Pham Phi Son – 36 Jahre Gast

Pham Phi Son kommt 1987 als Vertragsarbeiter aus Vietnam nach Deutschland. Jahrzehntelang arbeitet er, zahlt Steuern, gründet eine Familie – er baut sich eine Existenz in seiner neuen Heimat auf. Jetzt soll er abgeschoben werden. Natalia fragt sich: wann werden in Deutschland aus Gäst*innen Mitbürger*innen?

Fotograf*in: Maximilian Scheffler auf unsplash
Am Freitag, den 10. Februar lehnt die Sächsische Härtefallkommission einen Antrag ohne Begründung ab. Pham Phi Son, seine Frau und die 6-jährige Tochter sind sofort ausreisepflichtig. Die Geschichte der Familie Pham/Nguyen geht durch die Medien – schon seit einem Jahr. Doch was ist genau passiert? 1987 kommt Pham Phi Son (65) als Vertragsarbeiter nach Sachsen. Er ist einer von rund 60.000 Vetragsarbeitenden (1989) aus Vietnam, die seit 1980 von der DDR angeworben wurden. Ähnliche Abkommen hat die Regierung damals mit Polen, Ungarn und Mosambik, Grund ist der akute Fachkräftemangel. Dass es sich für die DDR eher um Fachkräfte und weniger um Menschen handelt, wird schnell klar: die Verträge sind befristet, es gibt keine Integrationsbemühen, deutsche und vietnamesische Arbeiter*innen werden strikt getrennt. Spulen wir nun ins Jahr 2016 vor. Pham Phi Son reist mit seiner Frau nach Vietnam. Weil eine alte Kriegsverletzung Probleme bereitet, begibt er sich in stationäre Behandlung. Laut Sächsischem Flüchtlingsrat habe er sich bei der deutschen Botschaft erkundigt, ob sich sein längerer Aufenthalt in Vietnam auf seinen Aufenthaltstitel auswirke. Im persönlichen Gespräch sei das verneint worden, diese Tatsache werde gerade noch geprüft.  Nach der Rückkehr beginnt Pham Phi Son wieder zu arbeiten und sichert sich damit seinen Lebensunterhalt. Dass die beiden länger als 6 Monate im Ausland sind, wird aber doch noch zum Problem: Son verliert seine Niederlassungserlaubnis in Deutschland. Das fällt der Behörde erst auf, als er 2017 die Geburt seiner Tochter beurkunden möchte, die eigentlich die deutsche Staatsbürgerschaft bekommen hätte.

Die Deutsche Gastfreundschaft

Die Behörde entzieht ihm und seiner Frau das Aufenthaltsrecht, es gibt eine behördliche Untersagung der weiteren Arbeitsbeschäftigung, eine Abmeldung der Wohnung von Amts wegen. Die Familie taucht unter. Es gibt keine Chance, wieder einen legalen Aufenthalt zu bekommen, denn die Niederlassung ist vor Wiedereinreise erloschen, ein Antrag auf Duldung ist aber nur möglich, wenn sich die Familie wieder in Deutschland anmeldet. Aber:  Für die Anmeldung braucht man einen neuen Mietvertrag. Stefan Taeubner, katholischer Seelsorger der Familie, erklärt, dass Vermieter*innen die Familie Pham/Nguyen wegen der Gefahr der Beihilfe zum illegalen Aufenthalt nicht unterstützen. Eine Klage gegen den Entzug des Aufenthaltsrechts scheitert vor dem Verwaltungsgericht, der erste Härtefallantrag wird von der Sächsischen Härtefallkommission abgelehnt. Der Grund: Pham Phi Son spreche zu schlecht Deutsch. Kein Wunder eigentlich, da es in den 80ern keine Motivation gab, die Menschen zu integrieren und Deutschkurse einzuführen. Rechtsanspruch auf Deutschlernen gibt es erst seit 2015. Nach 36 Jahren in Deutschland, in denen sie gearbeitet, Steuern gezahlt und sich eine Existenz aufgebaut haben, werden die drei wie ungebetene Gäst*innen behandelt. Die Familie lebt mehrere Jahre versteckt in einem anderen Bundesland und bekommt Support durch die vietnamesische Community. Da wird einem bei der deutschen Gastfreundschaft so richtig warm ums Herz. Im Januar 2022 wird die Geschichte der Familie Pham/Nguyen mit Unterstützung von Stefan Taeubner und des sächsischen Landtagsabgeordneten und SPD-Fraktionsmitglieds Frank Richter öffentlich. Die Chemnitzer Stadtgesellschaft sowie die Integrationsbeauftragte der Stadt Etelka Kobuß sorgen dafür, dass die Familie wieder eine Wohnung und eine befristete Duldung bekommt.

Katastrophe, Hoffnung, Katastrophe

Doch die Tortur geht weiter: Im August wird die erneute Befassung mit einem Härtefallantrag durch den Ausländerbeauftragten Geert Mackenroth wegen vermeintlich fehlender neuer Fakten abgelehnt. Er habe die Akten geprüft, sagt der CDU-Politiker im Interview mit der taz, und keine neuen Fakten gefunden. Ein Ausländerbeauftragter mit Hardliner-Mentalität, dessen Vater Mitglied der NSDAP und SA war… Warum darf ein Mensch allein über das Schicksal einer ganzen Familie verfügen? Der Familie Pham/Nguyen droht also wieder die Abschiebung und – weil nur seine Frau und Tochter einen vietnamesischen Pass haben – die Trennung von Vater und Familie. Dass die kleine Emilia, die noch nie in Vietnam war und im Sommer 2022 eingeschult werden sollte, wahrscheinlich traumatisiert werden würde, scheint den Behörden egal zu sein. Nach der Katastrophe, auf die Hoffnung und dann wieder eine Katastrophe folgte, geben die sächsischen Unterstützenden und die Familie nicht auf. Eine Online-Petition des Sächsischen Flüchtlingsrats (94.500 Unterzeichnende, Stand: 17.2.23, 10 Uhr) erreicht das Ziel innerhalb von vier Tagen, SPD und Gründe plädieren für humanitäre Entscheidungen für ein Bleiberecht für geduldete Menschen. Der Chemnitzer Stadtrat will sich nach der Sommerpause mit dem “Fall” befassen, der Sächsische Flüchtlingsrat hat zahlreiche Meldungen von Anwält*innen erhalten. Eine humanitäre Aufenthaltserlaubnis wäre möglich. Es trudeln zahlreiche Jobangebote ein, denn Pham Phi Son ist in der Gastronomie ausgebildet, wo derzeit Fachkräftemangel herrscht. Zu diesem Zeitpunkt wirbt Sachsen nach Fachkräften aus Vietnam – auch für die Gastronomie.

Chancen-Aufenthaltsrecht

Mit vereinten Kräften wird für die Hoffnung und eine Bleibeperspektive für die Familie gekämpft. Der Petitionsausschuss des Landtages könnte den Entzug der Niederlassungserlaubnis korrigieren. Doch im sächsischen Landtag ist das Votum der CDU entscheidend, da sie gemeinsam mit der AfD im Petitionsausschuss die rechnerische Mehrheit haben. Und auf die klare Abgrenzung der CDU zur dieser rechten Partei ist selbstverständlich Verlass: Schriftlich bestätigen die Abgeordneten den Petitionsbetreibenden, dass sie sich NICHT für die Familie einsetzen. Die Petition hat zu diesem Zeitpunkt rund 81.000 Unterschriften, fast jede fünfte kommt aus Sachsen. Der Sächsische Flüchtlingsrat bereitet mit der Familie einen dritten Antrag für die Härtefallkommission vor. Dieses Mal sind die Fakten auch für Geert Mackenroth unübersehbar: Pham Phi Son bekommt unzählige Arbeitsangebote und belegt seit 2019 einen Deutschkurs. Das Auf und Ab zwischen Existenzbedrohung, Abschiebung und Zukunftsperspektive geht in die nächste Runde. Im Dezember 2022 stehen die Ampeln der Migrationspolitik dann auf grün und zur Abwechslung mal nicht auf schwarz-blau, als die Prüfung des 3. Härtefallantrags zugelassen wird. Im gleichen Monat tritt übrigens das Chancen-Aufenthaltsrecht in Kraft, was die Einbürgerung, auch von den sogenannten Gastarbeitenden, erleichtern soll. Kleiner Hoffnungsschimmer am Rande.

Hauptsache Fachkraft

Eigentlich hätte die Chemnitzer Ausländerbehörde der Familie Pham/Nguyen ein Aufenthaltsrecht zusprechen können, das im eigenen Ermessen lag. Aber back to the roots of Vertragsarbeit, denn Pham Phi Son und seine Frau dürfen zwar nicht langfristig bleiben, aber als Fachkräfte arbeiten: Die Arbeitserlaubnis wurde ihnen erst kürzlich erteilt. Dass seine Frau eigentlich durch ihre akademische Ausbildung für ihren Job in der Gastronomie überqualifiziert ist, scheint den Behörden – wie so vieles – nicht wichtig. Doch das Durchhaltevermögen der Familie und die Unterstützung der deutschen Bevölkerung, von Einzelpersonen und NGOs bringen am Ende nichts, wenn das danze System rassistisch ist: Am 10. Februar 2023 lehnt die neunköpfige Härtefallkommission Sachsen den Antrag ohne Begründung ab. Im Interview mit der taz sagt Pham Phi Son, er sei von der demokratischen Gerechtigkeit in Deutschland enttäuscht, könne nicht schlafen und sei in Panik. Auf Facebook fragt sich Integrationsbeauftragte Etelka Kobuß nach der Entscheidung: “Welche Signale senden wir als Land in die Welt? Kommt her, wir brauchen Arbeitskräfte! Fühlt euch aber nie sicher! Richtet euch gar nicht häuslich ein. Welche Signale senden wir an die Menschen, die ebenfalls so lange schon hier leben?” Diesen Gedanken teilt auch Bildungsreferentin und Autorin Hami Nguyen, die die Petition “Familie Pham/Nguyen muss bleiben!” initiiert hat und sich damit an den sächsischen Ministerpräsident Michael Kretschmer und Bundesinnenministerin Nancy Faeser richtet. Noch kann die Chemnitzer Ausländerbehörde eine Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen für die Familie ausstellen. Es handelt sich dabei um eine Entscheidung aus Menschlichkeit, an die plädiert werden muss. Die Zivilbevölkerung muss weiterhin Druck auf die Politik machen.  

Was kann ich jetzt als Einzelperson tun?

  1. Petition unterschreiben.
  2. Den verantwortlichen Politiker*innen eine E-Mail schreiben. Hier findest du ein E-Mail-Template, das du nutzen kannst. Bitte einen individuellen Betreff wählen, um nicht gefiltert werden zu können.
  3. An Demonstration teilnehmen. Heute, am 17. Februar 2023 um 17 Uhr wird es eine Demonstration gegen die Abschiebung von Pham Phi Son vor der Chemnitzer Ausländerbehörde (Düsseldorfer Platz) geben.
  Die mediale Aufmerksamkeit um die Familie Pham/Nguyen ist wichtig und bewirkt hoffentlich, dass die Familie in Deutschland bleiben darf. Was dabei nicht vergessen werden darf ist, dass Pham Phi Son einer von sehr vielen Menschen ist, die von institutionellem Rassismus betroffen sind und deren Aufenthalt trotz der langen Dauer nicht selbstverständlich ist. Auch anderen Betroffenen muss zugehört und geholfen werden. “Wer in Deutschland keine Staatsbürgerschaft hat, ist niemals von einer Abschiebung sicher”, schreibt Hami Nguyen auf Instagram. Während die Bundesregierung Menschen zum Träumen à la Make it in Germany bringen will, bleiben sie in Deutschland vor allem eins: Fachkräfte. Denn in Deutschland bleibt man zu Gast, auch wenn der Besuch schon 36 Jahre dauert. Und man wird rausgeschmissen, wenn man für einen Moment zu lang aus dem Fenster schaut.   Stichwort Staatsbürgerschaft: Die Autor*innen von kohero haben sich in den letzten Wochen kanalübergreifend mit diesem Thema auseinandergesetzt. Mehr dazu erfährst du also ab dem 27. Februar in unserem Online-Magazin und ab dem 2. März auch in unserem Podcast! Melde dich jetzt für unseren Newsletter an, um die gesammelten Ergebnisse unserer Recherchen zu erhalten.    

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Natalia ist in den Bereichen (Mode-)Journalismus und Medienkommunikation ausgebildet und hat einen Bachelor in Management und Kommunikation. Derzeit studiert sie Digitalen Journalismus im Master. Besonders gerne schreibt sie über (und mit!) Menschen, erzählt deren Lebensgeschichten und kommentiert gesellschaftliche Themen. Sie leitet die Redaktion und das Schreibtandem von kohero. „Ich arbeite bei kohero, weil ich es wichtig finde, dass die Geschichten von Geflüchteten erzählt werden – für mehr Toleranz und ein Miteinander auf Augenhöhe.“     (Bild: Tim Hoppe, HMS)

Eine Antwort

  1. Im Artikel stehen total falsche Angaben, die Recherche scheint leider etwas mangelhaft.
    Die Härtefallkommission hatte wahrscheinlich ihre Gründe den Antrag abzulehnen, weil sie gewisse Punkte beachtet und nicht einfach übersehen oder zurechtbiegen kann.

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