Das Buch vom Verschwinden – eine Rezension

Das Buch vom Verschwinden: Es war einmal und es war nicht. Das ist der Beginn vieler Märchen aus dem Orient bis hin zur Seidenstraße. Und auch dieser Roman fragt: geschah es oder geschah es nicht?

Hauptdarsteller

Hauptdarsteller sind neben den beiden männlichen Figuren Ariel, dem Israeli, und Alaa, dem israelischen Palästinenser, und dessen Großmutter Tata mit ihren Erinnerungen, vor allem die beiden politischen Katastrophen, die diese Landschaft und ihre Menschen heimsuchten. Die Shoah und die Nakba. Meisterhaft verwebt die Autorin die Geschichte und die Geschichten beider Völker mit dem gleichen Stammvater, Abraham. Die sind also eigentlich Brüder oder zumindest Cousins, deren Sprache ähnliche linguistische Wurzeln hat.

Geschichte beider Seiten

Eine emotional aufrüttelnde Lektüre, die aber auch dazu animieren sollte, die Geschichte der einen wie der anderen Seite zu erforschen und auch zu hinterfragen.

Es gibt genug kritische Sachbücher gerade zum Status des Staates Israel, an dessen Entstehung die Europäer und die Deutschen im Besonderen direkt oder indirekt beteiligt waren. Immer wieder wird der Opferstatus ausgespielt und der daraus resultierende Narzissmus des Siegers: Wir sind die Guten, unsere Armee handelt immer moralisch und human, wir sind die einzige Demokratie im Nahen Osten. Wir sind die Modernität und sie sind rückständig und gewaltbereit.

Spurloses Verschwinden

Das spurlose plötzliche Verschwinden der arabischen Bevölkerung in Israel stellt alle vor ein Rätsel. Wieso konnten sie lautlos, ohne Vorzeichen, verschwinden? Wieso wusste der Sicherheitsdienst nichts davon? War es womöglich eine inszenierte Verschwörung?. Aber von wem und mit welchem Ziel?

Klar ist, dass das Verschwinden rein praktische Probleme aufwirft: Keine Busfahrer mehr, keine Müllmänner, keine Krankenschwestern. Und neben kritischen, hinterfragenden Stimmen scheint doch Freude und Jubel im Land zu herrschen.“ Endlich sind wir sie los. Endlich gehört das Heilige Land uns. Endlich sind Judäa und Samaria (das Westjordanland) gesäubert“. Sogleich werden Namen von Straßenschildern und Landkarten gelöscht. Die leer stehenden Häuser werden zu einem günstigen Preis angeboten (schon mal gehört, gelesen!?).

Erinnerungen

All diese politisch aktuellen Nervenfasern verbinden sich mit kartografierten Erinnerungen von Alaa und seiner Großmutter Tata, die im Jahr der Vertreibung im Land blieb und zuerst hinter Stacheldraht eingepfercht war. Für Tata sind Erinnerungen Lebenselixier – Erinnerungen an Menschen, Namen, Häuser, Straßen. Und Alaa stellt immer wieder fest, dass „sie“ , die Israelis, ihm, dem Palästinenser, nie zuhören, nie fragen, wie es ihnen, den Palästinensern, geht, was sie fühlen, was sie hoffen. Ein empathieloses geheucheltes Interesse für die Quotenaraber. Das passt zu der Aussage in Alberto Memmis Buch „Die Kolonisatoren und die Kolonisierten“: Die Kolonisierten seien keine Subjekte, sondern lediglich Objekte.

Empfehlung

Meisterhaft spielt Ibtisam Atem auf der Klaviatur zwischen Satire und Magie. Und lässt die Leser allein mit der Frage: was wäre wenn….. Es ist ein mutiges Buch, unbedingt lesenswert, anregend zu Sekundärliteratur, um alle Facetten dieses Konflikts zu erfassen, Vielfalt ist gefragt, keine Einfalt. Denn: Es gibt keine neuen Geschichten, wohl aber neue Ohren für die alten (A.A. Waberi)

Hier könnt ihr eine weitere Buchempfehlung zum Thema lesen.

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Geschichte des Menschen, der ein Flüchtling sein musste – Teil 2

„Ich bin hier in diesem Land seit fast zwei Jahren, aber bis jetzt ist mein Deutsch nicht gut. Bis jetzt muss jemand korrigieren, was ich geschrieben habe: Ich weiß nicht warum, dumm bin ich nicht. Aber vielleicht kommt es daher, weil die deutsche Sprache sehr genau ist, und ich bin das nicht. Oder vielleicht gibt es auch andere Gründe, aber auf Deutsch gibt es kaum ein Vielleicht, nur Sicherheit und ein Genau. Aber ich bin nicht in Sicherheit und auch kein Mensch der Sicherheit, weil ich ein Flüchtling bin, weil ich zwischen Vergangenheit und Zukunft verloren ging. Und ich habe nur meine Vergangenheit und mein Land und meine Geschichte und meine Familie und meine Träume in meinem Land. „Es gibt keine Worte auf der Welt, die das beschreiben können, die Menschlichkeit“ Meine Gedanken gehen so: Wo bin ich? Wohin muss ich gehen? Warum ist mit mir das passiert? Was wird in Zukunft passieren? Und auch, weil alle Angst vor mir haben, und fast alle Länder mich nicht empfangen und aufnehmen dürfen. Sie sprechen über mich und meinesgleichen, als ob wir eine Infektionskrankheit seien. Das haben die Regierungen gesagt, aber die Völker haben anders reagiert, sie haben gerufen: Willkommen, Refugee! Und sie haben uns am Hauptbahnhof empfangen, und sie haben uns ihre Gefühle und ihre Zeit gegeben und ihre Unterstützung und vieles andere. Ich kann es gar nicht beschreiben, weil es keine Worte auf der Welt gibt, die das beschreiben könnten, die Menschlichkeit. Und ich möchte mich bedanken bei ihren Gewissen für all die Gefühle und die Zeit. Sechs Millionen Deutsche haben uns geholfen, sechs Millionen geben uns alles. Ein Dankeschön für ihre Menschlichkeit! Mit ihnen können wir Integration schaffen. Sie sind unsere Mütter, unsere Familie, nicht Merkel. Und auch, weil es jeden Tag ein neues Gesetz gibt, und mit jedem

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Shangyrak: Übergänge, Sprachen und Träume

Menschen sind wie Verwandte von Vögeln. Sie verlassen ihr gemütliches Nest, damit sie in einer neuen Heimat ein neues Nest aufbauen können. Ich habe ein spannendes Gedicht von einer kirgisischen Dichterin namens Nuriza Ömurbaeva gehört, der übersetzt „Heimatlose Vögel“ heißt. In ihrem Gedicht vergleicht sie die Menschen mit den Vögeln. Am besten hat mich ein Satz berührt, den ich auf folgende Weise übersetzt habe:  „Vögel, die ihre Heimat verlassen, bei denen ist es nicht bekannt, wann und ob sie überhaupt in ihre Heimat zurückkommen“. Es klingt für mich wie eine Berührung mit dem Tod selbst. Oder leichter ausgedrückt mit dem geistigen Tod. Als ich zum ersten Mal meine Heimat verlassen habe, war es für gebliebene Menschen so, als ob ich in eine andere Welt ausgewandert war und sie mich nie wieder finden würden. Meine große Familie musste mich sprachlos und hilflos loslassen. Dieses Gefühl von Ohnmacht fühle ich immer noch selbst, wenn ich mich von ihnen verabschieden und nach Deutschland fliegen muss. Während ein Vogel von einem Land ins andere Land fliegt, verbraucht er viel Energie. Es ist bei Menschen auch so. Bei Menschen ist es sogar noch komplizierter als bei Vögeln, weil wir denkende Wesen sind. In dieser Kolumne möchte ich gerne über Übergänge zwischen meinen Reisen und psychischen Zuständen erzählen, die ich besonders anstrengend finde. Ein Gegenteil zu Übergängen sind dann Phasen im Leben, in denen ich im Prozess bin, das heißt, mein Leben fühlt sich fließend und weich an. Übergänge zwischen Kirgisistan und Deutschland Für mich sind Flugzeuge ein Symbol für Vögel, die Menschen erfunden haben, um ihr Bedürfnis nach Freiheit zu erfüllen. Eine Übergangsphase fängt für mich an, wenn ich weiß, dass ich in einer Woche Deutschland verlassen und nach Kirgisistan fliegen werde. Ich bin oft innerlich unruhig und versuche diese Unruhe mit Beschäftigungen aller Art

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Ei, ei, das Ei!

Das Ei gilt in vielen Kulturen als Symbol für Fruchtbarkeit, neues Leben und Wiedergeburt. Denn hinter der kalten harten Schale des Eis verbirgt sich neues, aufkeimendes Leben. Es gibt ja verschiedene Geschichten, warum wir unsere Ostereier bunt anmalen. Eine erscheint mir besonderes logisch: Im Mittelalter wurde vom Aschermittwoch bis zum Karfreitag eine strenge Fastenzeit eingehalten. Während dieser Zeitspanne durfte man keine Eier oder Fleisch essen. Doch die Hühner legten fleißig weiter ihre Eier. Alle Eier der letzten Fastenwoche wurden deshalb gesammelt und aufbewahrt. Einen Kühlschrank gab es im Mittelalter noch nicht, deshalb kochte man die Eier, um sie haltbar zu machen. Damit man die „alten“ Eier nach der Fastenzeit nicht mit den frischen verwechseln konnte, wurden sie zusätzlich rot eingefärbt. Diese Eier galten dann als besonders ehrwürdig. Der Brauch, dass verschiedene Tiere und nicht nur der Osterhase für das Färben und Verstecken der Eier zuständig sind, reicht bis ins 16. Jahrhundert zurück. In Schleswig-Holstein, Westfalen, Niedersachsen und Bayern versteckte der Fuchs oder der Osterhahn die bunten Eier, in der Schweiz der Kuckuck und in Thüringen sogar der Storch. In Australien bringt ein niedliches Beuteltier Kindern die Ostereier und in Frankreich die Turmglocken. Und in Russland Peter Carl Fabergé. Heute werden Ostereier auf allerlei Arten geschmückt und nicht nur rot angemalt. (An dieser Stelle ist eine kleine, esoterische Farbkunde angebracht: Rot steht für Liebe, Gelb für Erleuchtung, Grün für Jugendlichkeit, Blau für Treue, Orange für Kraft und Weiß natürlich für Reinheit.) Hier kommt eine Do-It-Yourself Anleitung von mir: Marmoriertes Ei Dafür braucht ihr ein Dutzend weiße Eier, Zwiebelschalen und Alufolie. Die äußeren dünnen Zwiebelschalen um ein Ei wickeln und dann in Alufolie einrollen. Vorsichtig in heißes Wasser legen und ca.10 Minuten kochen. Herausnehmen, auseinander wickeln, fertig. Statt Zwiebelschalen könnt ihr auch Rotkohl verwenden, dann wird das Ei blau marmoriert. Ihr könnt

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