Christelle Yobo: „Manchmal fühle ich mich wie eine Heldin“

Der NaJe Verein möchte die afrikanische Kultur in Deutschland sichtbarer machen und Migrant*innen die Ankunft erleichtern. Wir haben die Gründerin Christelle Yobo getroffen, die vor mehr als 20 Jahren selbst nach Deutschland migriert ist und heute die Hilfe weitergeben möchte, die sie anfangs selbst erhielt.

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Christelle Yobo ist eine vielbeschäftigte Frau. Das wird schnell klar, wenn man sich mit ihr unterhält. Heute sitzt sie in der Geschäftsstelle der AWO Rothenburgsort, die sie leitet. Christelle Yobo ist außerdem Arbeitsvermittlerin im Jobcenter, Vorstandvorsitzende der Rothenburgsorter SPD, Gründerin des NaJe Vereins, sitzt im Vorstand des Stadtteilbeirates von Rothenburgsort und führt den  Wabô-Shop in Hamburg-Mundsburg. „Ach, und zwei Kinder habe ich auch noch“, ergänzt sie. Manchmal frage sie sich selbst: „Frau Yobo, wie machst du das?“, sagt sie, und verdreht lächelnd die Augen. Die 45-Jährige spricht mit Leidenschaft über ihre Tätigkeiten, lacht dabei viel und unterstützt ihre Ausführungen gerne mit Anekdoten, zum Beispiel dieser: „In Deutschland musste ich lernen: Hier hält man seine Verabredungen, egal wie das Wetter ist. Ich werde das nie vergessen: Ich hatte eine Verabredung und es hat angefangen zu regnen. Da dachte ich natürlich, ich komme nicht mehr. Aber meine Freunde haben mir erklärt, ‚Na klar treffen wir uns trotzdem!‘ In der Elfenbeinküste kannst du das vergessen, bei Regen macht niemand etwas.“

Aufgewachsen ist Christelle Yobo in Abidjan, die wirtschaftliche Hauptstadt der Elfenbeinküste. Nach Deutschland kommt sie das erste Mal für die Kunstausstellung Expo 2000 in Hannover. Dort gefällt ihr es gleich, erklärt sie: „Hier kann ich was anfangen, habe ich gedacht.“ Also kehrt sie ein Jahr später zurück nach Deutschland. Und dieses Mal, um zu bleiben: Sie will Betriebswirtschaftslehre an der Universität Hamburg studieren. Doch jetzt ist alles komplizierter als das erste Mal in Deutschland: „Als ich zur Expo 2000 kam, wurde für uns alles geregelt – das Visum, unsere Unterkünfte und so weiter. Als ich ein Jahr später zurückkam, musste ich mich um alles alleine kümmern. Und dazu noch Deutsch lernen.“ Sie arbeitet im Lager, in der Fleischerei, als Reinigungskraft, im Verkauf, um die Sprachkurse bezahlen zu können, will sich so sehr integrieren, dass sie sogar ein paar Worte Plattdeutsch lernt. Unterstützung beim Deutsch lernen oder bei Behördengängen erhält sie von Netzwerk deutscher Freunde. Ohne dieses Netzwerk wären ihr viele Dinge nicht möglich gewesen, sagt sie: „Diese Menschen, die mir anfangs geholfen haben, haben Herzen wie ein Engel.“ Mit vielen ist Christelle heute noch in Kontakt.

Nach dem Abschluss ihres Studiums beschließt Christelle Yobo, sich selbst zu engagieren. So gründet sie den NaJe Verein. NaJe steht im Gagou-Dialekt der Elfenbeinküste, Christelles Muttersprache, für „Du hast es gefunden, du hast es geschafft“, erklärt sie. Das ist das Ziel des NaJe Vereins: Migrant*innen beim Integrationsprozess in Deutschland zu unterstützen. All die Unterstützung, die sie bei ihrer Ankunft in Deutschland erhielt, will sie nun anderen zur Verfügung stellen. So organisiert der NaJe Verein ehrenamtlich Bildungs- und Kulturprojekte, Jobmessen, Coachings und das NaJe Festival, das einmal im Jahr im Juni stattfindet. Abgesehen davon leistet der Verein auch ganz konkrete Hilfe: „Gerade jetzt in Zeiten von Inflation schreien viele Familien, ohne dass man es hört.“ In Kooperation mit Hamburger Organisationen wie dem Helferteam Rothenburgsort verteilt der NaJe Verein daher Lebensmittel oder unterstützt Menschen bei der Wohnungssuche. Außerdem baut der Verein Schulen, Spielplätze und Sanitäranlagen in der Elfenbeinküste. Denn wenn Kinder nicht zur Schule gehen können, werden sie oft für Kinderarbeit oder als Soldaten rekrutiert, erklärt Christelle.

Viele Migrant*innen und Geflüchtete fühlen sich bei ihr besser verstanden, weil sie selbst einmal ihre Herausforderungen durchlebt hat. Und viele fühlen sich wohler, wenn sie ihre Muttersprache sprechen können: „In den Behörden, wo sie auf Deutsch sprechen müssen, trauen sich viele nicht nach dem zu fragen, was sie brauchen oder haben möchten.“

Dabei haben viele Migrant*innen in Hamburg eigentlich alles, was sie brauchen, sagt Christelle: „Oft wissen sie gar nicht, dass sie ein Recht auf eine Weiterbildung haben, dass das Jobcenter einen Führerschein bezahlen kann oder es in den Behörden eine Migrant*innenquote gibt.“ Aber viele der Internetseiten seien völlig unübersichtlich. Behörden wie das Jobcenter müssten enger mit Hilfsorganisationen zusammenarbeiten, die Kontakte in migrantische Communities haben. Daher sei es oft ohne ein Netzwerk aus gebürtigen Deutschen, wie Christelle es selbst bei ihrer Ankunft hatte, für viele Migrant*innen unmöglich, an die für sie nötigen Informationen zu kommen. Dadurch verlangsamt sich der Integrationsprozess oder kommt gar nicht erst ins Rollen, und das sei fatal: „So fühlt man sich wie ein Fisch, der nicht mehr im Wasser schwimmt. Man denkt, man lebt, aber man entwickelt sich nicht mehr weiter.“

Für das, wo Christelle heute ist, hat sie hart gearbeitet. Dabei ist es für sie immer wichtig gewesen, ein Ziel vor Augen zu haben: „Für mich war es damals klar: Egal wie hart es wird, wie lange es dauert, ich will mein Diplom haben.“ Das erfordert einiges an Organisationstalent und auch Mut, denn wie Christelle beinahe beiläufig sagt, „Es ist ja bekannt, wenn man sich als Ausländer auf eine Stelle bewirbt, hat man nie so viele Chancen wie ein Deutscher.“ Besonders gesegnet fühle sie sich durch die Unterstützung ihrer zwei Kinder: „Die merken genau, wenn ich etwas Wichtiges mache, und dann halten sie still. Ich habe meine Kleine sogar mal im Kinderwagen mit ins Vorstellungsgespräch genommen. Den Job habe ich trotzdem bekommen.“ Besonders wichtig ist ihr, ihr kulturelles Erbe an ihre Kinder weiterzugeben. „Meine Kinder sprechen Französisch und kennen unsere traditionelle Kleidung und afrikanisches Essen. Wenn ich das als Mutter nicht geschafft hätte, dann hätte ich versagt.“

Man merkt Christelle an, dass sie überzeugt von dem ist, was sie tut. Die Belohnung für die Arbeit im NaJe sei Dankbarkeit, Erfüllung und eine innere Ruhe, sagt sie. All ihre Tätigkeiten helfen ihr auch, wenn sie selbst mal verzagt:Du musst selbst gesund und stark und glücklich sein, damit andere das Gefühl haben, du kannst ihnen helfen. Egal welche Probleme ich selbst habe, durch meine Arbeit fühle ich mich wie eine Heldin.“

Der NaJe Verein organisiert ein Stadtteilfest in Rothenburgsort am 9. September und eine Job- und Ausbildungsmesse für Migrant*innen in Hamburg am 7. Oktober. Mehr Infos gibt es hier.

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Emily ist Wahlhamburgerin, Sinologiestudentin und außerdem begeistert von Sprache und Politik. Bei kohero möchte sie diesen beiden Leidenschaften zusammenbringen und mehr über Migration und die Herausforderungen, denen Menschen dabei begegnen, lernen. Sie schreibt Artikel und arbeitet am Newsletter mit.

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Emily ist Wahlhamburgerin, Sinologiestudentin und außerdem begeistert von Sprache und Politik. Bei kohero möchte sie diesen beiden Leidenschaften zusammenbringen und mehr über Migration und die Herausforderungen, denen Menschen dabei begegnen, lernen. Sie schreibt Artikel und arbeitet am Newsletter mit.

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