Oberverwaltungsgericht Münster untersagt Rückführung zweier Asylbewerber nach Italien
Das Oberverwaltungsgericht Münster hat am 20.7.2021 in zwei Fällen entschieden: Schutzberechtigte, die aus Italien nach Deutschland weitergereist sind, dürfen nicht rücküberstellt werden. Das gleiche gilt für Asylsuchende ohne Aussicht auf Unterbringung und Arbeit in Italien. Es bestehe die «ernsthafte Gefahr», dass die Männer aus Somalia und Mali in Italien über längere Zeit «elementare Bedürfnisse» wie Unterkunft und Verpflegung sowie Arbeit nicht befriedigen könnten.
Ein Schutzberechtigter aus Somalia, der in Italien bereits anerkannt war, und ein Asylbewerber aus Mali waren aus Italien nach Deutschland weitergereist. Hier hatten sie Asyl beantragt. In beiden Fällen hatte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) deshalb deren weitere Asylanträge gemäß der Dublin Abkommen abgelehnt und eine Rückführung nach Italien verfügt. Die dagegen gerichtete Klage/Berufung der beiden war erfolgreich.
Bundesverfassungsgericht erklärt Richter für befangen – afghanischer Asylbewerber ist erfogreich
In seiner Entscheidung vom 1.7.2021 hat das Bundesverfassungsgericht einen Einzelrichter am Verwaltungsgericht für befangen erklärt. Er hatte im Asylverfahren eines Afghanen negativ entschieden. Ein Befangenheitsantrag des afghanischen Asylbewerbers war erfolglos geblieben.
Wegen Besorgnis der Befangenheit kann nach § 42 Zivilprozessordnung (ZPO) ein Richter abgelehnt werden. Die Besorgnis der Befangenheit ist begründet, wenn ein Grund gegeben ist. Dieser muss dazu geeignet sein, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters anzunehmen. Wenn das Gericht die Besorgnis der Befangenheit begründet sieht, scheidet der Richter aus dem Prozess aus (siehe auch Artikel in kohero
Der Verwaltungsrichter hatte im August 2019 einer Klage der rechtsextremen NPD stattgegeben. Dabei ging es um ein Plakat für den Europawahlkampf mit dem Slogan „Stoppt die Invasion: Migration tötet!“. Die Gemeinde hatte die Entfernung angeordnet, die NPD dagegen nach der Wahl geklagt. Der Richter hatte geurteilt, das Plakat sei „als die Realität teilweise darstellend zu bewerten“. Die Zuwanderung seit 2014/15 sei geeignet, „auf lange Sicht zum Tod der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zu führen“.
Das Asylverfahren ist noch nicht abgeschlossen. Es ist anhängig beim Hessischen Verwaltungsgerichtshof. Auf jeden Fall darf der betroffene Richter in diesem Fall nicht mehr entscheiden.
Können subsidiär Schutzberechtigte ein Visum zur Wiedereinreise bekommen, obwohl ihre Aufenthaltserlaubnis erloschen ist?
Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg hat am 9.7.2021 bechlossen, dass ein ausgereister Ausländer, dem im Bundesgebiet subsidiärer Schutz zuerkannt worden ist und dessen Schutzstatus unverändert fortbesteht, grundsätzlich auch dann einen Anspruch auf Wiedereinreise hat, wenn seine Aufenthaltserlaubnis während des Aufenthaltes im Ausland erloschen ist.
Es besteht ein Anspruch auf ein Visum nach § 6 Abs. 3 Satz 2 in Verbindung mit § 25 Abs. 2 Satz 1 2. Alt. Aufenthaltsgesetz. Denn das BAMF hatte dem Betroffenen subsidiären Schutz zuerkannt. Und solange das BAMF diesen Schutzstatus nicht widerruft oder zurücknimmt, dürfen andere Behörden den Schutzstatus nicht in Zweifel ziehen. Auch muss nach Europarecht die Wiedereinreise ermöglicht werden. Denn der Mitgliedstaat, der einer Person internationalen Schutz (dies umfasst den subsidiären Schutz und die Flüchtlingseigenschaft) gewährte, muss seiner Verantwortung weiter nachkommen, sonst befände sich die Person in einem“ nicht zu vereinbarenden Schwebezustand“.
Keine Abschiebungen mehr nach Afghanistan
Bevor es aufgrund der aktuellen Ereignisse in Afghanistan überhaupt keine Abschiebungen mehr dorthin gibt, hatte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ( EuGH) hat am 3.8.2021 in einer Eilentscheidung nach der sogenannten „Rule 39-Entscheidung“ beschlossen, dass keine Abschiebungen aus Österreich nach Afghanistan vorgenommen werden dürfen. Damit wurde der für den 3.8.21 in Wien geplante Abflug gestoppt. Bei diesem Flug sollten auch Afghanen aus Deutschland abgeschoben werden. Die „Rule 39“ besagt, dass der EuGH eine einstweilige Anordnung treffen kann, wenn ansonsten eine nicht wiedergutzumachende Menschenrechtsverletzung eintritt.
Damit ist es eine Einzelfallentscheidung. Allerdings geht es in der Entscheidung generell um die Sicherheitslage in Afghanistan und nicht um etwaige besondere Umstände des Einzelfalls. Die durch die Entscheidung geäußerten Zweifel an der Abschiebung sind auch für Deutschland höchst relevant.
Das Bundesinnenministerium will den am 3.8.2021 abgesagten Abschiebeflug von München über Wien nach Afghanistan bald nachholen. Ein Sprecher hat in diesem Zusammenhang das Wort „zeitnah“ benutzt. Er bestätigte, dass sechs afghanische Männer von München aus starten sollten. Vor dem Abflug wurden aber Detonationen in Kabul gemeldet. Mit der Eilentscheidung des EuGH habe die Absage des Fluges nichts zu tun. Die Afghanen wurden zurück in Haft gebracht. Die Bundesregierung will vor allem Straftäter weiter abschieben.
Aus Deutschland werden vorerst keine Menschen mehr nach nach Afghanistan abgeschoben.
Das bestätigte das Bundesinnenministerium am 10.8.2021. Das Auswärtige Amt erstellt derzeit einen neuen Asyllagebericht für das Land, der die Hauptgrundlage für die Entscheidung über Abschiebungen ist. Dieser Bericht liegt aber noch nicht vor. Seit 2016 wurden mehr als 1.000 Migranten nach Afghanistan zurückgebracht, überwiegend Straftäter. Nach Angaben des Ministeriums leben derzeit knapp 30.000 ausreisepflichtige Afghanen in Deutschland.
Die afghanische Regierung hatte bereits vor Wochen die europäischen Länder aufgefordert wegen der steigenden Gewalt und Corona bis Oktober 2021 nicht mehr in das Land abzuschieben. Die skandinavischen Länder und die Grenzschutzagentur Frontex haben daraufhin beschlossen, aktuell keine Abschiebungen mehr vorzunehmen.
Aufgrund der aktuellen Lage in Afghanistan haben das BAMF und auch die Ausländerbehörden sämtliche Asylentscheidungen für afghanische Asylbewerber zunächst erst einmal ausgesetzt.