“Der Klimawandel ist von Menschen gemacht, er kann von Menschen gelöst werden.”

Was tust du, wenn dein Zuhause versinkt? - In dem Dokumentarfilm “One Word” von Viviana und Mark Uriona geben die Bewohner*innen der Marshallinseln einen Einblick in den Kampf gegen den Klimawandel. Im Interview erzählt uns Viviana wie der Film entstanden ist und was sie sich von der deutschen Politik im Umgang mit dem Klimawandel wünscht.

Filmplakat ONE WORD, Film über den Klimawandel

Endloses Blau umgibt die Republik der Marshallinseln, ein Inselstaat in der Nähe des Äquators im Pazifischen Ozean. Das Land erstreckt sich über drei Berg-Inseln und 29 flache Korallenatolle, die 1.156 einzelne Inseln und Inselchen umfassen. Die meisten davon liegen weniger als 1,8 Meter über dem Meeresspiegel. Die Folgen des Klimawandels sind hier deutlich zu spüren: Negative Prognosen gehen davon aus, dass die Inseln bis 2050 untergehen werden. Die Bewohner*innen stehen im Kampf gegen den Klimawandel an vorderster Front.

“One Word” ist ein partizipativer Dokumentarfilm. Neun Monate begleiteten Viviana Uriona, ihr Mann Mark Uriona und (aus der Ferne) die Filmproduzentin Maria Kling die Marshalles*innen. Sie drehten und entwickelten den Film in enger Zusammenarbeit mit den Bewohner*innen. Denn sie sind davon überzeugt, dass die Menschen auf den Marshallinseln die zuverlässigsten Expert*innen sind, wenn es um die Geschichte ihres Landes geht.

 

Du hast Politikwissenschaften studiert. Was muss passieren, um dann einen Film über den Klimawandel zu drehen?

Viviana Uriona: In Deutschland wird alles starr auseinandergehalten. Von der Politikwissenschaft her müsste man gedanklich wohl schnell auf dieses Thema kommen, tut man aber oft nicht.

Dass wir das Thema Klimawandel behandeln, liegt daran, dass wir uns schon sehr lange damit beschäftigen. Wir sind der Meinung, dass der Ansatz, den wir haben, Dokumentarfilme mit einem partizipativen Ansatz zu machen, sehr gut passt. Also, dass wir die Möglichkeit haben, in bestimmte Regionen zu gehen, in denen wir mit den Leuten vor Ort arbeiten, sie selber zu Wort kommen lassen und nicht, dass wir aus einer anderen Perspektive einen Film über sie drehen.

In diesem Sinne ist Politikwissenschaften eigentlich nicht so weit entfernt von den ganzen Thematiken, die wir in unseren Dokumentarfilmen behandeln.

 

Wie bist du auf die Idee gekommen, einen Film auf den Marshallinseln zu drehen?

Das ist eigentlich eine Frage, die Mark betrifft. In einer grauen Nacht im November 2016 ist er aus einer kindlichen Laune heraus auf die Suche gegangen, ob man nicht irgendwo eine Insel findet, auf die man ziehen kann und in Ruhe arbeiten kann. So ist er auf die Inselrepublik Kiribati gestoßen. Je mehr er über die Inselrepublik las, desto mehr Informationen fand er, die mit dem Klimawandel verbunden waren. Er weckte mich und sagte: “Ich glaube, ich habe unseren neuen Dokumentarfilm gefunden.” Also haben wir das Projekt geplant. Am 1. Januar 2018 machten wir uns auf den Weg dorthin.

Als wir auf dem Weg nach Kiribati waren, bekamen wir die Information, dass sich die politische Lage verändert hat. Die Regierung vor Ort wollte den Klimawandel nicht mehr als Thema betrachten. Die Republik sollte zu einer Art Offshore-Paradies vorangetrieben werden. Es passte ihnen nicht, dass ständig über Klimawandel gesprochen wird, auch, weil die Prognose lautet, dass es die Inseln in 20, max. 40 Jahren nicht mehr gibt. Die Region entschied sich zu einer sehr albernen Haltung. Die sagten: “Wir haben hier keinen Klimawandel.“ Aber das mussten wir natürlich akzeptieren. Heute ist die politische Richtung dort, sehr zu unserer Freude, wieder im Einklang mit allen anderen Inselstaaten in der Region.

 

Wie ging es dann von Kiribati auf die Marshallinseln?

Wir haben uns Mitte Februar entschieden, dass wir einen anderen Ort suchen, wo die Umstände vergleichbar sind. Und wir bekamen den Tipp von jemandem, den wir bis dahin nicht persönlich kannten, der uns aber viel mit der Recherche und den Kontaktaufnahmen auf Kiribati geholfen hat. Wir haben uns innerhalb von wenigen Tagen entschieden, dass wir umziehen und versuchen, das Projekt auf den Marshallinseln von null auf die Beine zu stellen. Das war ziemlich stressig, weil wir nichts hatten. Aber es klappte. Es war super. Dass es am Ende so ein großartiger Film – unserer Meinung nach – geworden ist, ist selbstverständlich den Menschen zu verdanken, die bereit waren, mitzumachen.

 

“One Word” ist nicht dein erster partizipativer Dokumentarfilm. Der Film entstand gemeinsam mit zahlreichen Marshalles*innen. Wieso hast du diese Art des Films (erneut) gewählt?

Weil ich davon überzeugt bin, dass man nicht studieren muss, um einen guten Film machen zu können. Es wäre gut, wenn viele Menschen ein solches Empowerment erfahren und Sachen verstehen, die dann von anderen Leuten erstellt werden. Wir lernen so viel und es ist so spannend, was man alles mitbekommt durch diesen Austausch. Man bricht mit so vielen Vorstellungen, die man selber hat, weil man sich selbst in den eigenen Gedanken Fragen stellt.

Wenn du den Austausch nicht hast, bleibst du in diesen Fragen. Wenn du dich aber öffnest, dann kommen auf einmal andere Fragen, die dir nicht in den Sinn kommen können, ohne bestimmtes Wissen zu haben. Und da bin ich sehr dankbar, dass wir diesen Ansatz gewählt haben, vor allem in Regionen, in denen wir kulturfremd sind. Es ist eigentlich die beste Methode. Sowohl für uns, um weiter zu wachsen, als auch dafür, Wissen, was schon vorhanden ist, freie Bahn zu geben.

 

Auf euerer Website zum Film schreibt ihr, dass die “Marshallesen die einzigen zuverlässigen Experten sind, wenn es um die Geschichte ihres Landes geht.” Wie habt ihr eure Protagonist*innen gefunden und wer sind sie?

Die Protagonist*innen haben wir gefunden, indem wir das Projekt erst einmal vorgestellt haben. Wir haben eine Auftaktveranstaltung gemacht. Es kamen ca. 80 Leute. Eine Woche später haben wir angefangen. In Workshops haben wir mit den Leuten gesprochen. In dem Antrag zum Dreh haben wir festgehalten, dass es um die Auswirkungen des Klimawandels vor Ort geht. Aber wir haben klar gemacht, dass das zunächst nur unsere Haltung ist. Es hätte sein können, dass wir dorthin kommen und die Leute uns sagen, dass der Klimawandel für sie keine Rolle spielt. Dann wird es ein Dokumentarfilm, der vielleicht die Frage einmal aufwirft, aber es geht in eine ganz andere Richtung. Es war aber schnell klar, dass der Klimawandel dort eine riesige Rolle spielt.

Dann haben wir sie gefragt, was die Leute in Europa oder auf dem amerikanischen Kontinent über ihre Kultur und die Lebensweise wissen sollten, um sie zu verstehen.

Nachdem wir das abgearbeitet haben, haben wir gefragt, mit wem wir reden müssen. Sie sagten z. B., wir müssen auf jeden Fall mit einem Fischer reden, mit jemanden aus der Forschung. So entstanden Vorschläge. Danach wurden zusätzliche Gruppen gebildet, in denen wir fragten, wer einen Fischer kennt, der bereit ist, ein Interview zu geben oder wer die Kamera, den Ton oder die Logistik machen möchte. In diese praktischen Bereiche haben wir die ganze theoretische Ausbildung eingearbeitet und selbstverständlich gebraucht.

 

Die Bewohner*innen haben vom Interview bis zum Schnitt sehr viel selbst gemacht. Wie war die Zusammenarbeit mit den Bewohner*innen der Insel? Wie sind sie dir und deinem Team begegnet? 

Ich muss immer versuchen, nicht zu heulen. Also es war großartig (Viviana hält einen Moment inne). Das sind liebenswerte, sehr freundliche Menschen, die einen Humanismus leben, von dem wir hierzulande oft nur sprechen. Man fühlt sich von Anfang an als ein Teil von ihnen. Die ersten Tage haben wir überlegt, ob das eine Art positiver Rassismus ist, weil wir ja von außen kommen und es Unterschiede gibt. Und dann wurde uns ziemlich schnell klar, dass das gar nicht der Fall ist.

Dass sie sowas wie Rassismus oder Homophobie tatsächlich nicht leben, diese toxischen Gedanken gar nicht haben. Und das ist wunderschön, auch wenn ich verstehe, dass es schwer zu glauben ist. Sie haben dort auch eine Bescheidenheit, die häufig befremdlich ist. Sie wissen ganz viel, aber sie prahlen nicht damit. Das war auch für uns eine interessante Lernkurve.

 

Einer der Protagonisten sagt: “Derselbe Ozean, der uns ernährt, bedroht und jetzt.” Wie gehen die Marshalles*innen im Allgemeinen mit dem Thema Klimawandel um?

Es ist sehr unterschiedlich. Kathy Jetn̄il-Kijiner vertieft das ein bisschen, als sie sagt: “Natürlich spielt das eine Rolle. Aber man muss trotzdem den Alltag bewältigen, man muss die Kinder in die Schule bringen, man muss die Rechnungen bezahlen.” Und trotzdem ist es latent immer da.

Das Interview mit ihr war nach der Präsentation von Chip Fletcher, die man im Film sieht. Die Stimmung im Raum war beklemmend. Man wusste, dass es nicht gut läuft. Man hat immer Hoffnungen, dass man es hinbekommt. Und dann kam Chip Fletcher mit diesen Bildern der Zukunft und du siehst z. B. den Flughafen nicht mehr. Alles, was im Film besprochen wird, sind schon Themen und Überlegungen, die eine Rolle spielen im Alltag. Aber es werden trotzdem auch Geburtstage gefeiert und es wird geheiratet. 

 

Du hast die Animationen gerade angesprochen. Sie zeigen, wie das Wasser in den nächsten Jahren die Inseln immer weiter einnimmt, sogar verschwinden lässt. Die Bewohner*innen blicken dennoch hoffnungsvoll in die Zukunft. Woher nehmen sie diesen Optimismus?

Aus einer kämpferischen Haltung heraus. Also, es wäre ganz dramatisch, wenn wir keinen Optimismus mehr hätten. Dann würden wir auch nicht mehr weiter vorankommen. Dann würde es auch hier in Deutschland ganz düster aussehen.

Eunice Borero bringt es ganz gut auf den Punkt: Es gibt eine jüngere Generation, die zu einem aufschaut und da kann man nicht sagen, dass man keine Hoffnung mehr hat. Wie denn? Es ist etwas, was wir selber verursachen und nicht lösen können? Das ist irgendwie unlogisch. Wenn wir etwas verursachen, können wir auch was anderes verursachen. Ich glaube, das ist die grundlegende Haltung, die dahinter steckt. Es geht nicht um eine Naturkatastrophe, zu der wir nicht beigetragen haben, sondern die Naturkatastrophen sind das Ergebnis unserer Lebensweise. Es ist von Menschen gemacht, es kann von Menschen gelöst werden.

 

Mitte Juli gab es in Teilen Deutschlands verheerende Flutkatastrophen. Was haben die Bilder mit dir gemacht? 

Wir waren in der Zeit auf Dreh, in einer sehr stressigen Situation. Mittendrin bekamen wir die Information. Es hat mich erst mal fassungslos gemacht. Das sind Momente, wo ich nur den Kopf schütteln kann. Noch wütender machen mich die ganzen Informationen, die danach noch rauskamen. Dass Deutschland nicht in der Lage war, Warnsignale rechtzeitig zu berücksichtigen. Es so bürokratisch geworden, dass Menschenleben überhaupt keine Rolle spielen. Also es sind so viele Ebenen, die für mich keine Entschuldigung haben. Mehr kann ich dazu nicht sagen.

Nach einer kurzen Pause spricht sie doch weiter. 

Ich finde es interessant, dass dieses Jahr ein Wahljahr ist und ich bin gespannt, wie die Wahlen ausgehen. Ich glaube eigentlich nicht an die Gestaltungskraft von Wahlen. Das ist alles sehr viel komplizierter. Wobei, seit die AfD so stark ist sage selbst ich: “Geht wählen!” Grundsätzlich glaube ich aber, dass Wahlen in einer bürgerlichen Demokratie wenig Veränderungspotential bieten, wenn es nicht gerade um die Gemeindeebene geht.

Ich denke, die Leute müssen gemeinsam von unten die progressiven Veränderungen aufbauen, die sie wünschen. Gäbe es diesen breiten gestalterischen Akt (in Lateinamerika gibt es ihn zum Teil) und wäre er hier stark genug, würde sich der politische Überbau an ihm orientieren müssen oder ihn bekämpfen. Und das wäre dann eine Richtungsentscheidung, die sich auch in einer bürgerlichen Wahl sinnvoll wiederfinden würde: Wähle ich die, die meine Selbstermächtigung akzeptieren, sie vielleicht sogar unterstützen oder wähle ich die, die sie verhindern wollen.

Den größten Glauben habe ich also in soziale Bewegungen und in politischen Aktivismus, der für eine veränderte Welt kämpft, die uns allen zu Gute kommt. Wenn man aus Trotz nicht wählen geht, macht man allerdings die Tür für die Rechten und die Faschisten auf. Ich bin also trotzdem sehr gespannt, wie die Wahlen im September enden.

 

Du hast selbst ein beeindruckendes Beispiel für die mediale Berichterstattung über den Klimawandel geschaffen. Wie wünscht du dir den Umgang mit dieser Problematik in den Medien und auch der Politik?

Eine sehr gute Frage. Also da würde ich kurz gefasst sagen, dass ich mir Ehrlichkeit und Mut wünsche. Ehrlichkeit insofern, dass Tatsachen schon belegt sind und es Alternativen gibt, die dargestellt worden sind, es gibt Hinweise, was man machen könnte. Und was mir noch fehlt, ist der Mut, diese Sachen durchzuführen. Da stoße ich so ein bisschen auf Verständnislosigkeit. Warum man den Mut nicht hat.

Denn eigentlich hat man die Bevölkerung hinter sich bei der Thematik. Wenn wir jetzt die geringste Zahl an Verschwörungstheoretiker und Klimaleugner nicht betrachten – das ist immer noch eine Minderheit. Wovor man da noch Angst hat, das kann ich mir nur mit systemtheoretischen oder ökonomischen Verflechtungen zwischen Politik und Kapitalismus erklären.

 

Eine letzte Frage noch: Mit welchem Wort beschreibst du den Klimawandel?

Ich würde das Wort “Hoffnung” nehmen. Aber nicht aus einer religiösen Sicht, sondern wie Bloch, in dem Sinne, dass wir ein Ziel brauchen, auf das wir gezielt hinarbeiten. Und Hoffnung hat, dass diese Arbeit klappt. Deshalb würde ich das Wort Hoffnung nehmen.

 

Viviana Uriona ist zwar die Regisseurin, sagt aber, dass der Film nicht nur ihr Verdienst ist, sondern auch der vielen Menschen, die mitgewirkt haben, der ihres Mannes Mark Uriona und ihrer Kollegin Maria Kling, der Filmproduzentin beim Filmstudio Kalliope.

 

Kohero zeigt den Film „ONE WORD“ morgen, am 19. September, um 13 Uhr im Studio Kino in Hamburg. Du möchtest dabei sein? Dann melde dich hier an.

Zur Website des Filmes kommst du hier.

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Beruflich wie privat haben es Diane Wörter angetan. Doch nicht nur beim Schreiben und Lesen geht ihr Herz auf, sondern auch beim Lindy Hop. Wenn sie nicht tanzt, trifft man sich in Museen, Kinos oder auf Konzerten. Bei kohero setzet sie ihr Können im Social-Media-Bereich ein. „Für mich ist kohero eine spannende Möglichkeit mich für etwas Gutes einzusetzen und das zu tun, was ich eh gerne mach: kreativ arbeiten, schreiben und Menschen kennenlernen.“

Eine Antwort

  1. Glückwunsch an Kohero. Gute Idee diesen wichtigen Film zu zeigen.
    Und Glückwunsch den Dokumentarfilmern. Kein Ton aus dem Off. Die Menschen erzählen ihre Geschichte selbst. Das ist ungewöhnlich authentisch.
    Ich wünsche diesem Film ein größeres Publikum.
    ARTE und ähnliche Qualitätsprogramme sollten den Film unbedingt zeigen.
    Nochmals Danke.
    Vielleicht noch wichtig zu sagen: Die Bedrohung für diese Inseln und ihre Menschen geht von uns aus. Die Klimakrise wird durch uns befeuert.

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