sind aber beide hier geboren und aufgewachsen und gemeinsam versuchen wir, diese vielen Facetten in Einklang zu bringen.
Das Problem dabei ist, man weiß eigentlich nicht genau, wonach man suchen soll, so dass man letzten Endes das Gefühl bekommt, die Produktpalette wäre total klein. Aus diesem Bedürfnis heraus haben wir gedacht: Das ist doch eine super Idee, denn andere haben das Problem auch. Lass uns genau diesen Job erfüllen, dass wir eben all diese Produkte, die wir kennen, zusammenbringen und darüber hinaus weitere scouten.
Es kommen täglich neue Produkte auf den Markt, die genau auf die Bedürfnisse von People of Color eingehen, von Beauty-Produkten für verschiedene Hautfarben bis hin zu Literatur über Identitätsfindung. Es gibt viele Autor*innen of Colour, die sich genau mit diesen Themen befassen und auch Ratgeber für Eltern über den Umgang mit Rassismus schreiben. Wir haben festgestellt, dass es einen Teil unserer Generation gibt, der sich schon damit abgefunden hat, dass es so ist. Auf der einen Seite gibt es einen Anteil, der wirklich aktiv danach sucht. Aber dann nicht nur mit den zwei, drei Sachen zufrieden ist, die man sowieso schon kennt, sondern auf der Suche nach Auswahl ist.
Wenn man Eure Website besucht, übersieht man kaum das Poster mit dem Aufdruck „Moin Moin Habibi“. Welche Bedeutung hat dieses Produkt?
Jeder, der mehrere Identitäten mit sich trägt, hat Dinge bei sich zuhause, die kulturelle Bezüge zur Herkunft haben und die genau das widerspiegeln, wie man sich selbst sieht. Ich nenne diese Dinge „Empowerment-Artefakte“, sie vereinen die verschiedenen kulturellen Hintergründe und repräsentieren zugleich etwas Neues. Wir haben geschaut, ob wir auch in diese Richtung bedienen können und haben mit dem Poster „Moin Moin Habibi“ ein klares Statement gesetzt. Wir sind aus Hamburg und der Spruch gibt genau dieses Hamburgische wieder plus das Habibi, welches unsere kulturelle Herkunft spiegelt.
Mit den Hautfarben-Stiften mit 12 verschiedenen Farbtönen sollen Pädagog*innen und Eltern in der diskriminierungsfreien Erziehung unterstützt werden. Wie ist die Resonanz auf solche Produkte und erzielen sie den gewünschten Effekt?
Die Aufmerksamkeit für das Thema und die Resonanz auf das Buch „Gib mir mal die Hautfarbe“ sowie die Stifte nehmen immer mehr zu, sind aber noch nicht da, wo sie sein sollten. Vielleicht gerade, weil man diese nicht im stationären Handel findet. Auf der anderen Seite gibt es gerade in Großstädten schon einige Kitas und andere pädagogische Institute, die sensibel damit umgehen und wo auch verbalisiert wird: Hautfarbe ist unterschiedlich. Es gibt nicht nur das typische Rosa. Am Ende ist es stark abhängig vom Ermessen der Lehr- oder Erziehungskraft.
Deutschland schreibt sich auf die Fahne, neben einem attraktiven Standort für Gründer*innen auch besonders divers zu sein. Auf welche Hürden treffen von Diskriminierung betroffene Personen im Gründungsprozess?
Ich habe in der Scouting-Phase mit einer Gründerin gesprochen, die Beauty-Produkte für Schwarze Personen herstellen möchte. Da ihr zunächst das Wissen dazu gefehlt hat, wollte sie mit Herstellern zusammenarbeiten, während sie sich um den Vertrieb der Produkte kümmert. Als sie mit diesen Herstellern gesprochen hat, wurde sie belächelt und nicht verstanden. Statt aufzugeben, hat sie sich alles selbst beigebracht, hat sich die nötige Zertifizierung geholt und alle Produkte selbst hergestellt. Man merkt, dass die klassische Wirtschaft noch nicht auf diesem Stand ist, vermutlich, weil die Akteur*innen selbst davon gar nicht betroffen sind.
Abgesehen von der Bereitschaft zur Veränderung seitens der Wirtschaft, was muss passieren, damit BIPoC dieselbe Sichtbarkeit und auch am Ende den gleichen Erfolg haben?
Auf der einen Seite wird immer von Investor*innen gesagt, wie toll sie diverse Teams finden und dass sie diese bei der Gründungsförderung bevorzugen würden. Auf der anderen Seite fließen sehr wenige Investitionen in diese Richtung. Aufgrund von Vergangenheitserfahrungen erhalten letzten Endes Talente von renommierten Hochschulen eher die Investition als Newcomer*innen mit Migrationsgeschichte. Das ist eine besondere Herausforderung für die gesamte Wirtschaft. Es wäre ein Einfaches, das zu kopieren, was Menschen mit Migrationsgeschichte machen, allerdings ist das erstens nicht authentisch und zweitens ist die Zielgruppe, die man anspricht, eventuell auch noch zu klein in Deutschland.
Das Konsumverhalten unterliegt einem Wandel, der durch die Digitalisierung vorangetrieben wird. Viele Eurer Produkte verkaufen sich üblicherweise über den lokalen Handel. Welche Rolle soll vollefarben.de in Zukunft einnehmen?
Wir würden uns sogar wünschen, dass unsere Produkte im stationären Handel überall verfügbar wären. Im Idealfall soll die Plattform in zehn Jahren vor allem eine durchgängig bekannte Marke sein, der Ort, an dem man alles findet und wo man einfachen Zugang zu Produkten von und für BIPoC hat.
Gleichzeitig soll vollefarben.de alle Aspekte des multikulturellen Lifestyles abbilden können, sprich, wir sehen uns ganzheitlich als Anbieter von Produkten, aber auch als Promotor von Künstler*innen jeglicher Art, also sei es von Gemälden, aber auch Musik, Schriften etc., sodass wir sagen können: Bei uns ist die gesamte Palette vorhanden, die zum multikulturellen Lifestyle gehört. Wir möchten die Bezugsperson sein, die einen einführt in die Welt, die es da draußen noch gibt, außerhalb des eigenen Kreises in der Familie.
Vielen Dank für das Gespräch und Deine Zeit, Burak! Möchtest Du noch eine Botschaft an die Leser:innen von kohero mitgeben?
Viele Unternehmer*innen oder Gründer*innen von Initiativen sagen: Wir sind Teil dieser Gesellschaft, wir sind hier, um uns einzubringen, sehen uns aber noch nicht repräsentiert. Menschen, die hierherkommen, möchten sich einbringen, möchten die Gesellschaft mitgestalten, mitprägen und suchen aktiv nach Wegen, das zu tun. Genau diese Menschen möchten wir mit vollefarben.de empowern. Sie geben sich nicht damit zufrieden, wie es ist, weil sie es in ihrer eigenen Kindheit vermisst haben. Und wenn sie so fühlen, dann ist es unsere Aufgabe, das bekannt zu machen und die Reichweite dafür zu schaffen.
In der neuen Printausgabe „In Arbeit“ erfährst du noch mehr über Buraks Idee hinter vollefarben.de. Außerdem erzählen andere Gründer*innen von ihrer Selbstständigkeit, den Vorteilen und Herausforderungen. Die Ausgabe gibt es auch auf vollefarben.de zu kaufen!