„Girl in Greece“ – gibt man diese Wortkombination bei Google ein, dann erscheinen tausend Bilder von jungen Frauen mit langen Haaren in wehenden Kleidern oder kurzen Shorts, die auf weiß getünchten Mäuerchen oder am türkisblauen Wasser posieren. Auf meiner Kamera befindet sich nicht ein einziges dieser Bilder.
Ich war Ende Juli für zwei Wochen in Thessaloniki, einer Stadt im Norden von Griechenland, um die Flüchtlingsarbeit vor Ort zu sehen. Das heißt konkret: für ein paar Tage bei zwei Care Centern in der Innenstadt mitzuarbeiten, Essenspakete zu packen, Kleidung zu sortieren, Menschen willkommen zu heißen und manchmal auch wegschicken zu müssen.
Es heißt auch, mich mit anderen Freiwilligen zu treffen, sich kennenzulernen, zu besprechen, gemeinsam zu beten. Das heißt, in die Refugee Camps außerhalb der Stadt zu fahren, Menschen zu treffen, die auf der Reise sind und nicht mehr weiterreisen können, teilweise seit Jahren. Das waren zwei Wochen vollgepackt mit eindrücklichen Erlebnissen, Gesprächen und Blickkontakten.
Zwei Frauen – zwei Schicksale
Während meiner Zeit in Griechenland treffe ich viele Menschen. Solche Begegnungen fangen eigentlich immer mit einem Lächeln an. Dann frage ich „Farsi baladi?“ (Spricht du persisch?), die Augen werden groß aufgerissen und der Wortschwall geht los. Die Menschen stellen Fragen, ähnliche Fragen wie meine: Wie heißt du? Wo kommst du her? Wir tauschen uns aus, finden Gemeinsamkeiten, geben uns Komplimente, lächeln und lachen. Das Leben ist schön. Dann frage ich: „Wie lange bist du schon hier?“ Und oft kippt die Stimmung an dieser Stelle. Die Antwort ist meist zwei oder drei Jahre. Sogar vier Jahre habe ich schon gehört. Ich will hier von zwei jungen Frauen erzählen, mit denen ich kurz am selben Ort zur selben Zeit zusammentraf.
Thymian-Tee und Himbeeren in einem Container in Nordgriechenland
Diejenigen, die ich im Camp getroffen habe, laden mich in ihr Zuhause ein, drängen mich gar dazu. Ich musste mich entscheiden, mit wem ich mitgehe. Mit dem kleinen Mädel, das mir einen Kuss auf die Wange gedrückt hat? Oder mit der jungen Mama, die mein Alter (23) zu haben scheint, und dessen älteste Tochter sieben Jahre alt ist? Mit der 14-Jährigen, die ihre Haare wie ich kurz trägt, aber nicht der Mode oder Einfachheit halber, sondern wegen der Läuse, die sie vor ein paar Monaten hatte.
Ich gehe dann mit einer Kurdin aus dem Iran mit, lasse die Sandalen vor der Tür stehen und trete in einen Raum ohne Betten. Und doch schläft man hier, ohne Tisch und Stühle und doch isst und lernt man hier, ein Raum für Mama und Papa, fürs Kind, für die Gäste, ein Raum in einem Container irgendwo im Nirgendwo.
Griechisch kann sie nicht, wegen Corona war hier schon lange keine Lehrkraft mehr. Aber sie war schon vor Corona hier. Drei Jahre sind es jetzt. Wenn es wieder Unterricht gibt, will sie wieder Englisch lernen oder Deutsch, sowieso werden solche Sprachen eher angeboten. Unterricht wird von Freiwilligen gemacht und die kommen meist aus dem Ausland, das ist großartig. Bloß bleiben sie meist nur eine kurze Zeit, das ist nicht großartig. Sie will nach Deutschland, will Medizin studieren.
Sie macht Tee, aus Thymian, im Wald gesammelt. Ich habe Himbeeren mitgebracht von Lidl. Der Lidl ist nicht so weit weg von ihrem Camp, aber sie scheint dort selbst nicht hinzugehen, vielleicht geht ihr Mann einkaufen. Sie hat noch nie Himbeeren gesehen, aber so etwas ähnliches schon. Ich weiß nicht, vielleicht Brombeeren? Aber ich kenne den Begriff nicht auf Persisch, also lassen wir das Thema auf sich beruhen.
Nach einer Weile verabschiede ich mich wieder. Das Camp ist eine Stunde Autofahrt von Thessaloniki entfernt und es ist schon 22 Uhr. Wir stehen vom Boden auf. Meine Beine schmerzen ein wenig vom Schneidersitz und sind zerstochen von den Mücken. Hier gibt es viele Mücken, viel mehr als in der Innenstadt, ich weiß nicht warum. Wir drücken uns fest und lange.
Ihr Mann bringt mich noch zum Tor. Er versteht nicht, warum ich Kultur und Geschichte an der Uni studiert habe. Ich weiß auch nicht so genau. Ich habe auch Persisch an der Uni gelernt und das ist doch gut, verteidige ich mich. Sonst könnten wir jetzt nicht reden, sage ich ihm. Er antwortet nicht. Vielleicht will er gar nicht mit mir reden können. Wir gehen schweigend weiter, noch ein bisschen bis zum Tor. Meine Beine jucken. Vielleicht sollte ich Biologie oder ähnliches studiere, dann könnte ich mir wahrscheinlich die Frage mit den Mücken erklären.
Müde Mama mit drei quirligen Jungs und Flugtickets nach Deutschland
In einem Park in Thessaloniki, der sich an den großen Aristoteles-Platz anschließt, treffe ich an einem Abend auf eine junge Mama mit drei Jungs. Einen stillt sie, einer spielt am Handy, einer fragt dauernd „Baba kodjast?“ (Wo ist Papa?). Sie wartet auf ihren Mann. Er ist noch bei der Arbeit. Nach zweieinhalb Jahren hat er eine Arbeitsstelle bekommen. Aber sie wollen nicht bleiben, heute noch wollen sie Schnelltests machen.
Übermorgen haben sie Flüge nach Deutschland gebucht. Die Rückflüge auch, denn das wird so verlangt, aber sie werden sie nicht brauchen. Sie will nicht zurück, niemals. Ich frage, warum sie nicht hierbleiben will. Sie erzählt von Diskriminierung, von Ablehnung, sie motz nicht laut, sie spricht leise, scheint auch mir nicht ganz zu vertrauen, zumindest lächelt sie nicht.
Ihr Blick ist leer. Sie ist müde, körperlich und emotional. Da auch ich warten muss, bleibe ich bei ihr, obwohl unser Gespräch immer wieder abbricht. Wir reden kurz über Afghanistan, dort ist sie geboren, über den Iran, dort hat sie gelebt, dann wieder über Griechenland. Ein Junge kommt dazu. Sie kennt ihn. Er sei immer hier im Park und spielt oft mit ihrem Ältesten. Auch jetzt rennen sie davon.
Dann kommt ihr Mann, irgendwas hat mit dem Test-Termin nicht funktioniert. Sie müssen den Test morgen Früh machen. Nachdem er davon berichtet hat, kann ich mich vorstellen, er freut sich. Er lacht und lächelt. Das tut gut und ich bin froh, dass die junge traurige Mama einen Mann hat, der herzlich lachen kann. Ich tausche Nummern mit seiner Frau aus. Vielleicht sieht man sich mal in Deutschland. Vielleicht sehe ich sie dann auch mal lachen. Jetzt gehen sie nach Hause. Die Jungs sind hungrig.
Girl in Greece
Google hat nicht Unrecht mit seiner Auswahl an Bildern auf die Suchanfrage „Girl in Greece“. Sie waren auch da, die gut situierten Reisenden und Einheimischen. Auch in Massen, wahrscheinlich auch zahlreicher als die Reisenden ohne Papiere, die Einheimischen ohne Eigenheim, aber sie schwirrten um mich herum, verschwommen am Rand, mein Fokus aber lag woanders.