Wenn Bildung Geld kostet

Wie beeinflusst Reichtum Bildungsgerechtigkeit? Lorena berichtet über den Zusammenhang von Geld und Bildung in Chile.

Fotograf*in: Agustín Ljósmyndun auf unsplash

Wer hätte das gedacht, dass meine Heimat mich zum Nachdenken bringt und ich mir Gedanken um das Grundrecht von Bildung mache…

Nach 20 Jahren bin ich wieder in meiner Heimat gewesen.

Chile ist ein lautes Land. Es wird gehupt und von den Verkaufsständen geschrien, um die Ware auf den Straßen von Santiago de Chile zu verkaufen. Das Land ist bunt, es gibt viele Wandbilder auf den Straßen: von den Beatles bis verspielt, und auch vergangene, hoch angesehene Künstler wie Violeta Parra und Victor Jara sind in den Gemälden verewigt. 

Viele Verkaufsstände sind auf den Straßen, die ums Überleben kämpfen. Auch alte Menschen, die eigentlich die Rente genießen sollten, und Menschen, die auf Krücken gehen, versuchen sich jeden Peso dazu zu verdienen. Mein Sohn fragte mich, als wir auf dem Wochenmarkt waren: Warum haben die Menschen hier keine Zähne? Viele der Verkäufer*innen hatten kein volles Gebiss und Lücken im Mund.

Die Kosten von Bildung

In Chile wird für die Bildung bezahlt, und umso angesehener der Beruf, umso teurer ist es. Das bedeutet, die soziale Schicht, die sich Bildung leisten kann, kann was werden.

Ich möchte die Situation verdeutlichen: Ab der Grundschule kann die Privatschule bis zu 800€ monatlich kosten, und viele Menschen in der Bevölkerung verdienen weniger als 500€ im Monat. Es gibt vom Staat halb geförderte Schulen, wo der Beitrag um die 200€ monatlich kostet. Es gibt auch öffentliche Schulen, die keine monatliche Gebühr verlangen , aber nur wenigen der Absolventen*innen wird später die Weiterbildung an einer Universität gewährt. Nur die Oberschicht kann sich eine gute Bildung für die nächste Generation leisten.

 Das ist einer der Gründe, warum junge Männer in Chile sich sterilisieren lassen und sich gegen Kinder entscheiden. Dazu kommt, dass die Arbeitssituation nicht einfach ist, der Gedanke, gekündigt zu werden, weil man nicht mehr gebraucht wird, ist häufig da…

Und so eine Vasektomie scheint endgültig zu sein, der Entschluss ist gefasst: Ich möchte keine Kinder, oder ich kann mir keine Kinder leisten – sicherlich eine sehr verantwortungsvolle Entscheidung. Aber was macht das für eine Gesellschaft aus, die sich keine Kinder mehr leisten kann?

Ein Studium kann von 5000€-10.000 Euro im Jahr kosten, das hat zur Konsequenz, dass viele junge Menschen sich verschulden und lange noch den Kredit bezahlen. Mein Bruder ist Toningenieur und zahlt mit 36 Jahren immer noch seinen Kredit ab. 

Ein Teufelskreis

Dazu kommt das Gesundheitswesen. Die Kosten einer Operationen müssen selbst getragen werden, oder nur ein kleiner Teil wird von der Krankenversicherung übernommen. Und da die Lebenskosten in Chile hoch sind , können die wenigsten Geld sparen. 

Ein Teufelskreis, der Chile um eine Generation bringt. Ist es wirklich die eigene Entscheidung? Mein Bruder sagte zu mir:“ Wenn ich reich wäre, würde ich mir keine Gedanken machen und Kinder in diese Welt setzen, aber ich bin nicht reich und kann mir keine Kinder leisten“, und mein Bruder gehört zum Mittelstand wohlgemerkt….

Eine Generation schafft sich selbst ab, das ist die Zukunft, wenn sich nichts ändert. Bildung sollte weltweit ein Grundrecht sein und vom Staat finanziert werden.

 

 

Mehr zum Thema Bildungsgerechtigkeit erfährst Du in unserer Printausgabe #9: Was weiß ich?

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Geboren in Santiago de Chile. Seit ihrem 10. Lebensjahr lebt Lorena in Hamburg. Sie ist vielfältig: schreibt , fotografiert, zeichnet und hat Schauspiel- und Bühnenerfahrung. Ausgebildet als Erzieherin und Kunsttherapeutin. Heute arbeitet sie in einer Pflegeeinrichtung als Betreuungsfachkraft. „Als Autorin bei kohero wird mein Kindheitstraum Wirklichkeit, ich wollte Journalistin werden. Geschichten können etwas Magisches haben, um die Welt etwas besser werden zu lassen.“

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Der Hafen von Tripolis in Libyen. Foto: Tauralbus via flickr unter CC BY 2.0 Lizenz

„Lage in Libyen ist für alle katastrophal“

Die Lage für Geflüchtete in Libyen ist katastrophal. Da sind sich Organisationen wie Human Rights Watch und das UNHCR einig. Wir haben mit Salah Ngab gesprochen, der aus Libyen stammt und dort als Journalist gearbeitet hat. Er sagt: Einem Land, in dem die Diktatur herrschte, kann man nicht einfach die westliche Demokratie überstülpen.

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Photo by Becca Tapert on Unsplash

Frauen oder Zwei gefallene Königinnen, Teil 2: Adriana, die Königin der Politik

Ihr Blick reicht nicht bis zu jener Straße, ein paar Viertel weiter, wo sie geboren und groß geworden ist. Es war ein bescheidenes Zuhause, ein altes und schmuckloses Gebäude. Nicht wie das exklusive Wohnhaus, wo sie die letzten Jahre ein Leben im puren Luxus mit ihrem Mann geführt hat. Adriana wollte auch niemals wieder an ihren Anfang denken, geschweige denn etwas davon sehen. Sie weiß, dass sie sehr hart gearbeitet hat, um dahin zu kommen, wo sie einmal war: die First Lady des Bundesstaates Rio de Janeiro. Ihr Mann war der ehemalige Gouverneur Sergio Cabral. Sein opulentes Leben wurde mit der Sparsamkeit einer kargen Gefängniszelle getauscht. Er kann auf eine Zukunft von 57 Jahren hinter Gittern blicken, vorausgesetzt keine weiteren Anklagen werden gegen ihn erhoben. Adriana hat ihren erfolgreichen Weg in die Politik minutiös und zielsicher geplant. Schon während des Jurastudiums hat sie alles daran gesetzt, mit dem Professor Fichtner ein mehr als freundschaftliches Verhältnis aufzubauen. Sie wusste, dass Fichtner ein guter Freund von Cabral war, damals Abgeordneter im brasilianischen Kongress. Später wurde der Professor Stellvertreter von Cabral im Senat, als er Gouverneur wurde. Schon vor dem kometenhaften Aufstieg war Cabral Präsident der Legislativen Kamera von Rio. Professor Fichtner war dort Generalsekretär. Und auf seine Einladung hin wurde Adriana als Referentin eingestellt. Von der Verkäuferin zur gewieften Anwältin an der Seite des Senators Adriana erinnert sich zwischen zwei Zigarettenzügen, wie sie ihren künftigen Mann kennengelernt hat: er, der charismatische Politiker, und sie, die gewiefte und kluge Anwältin, die jetzt ihre neue Zukunft sah. Die Scheidung vom ehemaligen Ehepartner erfolgte schnell. 2004 wurde Adriana mit einer rauschenden Hochzeitsparty vor tausenden von Gästen die Ehefrau eines Senators. Kein schlechter Anfang für das Mädchen, dass als Verkäuferin in einem Einkaufszentrum gearbeitet hat, um das Studium zu finanzieren. Adriana wusste, dass dieser harter Weg

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Verliert Europa sein Gewissen?

Moria – verliert Europa sein Gewissen?

Die Bilder aus dem abgebrannten Flüchtlingscamp in Moria auf Lesbos in Griechenland sind erschütternd. Seit 1981 ist Griechenland Mitglied der Europäischen Union. Damit muss auch Griechenland die Charta der Grundrechte der EU anerkennen und achten. Artikel 1 dieser Charta legt die Würde des Menschen fest: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie ist zu achten und zu schützen.“ Und in Artikel 3 der Charta heißt es: „Jeder Mensch hat das Recht auf körperliche Unversehrtheit.“ Griechenland verstößt unstrittig gegen diese beiden Artikel der Menschenrechtscharta. Die Camps auf Moria waren vor dem Brand überfüllt, es gab kein sauberes Trinkwasser, eine ärztliche Versorgung wurde so gut wie nicht ermöglicht, ausreichende Lebensmittel und Unterkünfte standen nicht zur Verfügung. Nach dem Brand hat sich die Lage nun dramatisch verschlimmert. Die Menschen aus Moria haben alles verloren. Dabei besteht kein Zweifel, dass die Europäische Menschenrechtskonvention verletzt ist, wenn Asylsuchende auf der Straße leben ohne Zugang zu sauberem Wasser und sanitären Anlagen. Aber wie reagieren Griechenland und die anderen EU Staaten angesichts dieser menschenunwürdigen Verhältnisse? Friedensnobelpreis für die EU 2012  — und jetzt? 2012 wurde der EU der Friedensnobelpreis verliehen, u.a. für den erfolgreichen Kampf für die Menschenrechte. Was ist daraus geworden? Hier die Begründung des 5-köpfigen Nobelkomitees (Hervorhebung durch Autorin): „Das Norwegische Nobelkomitee hat entschieden, dass der Friedensnobelpreis 2012 an die Europäische Union (EU) vergeben wird. Die Union und ihre Vorgänger haben über sechs Jahrzehnte zur Förderung von Frieden und Versöhnung beigetragen. Seit 1945 ist diese Versöhnung Wirklichkeit geworden. Das furchtbare Leiden im Zweiten Weltkrieg zeigte die Notwendigkeit eines neuen Europa. Über 70 Jahre hatten Deutschland und Frankreich drei Kriege ausgefochten. Heute ist Krieg zwischen Deutschland und Frankreich undenkbar. Das zeigt, wie historische Feinde durch gut ausgerichtete Anstrengungen und den Aufbau gegenseitigen Vertrauens enge Partner werden können. In den 80er-Jahren sind Griechenland, Spanien und Portugal der

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Geboren in Santiago de Chile. Seit ihrem 10. Lebensjahr lebt Lorena in Hamburg. Sie ist vielfältig: schreibt , fotografiert, zeichnet und hat Schauspiel- und Bühnenerfahrung. Ausgebildet als Erzieherin und Kunsttherapeutin. Heute arbeitet sie in einer Pflegeeinrichtung als Betreuungsfachkraft. „Als Autorin bei kohero wird mein Kindheitstraum Wirklichkeit, ich wollte Journalistin werden. Geschichten können etwas Magisches haben, um die Welt etwas besser werden zu lassen.“

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