Ab 2024 soll der Roman „Tauben im Gras” in Baden-Württemberg Pflichtlektüre für das Deutsch-Abitur an berufsbildenden Schulen werden. Dagegen hat Jasmin Blunt eine Petition gestartet, denn das Buch ist voller rassistischer Stereotype und Begriffe wie dem N-Wort.
„Wenn ich mit dem N-Wort konfrontiert werde, dann hält für mich für einen Moment die Welt an. Ich fühle mich sofort hineingezogen in historische Kontexte und stelle meine Beziehungen zu anderen Menschen in Frage (…) Und mir dann vorzustellen, dass Schwarze Schülerinnen und Schüler all diese Emotionen und Gedanken im Unterricht aufarbeiten sollen – das war für mich unvorstellbar”, sagt die Schwarze Lehrerin im Interview mit ZDFheute.
Die Politik hat darauf eine klare Antwort: Jasmin Blunt solle ihren Job richtig machen, es gebe Fortbildungen und Methoden zur Unterrichtsgestaltung und generell sei das Buch anti-rassistisch. Baden-Württembergs Kultusministerin Theresa Schopper sagt: „Es geht darum, deutlich zu machen, wie Rassismus Gesellschaften prägt: damals in den 50er-Jahren, als der Roman entstanden ist, aber auch heute. Das zu behandeln, finde ich sehr wichtig.“ Gut zu wissen, dass unseren ach so aufgeklärten und diskriminierungssensiblen weißen Politiker*innen die Bildung der Schüler*innen so wichtig ist…
Wem wird zugehört?
BIPoC, Lehrer*innen sowie Schüler*innen, zu zwingen, sich dem N-Wort im Unterricht wochenlang auszusetzen, ist nicht so anti-rassistisch wie die Kultusministerin es verkauft. Die Argumentation der Politik ist gaslighting at it’s best. Jasmin Blunt vorzuwerfen, sie würde Rassismus im Unterricht nicht behandeln wollen, dreht die Debatte mit Absicht in eine andere Richtung.
Das Problem ist nicht der Roman an sich. Jede Person, die möchte, kann sich den Koeppen ins Bücherregal stellen. Das Problem ist, dass mal wieder das Werk eines weißen Mannes ausgewählt wurde, um über ein Thema aufzuklären, von dem diese Person überhaupt nicht betroffen ist. Das Problem ist auch, dass eine Debatte entstanden ist, in der weiße Menschen in der Politik und den Kommentarspalten diverser Medien das Rassismus-reproduzierende Werk eines weißen Autors verteidigen, nachdem eine Schwarze Lehrerin auf die Auswirkungen dieser Reproduktionen aufmerksam gemacht hat. Auch hier fällt ein Muster auf: Mal wieder ist es eine betroffene Person, die auf Diskriminierung hinweisen muss und der dann nichtmal zugehört wird.
Wie soll der Unterricht ablaufen? Sollen die Schüler*innen, unter ihnen selbst Betroffene, nacheinander die Zeilen vorlesen und auf 300 Seiten 100 Mal das N-Wort aussprechen? Sollen die Schüler*innen die Lektüre zuhause lesen und sich der Gewalt alleine aussetzen? Lehrt sie das über Rassismus?
Was man nicht in der Schule lernt
Ich kann Goethe zitieren, Funktionen gleichsetzen und den Aufbau eines Laubblattes auswendig, aber mein Wissen über Rassismus und dass man Dinge, die andere Menschen verletzen, nicht sagt – das habe ich nicht in der Schule gelernt. Und was ist eigentlich so schwer daran, das Werk einer Schwarzen Person in den Pflichtlektüren-Katalog zum Thema Rassismus aufzunehmen?
Die Politik hat ihre Hausaufgaben nicht gemacht. Wenn ein weißes Kultusministerium auf Hinweis einer Schwarzen Lehrerin eine Pflichtlektüre, die Rassismus reproduziert, nicht hinterfragt und sogar verteidigt, hinterfrage ich grundsätzlich die Aufarbeitung von Rassismus in der Schule – zu Schoppers Zeiten wie auch heute. Die Debatte um die Wahl von „Tauben im Gras” als Pflichtlektüre zeigt, dass der Lehrplan die Ziel-Thematik Rassismuskritik weit verfehlt. Und sie zeigt, dass die Schule kein sicherer Ort für alle ist. Bildung muss anti-diskriminierend werden. An dieser Stelle möchte ich auf den Account @my.poc.bookshelf.de verweisen, der Literatur von BIPoC-Autor*innen vorstellt. Das hat mich mehr gelehrt als 12 Jahre Schulunterricht.
Mehr zum Thema Bildung erfahrt ihr in unserer nächsten Printausgabe, die im Juni erscheinen wird.
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