•Ahmad ist ein Bekannter von mir, der seit 2019 im Sudan lebt. Er hat seinen Master in Wissenschaften in Syrien abgeschlossen, bevor er das Land verlassen hat, um nicht in die Armee eingezogen zu werden. Als Syrer waren seine Optionen begrenzt und der Sudan war seine einzige Wahl, da er dort einen Verwandten hat, der ihm einen Job in einem syrischen Restaurant als Kassierer oder Verkäufer besorgt hat. Ahmad heißt eigentlich anders, aber da er wie viele Syrer immer noch Konsequenzen der Assad-Regierung fürchten muss, nutze ich nicht seinen echten Namen.
Trotzdem ist Ahmads Geschichte ähnlich wie die vieler anderer syrischer Geflüchtete, die ihr Land verlassen und in den Sudan gezogen sind.
Leider hat sich die Situation im Land Mitte April mit Zusammenstößen zwischen der sudanesische Armee (“Sudan Armed Forces”) unter der Leitung von General Abdul Fattah al-Burhan und der Miliz RSF (“Rapid Support Forces”) unter Oberbefehlshaber Mohamed Hamdan Daglo verschlechtert. Für alle Menschen im Sudan, auch für die Geflüchteten aus anderen Ländern wie Syrien, ist die Lage dramatisch. Nach Angaben der Vereinten Nationen für 2021 leben mehr als 90.000 syrische Geflüchtete in der Hauptstadt Khartum und anderen Teilen des Sudan.
Laut meinem Bekannten Ahmad ist die Lage für Syrer*innen im Sudan „tragisch“, da „es keine Sicherheit für irgendjemanden im Land gibt, einschließlich der Syrer in Khartum, die zu einer Geisterstadt geworden ist.“ Er meint, dass „11 Syrer getötet wurden und es keine Statistiken über Verletzte gibt.“
Syrer*innen und andere Ausländer flüchten gemeinsam
Ahmad schrieb mir auf Facebook, dass die aktuellen Kämpfe und Gewalt unerwartet kamen und dass viele Syrer*innen mit anderen Ausländer*innen nach Port Sudan im Osten des Landes geflüchtet sind, weil es der einzige noch funktionierende Hafen ist, der mit dem Zug erreichbar war. Es sind auch viele Jemenit*innen mit ihm in Port Sudan.
Wie viele andere Syrer*innen hoffte auch Ahmad, den Sudan verlassen zu können. Der Preis für ein Transportticket von Khartum nach Port Sudan betrug etwa 300 US-Dollar pro Person. Als ich mit Ahmad sprechen konnte, schätze er, dass etwa 5.000 Syrer*innen vor Ort sind. Die wahre Zahl ist wahrscheinlich noch höher und wird weiter steigen.
Die meisten Menschen wie Ahmad verließen Khartum nur mit ihrer Kleidung und nahmen mit, was sie tragen konnten. Viele haben ihre Arbeit verloren, und jeden Tag werden über WhatsApp-Gruppen Bilder von syrischen Geschäften und Fabriken veröffentlicht, die geplündert wurden. „Alle Menschen sind frustriert, weil sie aufgrund des unerwarteten Krieges nicht in der Lage sind, ihr Eigentum und ihr Geld zu schützen“, erzählte er mir.
Es ist schwierig, in Khartum weiterzuleben, da fast alle Geschäfte geschlossen sind und die Preise ständig steigen. Ahmad spricht von einer gemeinsamen Flucht von Syrer*innen und Sudanes*innen in andere Länder.
Die saudische Hafenstadt Dschidda ist nicht weit entfernt von Port Sudan und es soll saudische Schiffe geben, die viele Ausländer nach Saudi-Arabien bringen. Ahmad erzählte mir, dass Syrer vor Ort die Information von den saudischen Schiffsbetreibern bekommen haben, dass keine Syrer mit auf die Schiffe dürften. Der Grund sei, dass die syrischen Behörden den saudischen keine Garantie geben konnten, dass sie ihre Staatsbürger*innen aus Saudi-Arabien nach Syrien bringen können. Den syrischen Behörden fehlt es angeblich an Geld.
Eine andere Lösung sollten Flüge nach Syrien sein, organisiert von privaten Fluggesellschaften wie Cham Wings Airlines. Laut meinen Quellen gab es bisher etwa 10 Flüge, um Menschen nach Syrien zurückzubringen. Angeblich waren diese ersten Flüge kostenlos, aber „nur sehr wenige und vor allem kranke Menschen und schwangere Frauen, die dringend evakuiert werden mussten, konnten davon profitieren.“ Die Flüge seitdem seien extrem teuer, bis zu 1.100 $ und selbst wenn jemand das Geld dafür hat, gibt es kaum verfügbare Plätze. Ahmad hofft seit über einer Woche auf einen Platz.
Unterstützung ist wieder verschwunden
ِAhmad fügt hinzu: „Der Großteil der Syrer ist in die Stadt Port Sudan gegangen, während sudanesische Staatsangehörige nach Ägypten gegangen sind. Ein Visum nach Ägypten kostet aktuell zwischen 1.000 und 1.300 US-Dollar, glaube ich.“ Für uns Syrer*innen sind Visa sowieso keine realistische Option. Leider gibt es kaum Lösungen, außer irreguläre Wege zu suchen, zum Beispiel mit Schmugglern über die Grenze. Dafür braucht man laut meinen Quellen aber mindestens 400 $ um nach Ägypten zu kommen, oder das doppelte, um die Grenze zu Äthiopien zu überqueren. Und viele haben Angst davor.
Die Situation der Syrer*innen und anderen Ausländer*innen, vor allem Jemenit*innen in Port Sudan beschreibt Ahmad als „einfach extrem schlecht”. Er fügte hinzu, dass „einige Sudanesen den Ausländern Essen gebracht hatten” und dass es eine medizinische Versorgung durch den Internationalen Roten Halbmond gegeben habe, aber diese Hilfe ist in den letzten Tagen wieder verschwunden.
Die Preise für eine Unterkunft sind hoch und die Kosten für Lebensmittel sind noch höher. Er und viele Familien leben in einer Moschee, weil sie sich keine Wohnung oder andere kurzfristige Unterkunft leisten können. Die vorübergehenden Unterkünfte, die aufgebaut wurden, sind so schlecht, dass “nicht einmal Tiere dort leben könnten”. Aber das größte Problem von allen ist, dass es nur sehr wenig Trinkwasser gibt. Die Stadt Port Sudan hat sowieso in den heißen Monaten Probleme mit Trink- und Nutzwassermangel. Die Ankunft von weiteren Geflüchteten in die Stadt hat die Situation noch angespannter gemacht.
Wie bleibt man stark genug?
Während ich mit Ahmad Nachrichten per Facebook austausche und versuche, mehr über seine Situation zu erfahren, frage ich mich, was Syrerinnen und Syrer getan haben, um dieses Schicksal zu verdienen. Wie bleibt man stark genug, um nach der ersten Flucht vor dem Krieg und der Armee in Syrien ein neues Leben in einem neuen Land aufzubauen – und dann wieder alles zu verlieren?
In seinen letzten Nachrichten schrieb mir Ahmad, dass er jetzt versucht, zurück nach Syrien zu kommen, auch wenn er dann in die Armee eingezogen wird. Er sagt, es bleibt ihm keine andere Möglichkeit mehr. Der Krieg hat die Syrer*innen aus ihrem Land vertrieben, und nun ist es ein anderer Krieg, der sie zurück nach Syrien zwingt.
• Der Name wird von der Redaktion verändert,