Der letzte Syrer – eine Rezension

Mit seinem Romandebüt "Der letzte Syrer" versucht Omar Youssef Souleimane in 70 Miniaturen, die prägnant die einzelnen Protagonisten und ihre Gemütszustände aufzeigen, einigen Menschen des syrischen Arabischen Frühlings im Jahre 2011 ein Gesicht zu geben. Ist euer Interesse geweckt?

Fotograf*in: Elisa Calvet B.

Ein Beziehungsgeflecht: Youssef, Mohammad und Sarah, Joséphine und Chalil, Bilal, Raschid, Adel und Said. Sie sind alle jung und sagen dem bestehenden Regime, das seit dem Militärputsch 1963 durch Bashar Assads Vater existiert, den Kampf an. Mit Engagement und Phantasie, gewaltfrei.

Nicht bedenkend, dass ein diktatorischer Staat so nicht zu besiegen ist. Nicht ahnend, dass daraus ein internationaler Konflikt erwächst, ein Stellvertreterkrieg mit roten Linien und islamistischen Gruppierungen. Nach Jahren des Schweigens und Unterdrückung der Schrei nach Freiheit. Dieser Schrei kommt wie aus einer Echokammer und pflanzt sich fort von Tunesien über Libyien, Ägypten und dem Yemen bis nach Syrien.

Ein spontaner Aufstand junger Leute, von denen keiner weiß, wie man die Gewalt bekämpft, von denen keiner die Bedingungen und Möglichkeiten einer revolutionären Bewegung kennt. Alles, was sie wissen, ist, dass sie der Barbarei die Stirn bieten wollen. (Miguel Otero Silva)

Das Wort ist mächtiger als das Schwert.

Gekonnt baut der Autor in die Portraits der jungen Menschen die politische und gesellschaftliche Situation ein: die verschiedenen Ethnien und religiösen Strömungen des Landes, die Geschichte Syriens, das immer von außen überflutet wurde von den Heerscharen der Kalifen, der Mongolen und der Osmanen. Nicht zu vergessen die geopolitischen westlichen Interessen (Sykes-Picott Abkommen) und ihre Folgen. Und er lässt der Hoffnung Raum mit wunderbar poetischen Passagen.

Raschid: Ich habe die Erde verletzt, man muss sanft auf sie treten. Sie ist unsere Mutter und wir sind ihre verlorenen Kinder.

Mohammad: Ich habe meine Sachen gepackt, die Bücher im Garten vergraben: der Bücherbaum. Das Wort ist mächtiger als das Schwert.

Schwer erträgliche Folterszenen

Auch die Sexualität verfängt sich im Netzwerk der Freiheit. In diesem Falle die der Homosexualität. In einer alternierenden Mailkorrespondenz zwischen Mohammad und Youssef gewinnt die Unterdrückung des eigenen Begehrens, die Fernsteuerung durch festgefügte Traditionen sehr deutlich Gestalt.

Es scheint mir jedoch, als ob diese Unterdrückung speziell dem Islam zugeordnet wird und weniger den allgemeinen patriarchalischen Strukturen (auch im orthodoxen Judentum ist Homosexualität ein widernatürlicher Akt). Und dass ein frei gelebtes homosexuelles Leben als westliche Freiheit übergewichtig gewertet wird.

Westliche Beispiele: In der Bundesrepublik Deutschland war Homosexualität erst seit 1969 straffrei und in vielen Bundesstaaten der USA sogar erst 2003. Sexualität und Religion waren immer auch Macht- und Unterdrückungsinstrumente der herrschenden Klassen. Das hat sich bis heute nicht geändert, wenn auch die Mechanismen camoufliert sind. Die Folterszenen mögen für manche Leser und Leserinnen schwer erträglich sein, zeigen aber doch nur die Realität. Nicht nur in syrischen Folterkammern.

Es bleibt ein Funke Hoffnung

Im Großen und Ganzen ist der kleine Roman ein Spiegelbild jeglicher Insurrektion, der es mitunter gelingt, zu einer wahrhaften Revolution zu werden. Hier bleibt es bei einer Rebellion, der die jungen Menschen nicht gewachsen sind.

Es bleibt das Opfer oder das Exil. Und der Funke Hoffnung für das syrische Volk, dass sich irgendwann irgendwie alle Parteien zur Versöhnung, zur Aussöhnung, zum Frieden entschließen mögen. Das ist wohl das Schwierigste: Kompromisse finden, um Frieden schließen. Damals und heute.

Fazit: Unbedingt lesenswert für Leserinnen und Leser, die die Verknüpfungen von Persönlichem und Politischem schätzen. Die den Nahen Osten und besonders Syrien besser verstehen wollen.

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  • Bildschirm­foto 2023-04-06 um 12.31.34: privat
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