Im Jahr 2021 hat ein Forschungsteam im Auftrag der Antidiskriminierungsstelle des Bundes das Forschungsprojekt Diskriminierungsrisiken und Diskriminierungsschutz im Gesundheitswesen vorgelegt. Das Ergebnis: Diskriminierungsrisiken gibt es sowohl im Zugang als auch in der Inanspruchnahme von gesundheitlicher Versorgung. Diskriminierungen wie Rassismus äußere sich nicht nur in Form von diskriminierendem Verhalten seitens des medizinischen Personals, sondern viel mehr durch institutionelle Praktiken und Abläufe, die ein ungleiches Behandeln von Patienten*innengruppen begünstigen würden.
Rassismus im Gesundheitswesen ist vielschichtig und betrifft Menschen auf vielen Ebenen. Manchmal richtet sich der Rassismus an das Personal im Gesundheitswesen, manchmal an die Patient*innen und manchmal kostet der Rassismus auch Leben, wenn dadurch verhindert wird, dass Krankheiten frühzeitig erkannt und richtig behandelt werden können.
Es gibt in Deutschland allerdings kaum Forschung zum Thema; wegen mangelnder Daten verläuft die Debatte oft einseitig, institutionelle Praktiken und strukturelle Ungleichheiten bleiben ausgeklammert. Daher lohnt sich ein Blick in die USA, Kanada, oder nach Großbritannien, wo es deutlich mehr belastbare Zahlen gibt.
Institutioneller Rassismus in der Medizin
Laut der Studie „We Need Access“ von Human Rights Wach in Verbindung mit der Southern Rural Black Women´s Initative of Economic and Social Justice wird bei Schwarzen Frauen viel später Gebärmutterhalskrebs diagnostiziert als bei weißen Frauen. Auch sterben sie häufiger daran, und dass, obwohl Gebärmutterhalskrebs verhinderbar und gut behandelbar ist, sofern man ihn früh genug bemerkt. Im US-Bundesstaat Georgia sterben Schwarze Frauen doppelt so oft an Krebs wie weiße Frauen, weil sie zum Beispiel seltener auf Gebärmutterhalskrebs untersucht werden, sie weniger oft über Präventionsmaßnahmen informiert werden oder ihre Schmerzen weniger ernstgenommen werden. Obwohl Gebärmutterhalskrebs in den meisten Fällen verhinderbar ist, sorgen institutioneller Rassismus, oder Faktoren wie der sozioökonomische Hintergrund für das Gegenteil. Damit werden BIPoC vom Gesundheitssystem exkludiert und von wichtigen Informationen und Dienstleistungen abgeschnitten, die ausschlaggebend für Leben und Tod sein können.
Auch in Deutschland häufen sich die Vorwürfe zu Rassismus im Gesundheitswesen, was vor allem durch die Coronapandemie bedingt wurde. Der Anteil der ausländischen Staatsangehörigen an allen Todesfällen ist während der Pandemie überdurchschnittlich gestiegen. Zwischen Januar und August 2021 starben 4500 ausländische Staatsangehörige – mehr als es 2019 im gleichen Zeitraum waren. Verursacher für die erhöhte Sterblichkeit könnten die im Schnitt schlechteren Wohn- und Arbeitsverhältnisse, der eingeschränkte Zugang zu gesunder Ernährung sowie das häufigere Nutzen von Transportmitteln sein. Doch auch hier fehlen Daten, die eine strukturelle Diskriminierung valide abbilden könnten.
Kleine Geschichtsstunde – kolonialhistorische Annahmen
Dass Menschen mit Migrations- und Fluchtgeschichte oft medizinisch unzureichend versorgt werden, liegt auch an einer Forschungs- und Wissenslücke in der Medizin. Viele Krankheitsbilder wie Hautausschläge, Neurodermitis oder Borreliose sind für das ungeschulte Auge auf dunkler Hautfarbe schwer zu erkennen – was daran liegt, dass sich entsprechende Lehrbücher vorwiegend auf weiße Patient*innen beziehen. 2020 brachte der Schwarze Medizinstudent Malone Mukwende aus Großbritannien das Fachbuch „Mind the Gap“ heraus, wo Symptome auf unterschiedlichen Hautfarben gezeigt werden, um diesem Problem entgegenzuwirken.
Zudem bestehen heute noch kolonialhistorische Vorannahmen, die abgebaut werden müssen. Andere Studien aus den USA belegen zum Beispiel, dass Herzinfarkte bei Schwarzen Frauen häufiger übersehen und deshalb nur halb so oft behandelt werden. In Großbritannien wurde herausgefunden, dass die Sterblichkeit Schwarzer Mütter infolge von Geburtskomplikationen fünfmal so hoch ist wie von weißen Müttern.
Intersektionale Perspektive nötig
Was auffällt: Es sind besonders oft Schwarze Frauen betroffen. Dies ist auf eine Verbindung von Anti-Schwarzem-Rassismus und Sexismus zurückzuführen, welche ihre Wurzeln in der Kolonialzeit hat. Um die Sklaverei zu verharmlosen, wurden Schwarzen Körpern eine höhere Leistungsfähigkeit zugesprochen. Dies zeigt sich auch heute noch im Stereotyp der „starken Schwarzen Frau“, die resistenter und angeblich weniger schmerzempfindlich sein soll. Auch das sogenannte „Südländersyndrom“ (morbus bosporus) ist heute noch weit verbreitet. Demnach werden Patient*innen, deren Herkunft aus dem mediterannen Raum vermutet wird, eine überhöhte Schmerzempfindlichkeit und ein überhöhter Schmerzausdruck zugeschrieben, obwohl schon lange bekannt ist, dass Menschen Schmerzen individuell und unabhängig von Geschlecht und Herkunft wahrnehmen. Schwarze Menschen berichten oft, mit Stereotypen seitens der Ärzteschaft konfrontiert zu werden oder bei ihren Beschwerden nicht ernst genommen zu werden.
Die Folge: Das Vertrauen in das Gesundheitswesen sinkt. Das kann dazu führen, dass Betroffene seltener medizinische Einrichtungen aufsuchen – und somit ihre Gesundheit zunehmend gefährdet wird.
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Bildquellen
- Rassismus im Gesundheitssystem: Kayla Speid on unsplash