Integration ist keine Einbahnstraße

Im Dezember 2016 war er plötzlich da in meinem Leben – ein Flüchtling aus Syrien, 22 Jahre jung.  Ein ernster junger Mann, sehr schüchtern, aber auch sehr ehrgeizig und zielstrebig. Unser gemeinsamer Freund Hussam vom Flüchtling Magazin hat uns beide bekannt gemacht.

Der junge Mann aus Syrien möchte unbedingt Deutsch lernen und eine Ausbildung machen. Aber wie? Morgens geht der Flüchtling aus Syrien in die Sprachschule und lernt Deutsch, aber den Rest des Tages ist er im Flüchtlingscamp und spricht nur Arabisch. Außerhalb der Schule hat er keinen Kontakt zu Deutschen. Er kann sein erlerntes Deutsch kaum anwenden. So wie ihm ergeht es den meisten Flüchtlingen. Das macht eine Integration in die deutsche Gesellschaft sehr schwierig.

Seit Dezember hat sich einiges geändert. Der junge Flüchtling und ich schreiben uns täglich und wir sehen uns meistens einmal pro Woche. Wir treffen uns um Deutsch zu lernen, aber manchmal sitzen wir auch einfach nur zusammen und quatschen. Über Gott und die Welt, über Träume oder einfach nur über das Erlebte der letzten Tage. Das zeigt Wirkung. Der junge Flüchtling spricht jetzt viel besser Deutsch und er traut sich mehr zu sprechen. Dies fällt auch seinen Lehrern auf. Seine Noten sind besser geworden.

Aber inzwischen ist es viel mehr als nur Deutsch lernen. Der junge Syrier und ich sind gute Freunde geworden. Er lernt von mir, aber ich lerne auch viel von ihm.

Mein großer Wunsch ist es, dass viel mehr Deutsche auf die Flüchtlinge zugehen und sich um ihre Integration in unseren Alltag bemühen. Wie soll sich ein Flüchtling in die neue deutsche Gesellschaft integrieren, wenn er keine Deutschen kennt? Wie soll sich ein Flüchtling mit deutschen Sitten und Gebräuchen vertraut machen, wenn es ihm keiner erklärt?

Wir Deutschen erwarten immer, dass sich die Flüchtlinge in unseren Alltag integrieren. Aber Integration ist keine Einbahnstraße. Integration muss von Flüchtlingen und Deutschen gelebt werden. Wir Deutschen müssen die Flüchtlinge an die Hand nehmen und ihnen unser Deutschland, unsere Kultur und unsere Werte erklären. Wir müssen sie willkommen heißen und einladen, an unserer Gesellschaft teilzunehmen. Man muss ihnen Chancen und Möglichkeiten aufzeigen, wie sie sich sinnvoll in unsere Gesellschaft einbringen können. Nur so kann eine dauerhafte und friedliche Integration gelingen.

Viele Flüchtlinge werden vielleicht irgendwann in ihre Heimatländer zurückkehren, aber viele werden auch bleiben. Sie werden unsere Gesellschaft dauerhaft bunter machen, eben multikulti ….

Ach ja, ich habe mich noch gar nicht vorgestellt. Mein Name ist Andrea und ich bin 51 Jahre alt.

 

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3 Antworten

  1. „Der Flüchtling“ …

    … hat keinen Namen?

    Entpersonalisieren heisst auch entmenschlichen – und ist das Schlimmste was man einem Menschen antun kann.

    Sein Foto ist hier zu sehen, aber sein Name wird nicht genannt. Schlimm.

    Und es zeigt wieviel Distanz zu diesem Menschen gewahrt wird.

    Wie soll bei so viel Distanz eine Integration überhaupt möglich sein und wie soll sie funktionieren?

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