Wer hätte das gedacht, dass meine Heimat mich zum Nachdenken bringt und ich mir Gedanken um das Grundrecht von Bildung mache…
Nach 20 Jahren bin ich wieder in meiner Heimat gewesen.
Chile ist ein lautes Land. Es wird gehupt und von den Verkaufsständen geschrien, um die Ware auf den Straßen von Santiago de Chile zu verkaufen. Das Land ist bunt, es gibt viele Wandbilder auf den Straßen: von den Beatles bis verspielt, und auch vergangene, hoch angesehene Künstler wie Violeta Parra und Victor Jara sind in den Gemälden verewigt.
Viele Verkaufsstände sind auf den Straßen, die ums Überleben kämpfen. Auch alte Menschen, die eigentlich die Rente genießen sollten, und Menschen, die auf Krücken gehen, versuchen sich jeden Peso dazu zu verdienen. Mein Sohn fragte mich, als wir auf dem Wochenmarkt waren: Warum haben die Menschen hier keine Zähne? Viele der Verkäufer*innen hatten kein volles Gebiss und Lücken im Mund.
Die Kosten von Bildung
In Chile wird für die Bildung bezahlt, und umso angesehener der Beruf, umso teurer ist es. Das bedeutet, die soziale Schicht, die sich Bildung leisten kann, kann was werden.
Ich möchte die Situation verdeutlichen: Ab der Grundschule kann die Privatschule bis zu 800€ monatlich kosten, und viele Menschen in der Bevölkerung verdienen weniger als 500€ im Monat. Es gibt vom Staat halb geförderte Schulen, wo der Beitrag um die 200€ monatlich kostet. Es gibt auch öffentliche Schulen, die keine monatliche Gebühr verlangen , aber nur wenigen der Absolventen*innen wird später die Weiterbildung an einer Universität gewährt. Nur die Oberschicht kann sich eine gute Bildung für die nächste Generation leisten.
Das ist einer der Gründe, warum junge Männer in Chile sich sterilisieren lassen und sich gegen Kinder entscheiden. Dazu kommt, dass die Arbeitssituation nicht einfach ist, der Gedanke, gekündigt zu werden, weil man nicht mehr gebraucht wird, ist häufig da…
Und so eine Vasektomie scheint endgültig zu sein, der Entschluss ist gefasst: Ich möchte keine Kinder, oder ich kann mir keine Kinder leisten – sicherlich eine sehr verantwortungsvolle Entscheidung. Aber was macht das für eine Gesellschaft aus, die sich keine Kinder mehr leisten kann?
Ein Studium kann von 5000€-10.000 Euro im Jahr kosten, das hat zur Konsequenz, dass viele junge Menschen sich verschulden und lange noch den Kredit bezahlen. Mein Bruder ist Toningenieur und zahlt mit 36 Jahren immer noch seinen Kredit ab.
Ein Teufelskreis
Dazu kommt das Gesundheitswesen. Die Kosten einer Operationen müssen selbst getragen werden, oder nur ein kleiner Teil wird von der Krankenversicherung übernommen. Und da die Lebenskosten in Chile hoch sind , können die wenigsten Geld sparen.
Ein Teufelskreis, der Chile um eine Generation bringt. Ist es wirklich die eigene Entscheidung? Mein Bruder sagte zu mir:“ Wenn ich reich wäre, würde ich mir keine Gedanken machen und Kinder in diese Welt setzen, aber ich bin nicht reich und kann mir keine Kinder leisten“, und mein Bruder gehört zum Mittelstand wohlgemerkt….
Eine Generation schafft sich selbst ab, das ist die Zukunft, wenn sich nichts ändert. Bildung sollte weltweit ein Grundrecht sein und vom Staat finanziert werden.
Mehr zum Thema Bildungsgerechtigkeit erfährst Du in unserer Printausgabe #9: Was weiß ich?