Rassistische Pflichtlektüre in BaWü: Setzen, 6

Der Roman "Tauben im Gras" soll in Baden-Württemberg Pflichtlektüre an beruflichen Gymnasien werden. Das Buch beinhaltet jedoch rassistische Begriffe und Stereotype. Lehrerin Jasmin Blunt startete eine Petition: Schwarze Schülerinnen und Schüler dieser Reproduktion von Rassismus im Unterricht auszusetzen sei unzumutbar. Doch wie reagiert das Kultusministerium? Redakteurin Natalia Grote kommentiert.

Fotograf*in: Heye Jensen on unsplash

Ab 2024 soll der Roman „Tauben im Gras” in Baden-Württemberg Pflichtlektüre für das Deutsch-Abitur an berufsbildenden Schulen werden. Dagegen hat Jasmin Blunt eine Petition gestartet, denn das Buch ist voller rassistischer Stereotype und Begriffe wie dem N-Wort.

„Wenn ich mit dem N-Wort konfrontiert werde, dann hält für mich für einen Moment die Welt an. Ich fühle mich sofort hineingezogen in historische Kontexte und stelle meine Beziehungen zu anderen Menschen in Frage (…) Und mir dann vorzustellen, dass Schwarze Schülerinnen und Schüler all diese Emotionen und Gedanken im Unterricht aufarbeiten sollen – das war für mich unvorstellbar”, sagt die Schwarze Lehrerin im Interview mit ZDFheute.

Die Politik hat darauf eine klare Antwort: Jasmin Blunt solle ihren Job richtig machen, es gebe Fortbildungen und Methoden zur Unterrichtsgestaltung und generell sei das Buch anti-rassistisch. Baden-Württembergs Kultusministerin Theresa Schopper sagt: „Es geht darum, deutlich zu machen, wie Rassismus Gesellschaften prägt: damals in den 50er-Jahren, als der Roman entstanden ist, aber auch heute. Das zu behandeln, finde ich sehr wichtig.“ Gut zu wissen, dass unseren ach so aufgeklärten und diskriminierungssensiblen weißen Politiker*innen die Bildung der Schüler*innen so wichtig ist…

Wem wird zugehört?

BIPoC, Lehrer*innen sowie Schüler*innen, zu zwingen, sich dem N-Wort im Unterricht wochenlang auszusetzen, ist nicht so anti-rassistisch wie die Kultusministerin es verkauft. Die Argumentation der Politik ist gaslighting at it’s best. Jasmin Blunt vorzuwerfen, sie würde Rassismus im Unterricht nicht behandeln wollen, dreht die Debatte mit Absicht in eine andere Richtung.

Das Problem ist nicht der Roman an sich. Jede Person, die möchte, kann sich den Koeppen ins Bücherregal stellen. Das Problem ist, dass mal wieder das Werk eines weißen Mannes ausgewählt wurde, um über ein Thema aufzuklären, von dem diese Person überhaupt nicht betroffen ist. Das Problem ist auch, dass eine Debatte entstanden ist, in der weiße Menschen in der Politik und den Kommentarspalten diverser Medien das Rassismus-reproduzierende Werk eines weißen Autors verteidigen, nachdem eine Schwarze Lehrerin auf die Auswirkungen dieser Reproduktionen aufmerksam gemacht hat. Auch hier fällt ein Muster auf: Mal wieder ist es eine betroffene Person, die auf Diskriminierung hinweisen muss und der dann nichtmal zugehört wird.

Wie soll der Unterricht ablaufen? Sollen die Schüler*innen, unter ihnen selbst Betroffene, nacheinander die Zeilen vorlesen und auf 300 Seiten 100 Mal das N-Wort aussprechen? Sollen die Schüler*innen die Lektüre zuhause lesen und sich der Gewalt alleine aussetzen? Lehrt sie das über Rassismus?

Was man nicht in der Schule lernt

Ich kann Goethe zitieren, Funktionen gleichsetzen und den Aufbau eines Laubblattes auswendig, aber mein Wissen über Rassismus und dass man Dinge, die andere Menschen verletzen, nicht sagt – das habe ich nicht in der Schule gelernt. Und was ist eigentlich so schwer daran, das Werk einer Schwarzen Person in den Pflichtlektüren-Katalog zum Thema Rassismus aufzunehmen?

Die Politik hat ihre Hausaufgaben nicht gemacht. Wenn ein weißes Kultusministerium auf Hinweis einer Schwarzen Lehrerin eine Pflichtlektüre, die Rassismus reproduziert, nicht hinterfragt und sogar verteidigt, hinterfrage ich grundsätzlich die Aufarbeitung von Rassismus in der Schule – zu Schoppers Zeiten wie auch heute. Die Debatte um die Wahl von „Tauben im Gras” als Pflichtlektüre zeigt, dass der Lehrplan die Ziel-Thematik Rassismuskritik weit verfehlt. Und sie zeigt, dass die Schule kein sicherer Ort für alle ist. Bildung muss anti-diskriminierend werden. An dieser Stelle möchte ich auf den Account @my.poc.bookshelf.de verweisen, der Literatur von BIPoC-Autor*innen vorstellt. Das hat mich mehr gelehrt als 12 Jahre Schulunterricht.

 

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Natalia ist in den Bereichen (Mode-)Journalismus und Medienkommunikation ausgebildet und hat einen Bachelor in Management und Kommunikation. Derzeit studiert sie Digitalen Journalismus im Master. Besonders gerne schreibt sie über (und mit!) Menschen, erzählt deren Lebensgeschichten und kommentiert gesellschaftliche Themen. Sie leitet die Redaktion und das Schreibtandem von kohero. „Ich arbeite bei kohero, weil ich es wichtig finde, dass die Geschichten von Geflüchteten erzählt werden – für mehr Toleranz und ein Miteinander auf Augenhöhe.“     (Bild: Tim Hoppe, HMS)

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afghanische Flagge am Mast vor Bergen

Neues aus Afghanistan im Mai

Geheimdienst Der Geheimdienst der Taliban hat zum zweiten Mal einen Menschenrechtsaktivisten in Kabul festgenommen. Er wurde vor einem Monat ebenfalls verhaftet und nach Intervention der örtlichen Ältesten/ Senioren freigelassen. Außerdem verhaftete der Taliban-Geheimdienst Majid Zia, einen zivilen Aktivisten der vorherigen Regierung. Er wurde auf dem Flughafen von Kabul festgenommen, als er in den Iran reiste. Er war ein civil activist und Medienberater für die Rahmani-Stiftung in der vorherigen Regierung. Außerdem war er in der Vorgängerregierung als Beamter im Innenministerium tätig. 8am.media Frauenbewegung Der Führer der Taliban, Mjullah Haibatullah Akhundzada, behauptete in jüngsten Äußerungen, die Frauen seien reformiert worden. Als Reaktion darauf haben Mitglieder der starken Frauenbewegung und weitere Aktivist*innen am Freitag, den 2. Juni, eine Protestbewegung unter dem Namen Dancing in Despair (Tanzen in Verzweiflung) gestartet. Das Videomaterial zeigt eine Gruppe von Frauen, die aus Protest mit ihren Tschadors oder Burkas tanzen. In der Erklärung heißt es: „Mit unserem Tanz der Verzweiflung senden wir den Taliban und ihren Anhängern die Botschaft, dass Frauen und Mädchen nicht von ihrer Position abrücken werden, bis Gerechtigkeit, Freiheit und Gleichberechtigung erreicht sind. Wir stehen gestärkt gegen die frauenfeindliche Apartheidpolitik der Taliban.“ Gleichzeitig stieg die Anzahl der Selbstmorde von Frauen in verschiedenen Provinzen an. Aus Faryab wird berichtet, dass am 16. Mai innerhalb von 24 Stunden zwei Frauen ihr Leben verloren haben. In Diakondi hat sich ebenfalls eine Frau mittleren Alters das Leben genommen, in Ghazni ein junges Mädchen. Das Gleiche gilt für den Anstieg der Selbstmorde von Männern in verschiedenen Provinzen Afghanistans. 8am.media Giftanschlag In Sare Pul wird berichtet, dass ca. 70 männliche und weibliche Schüler*innen der Klassen eins bis sechs sowie zwei Lehrerinnen auf mysteriöse Weise einer Vergiftung zum Opfer gefallen sind. Nach Angaben von 8am hat es im vergangenen Monat auch in den Provinzen Jawzjan, Ghor und Ghazni zahlreiche mysteriöse Morde gegeben.

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Brauchen wir alle eine psychiatrische Behandlung?

Das überraschte mich und ich fragte mich, warum er das glaubte. Weil er eventuell in einer Behörde arbeitete? Oder stimmte das vielleicht sogar? Unser Leben ist nicht „normal“ Wir sind nicht „normal“ und unsere Leben sind auch nicht „normal“. Auch unsere Gedanken nicht, aber das muss nicht bedeuten, dass wir psychiatrische Patienten sind. Ein Teil von uns hat z.B. in der Vergangenheit in seinem Land normal gelebt, er hatte einen tollen Job und eine Familie um sich, und jetzt ist alles anders – alles ist „verrückt“. Sein Haus ist kaputt, seine Familienmitglieder leben an verschiedenen Orten. Sie können sich nicht treffen. Er muss vom Jobcenter Geld nehmen und sich mit einem komischen bürokratischen System befassen. Außerdem muss er eine neue Sprache lernen und seine Vergangenheit vergessen, um „richtig“ leben zu können. Aber er kann einfach nur in der Vergangenheit leben, er hatte sich vieles über seine Zukunft ausgedacht, aber das lässt sich nicht realisieren und so fragt er sich: „Warum muss ich das alles machen?“ Innere Diskussion und Zerrissenheit Ein zweiter Teil von uns hat sich z.B. in einer anderen Kultur befunden und er muss in einer neuen Gesellschaft leben. Er muss sich integrieren, aber diese Kultur ist nicht seine alte Kultur. In dieser neuen Kultur trotzt er seiner alten Gesellschaft, er kann jetzt machen, was er in seiner alten Kultur nicht durfte. Und er macht das alles, aber innerlich gibt es das große Diskutieren: Ob er es richtig oder falsch macht, ob er sich in dem Neuen finden kann, ob er richtig glaubt oder nicht, oder ob es Gott gibt, oder nicht. Ob er das wirklich machen darf, was er macht, oder nicht – so läuft die Diskussion in ihm ohne Ende. Ein dritter Teil von uns hat sich z.B. auch in einer anderen Kultur befunden, aber er hat

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Natalia ist in den Bereichen (Mode-)Journalismus und Medienkommunikation ausgebildet und hat einen Bachelor in Management und Kommunikation. Derzeit studiert sie Digitalen Journalismus im Master. Besonders gerne schreibt sie über (und mit!) Menschen, erzählt deren Lebensgeschichten und kommentiert gesellschaftliche Themen. Sie leitet die Redaktion und das Schreibtandem von kohero. „Ich arbeite bei kohero, weil ich es wichtig finde, dass die Geschichten von Geflüchteten erzählt werden – für mehr Toleranz und ein Miteinander auf Augenhöhe.“     (Bild: Tim Hoppe, HMS)

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