Am 30. Mai postet ZEIT Online Politik auf Twitter Folgendes: “Integration war gestern: Deutschland ist das zweitgrößte Einwanderungsland der Welt und die Urdeutschen dürften auf absehbare Zeit zu einer numerischen Minderheit unter vielen werden. Und nun?” Darunter ein Bild von vier migrantisch gelesenen Männern in einem Cabrio, einer von ihnen am Handy. “Migranten: Sie werden die Mächtigen sein” heißt der Beitrag, der hier angeteasert werden soll. Mein erster Gedanke: ein nicht ganz so qualitätsjournalistisches wtf.
Der Artikel erscheint unter dem Schwerpunkt Weltland. In drei Beiträgen sollen Migrationsbewegungen nach Deutschland erklärt werden, so far so good. Hätte man ein wenig weiter als 1950 zurückgeschaut, würde klar werden, dass es Migration schon immer gab und wir alle in irgendeiner Form eine Migrationsgeschichte haben, doch daran will ich mich an dieser Stelle nicht aufhängen.
ABER: Wer rechte Rhetorik und rassistische Framings nutzt, diskriminiert, schürt Ängste und stärkt rechtsextreme Strömungen. Das sieht man schon daran, dass sich unter dem Post Personen tummeln, die man überwiegend rechten Gruppen zuordnen würde. Beifall von AfD-Anhänger*innen ist kein Kompliment.
Es reicht nicht, den Post zu löschen und sich erklären zu wollen. “Wir haben einen Tweet zu einem Essay von @_vanessavu gelöscht. Die Wortwahl war missverständlich. Der Text handelt davon, dass Menschen mit Einwanderungsgeschichte in Deutschland statistisch bald nicht mehr in der Minderheit sein könnten” – das war nicht missverständlich, es war richtig schlimm und problematisch! Statt des Dreizeilers sollte sich die ZEIT für das Posting entschuldigen und die Bezahlschranke vor dem Beitrag entfernen. Nach diesem Teaser kann dann zumindest jede Person den Inhalt für sich selbst einordnen.
Höchster Anspruch?
Inzwischen gibt es ein neues Posting von ZEIT Online zu dem Beitrag. Als neues Bild für den Tweet wurde ein Foto von zwei Ukrainerinnen aus dem Beitrag genutzt, im Text wird das Narrativ der “Anderen” genutzt, um migrierte Menschen zu beschreiben. ZEIT Online stehe nach eigener Bezeichnung für “einen einordnenden Qualitätsjournalismus mit höchstem Anspruch”.
Was bei diesen Postings mit höchstem Anspruch eingeordnet wurde, erkenne ich ehrlich gesagt nicht. Und genau das überrascht mich auch nicht. Es ist nicht das erste Mal, dass von einem deutschen Massenmedium unsensibel, diskriminierend und verallgemeinernd über geflüchtete und migrierte Menschen berichtet wird.
Als Journalist*innen haben wir eine Verantwortung. Die ZEIT sollte das wissen und ernst nehmen. Gerade bei Themen, wo es um gesellschaftlich, politisch und strukturell diskriminierte Menschen geht, hat die Berichterstattung viel Macht. Sich dieser Macht bewusst zu sein, sie konstruktiv zu nutzen und der informierenden und einordnenden Funktion von Medien nachzukommen – das wäre eher Qualitätsjournalismus.