Als meine Kollegin meinen Artikel über den Ramadan las, machte sie mich auf Chai Society aufmerksam. Chai Society brachte einen Podcast zum Thema Ramadan heraus, der sich mit der interessanten Frage auseinandersetzt, ob Ramadan “alamanisiert” wurde. Kürzlich habe ich diesen Podcast angehört. Sie sprechen über die konservative “oldschool“, die Ramadan so feiern möchten, wie er traditionell und in ihrer Erinnerung gefeiert wird. Im Gegensatz zu der “new school”, die offen für neue Formen ist.
Ich denke, dass dieser Streit mit der unterschiedlichen Erinnerung zusammenhängt. Auf der einen Seite steht die Erinnerung der Generation, die nicht hier geboren ist, sondern, so wie ich, erst als Erwachsene nach Deutschland gekommen sind. Sie haben viele Erinnerungen an die alte Heimat und die Familie. Auf der anderen Seite steht die Erinnerung der zweiten oder dritten Generation, die in Deutschland geboren oder als Kinder hierhergekommen sind. Ihre Erinnerungen beziehen sich auf Deutschland.
Deshalb fokussiere ich bei diesem Konflikt das Thema der Erinnerung. So versuche ich, die unterschiedlichen Sichtweisen der verschiedenen Generationen zu analysieren anhand der verschiedenen Erinnerungen …
Ramadan als Gefühl der Zusammengehörigkeit und Erinnerung an die Heimat
Vielen im Exil lebenden Muslimen gibt Ramadan ein Gefühl der Zusammengehörigkeit. Dies schrieb ich bereits in meinem Artikel „Was bedeutet Ramadan?“. Darüber hinaus sind auch Essen, Trinken, Kleidung, Religion eine Art Medizin gegen das Heimweh für meine Generation, die erst als Erwachsene nach Deutschland gekommen sind.
Die Menschen, die im Exil leben, nehmen von ihrer Heimat nur die Erinnerung mit. Durch diese Erinnerung leiden sie an Heimweh, Sprachweh, Kulturweh, Familienweh.
Viele Syrer, die 2015 nach Deutschland kamen, suchen syrisches Essen, syrische Restaurants, syrische Geschäfte, den arabischen oder kurdischen Akzent. Zum einen, weil sie nicht offen dafür sind, etwas Neues zu probieren. Hauptsächlich aber, weil sie, so wie alle Exilanten, in diesen Dingen ihre Heimat, ihre Kindheit, ihre Familie, ihre Erinnerung suchen.
Die im Exil lebenden Syrer nutzen Social Media nicht nur, um politisch aktiv zu sein. Vielmehr geht es ihnen auch, um die Suche nach etwas von ihrer Heimat und, um den Kontakt untereinander aufrechtzuerhalten.
Ich kann die Vertreter der „oldschool“-Sichtweise gut verstehen, weil ich selber dazugehöre. Wir möchten vieles so erleben, wie wir es als Kinder erlebt haben. So bekommen wir ein Heimatgefühl und müssen nur wenig Veränderung erleben. Menschen, die ihre Heimat verlassen, freiwillig oder unfreiwillig, müssen sich mit einer neuen Sprache, einem neuen Gesellschaftssystem, einer neuen Kultur auseinandersetzen. Sie müssen neue Freunde oder vielleicht auch eine neue Familie finden.
All das Neue können wir akzeptieren, wenn es unsere Erinnerung nicht zerstört, die wir aus unserer Heimat mitgebracht haben. Zum Beispiel die Erinnerung daran, wie wir Ramadan gefeiert haben. Wenn die Veränderungen unsere Erinnerung zerstört, können wir sie nicht akzeptieren. Dennoch wäre es manchmal gut, Veränderungen zu akzeptieren. Dies würde uns die Freiheit geben, etwas nicht mehr zu machen, was wir immer gemacht haben, oder es anders zu machen.
Die Veränderung von Ramadan
Migranten der zweiten und dritten Generation haben aufgrund der Schule, ihrer Freunde, der Kultur und der Medien andere Erfahrungen gemacht. Sie versuchen deshalb, die zwei Welten, die, in der sie leben und die ihrer Eltern zu verbinden. So „almanisieren“ sie nicht nur Ramadan, sondern auch ihre alltägliche Kultur, weil sie am Ende doch Deutsche („Alman“) sind. Daraus ergeben sich viele Konflikte zwischen den Generationen. Auch das kapitalistische System und Social Media verändern uns. Zum Teil sind sie auch verantwortlich für die Veränderung des Ramadans.
Die Eltern der ersten Generation definieren sich als Syrer, Türken, Afghanen, Pakistaner, Iraner, Marokkaner. Unabhängig davon, ob sie einen deutschen Pass haben oder nicht, ob sie integriert sind oder nicht oder, ob sie zur deutschen Gesellschaft dazugehören oder nicht.
Im Gegensatz dazu definieren sich ihre Kinder in erster Linie als Deutsche, und danach erst mit den Wurzeln der Eltern. Allerdings ist das bei den Jungen anders, wenn sie sich nicht von der deutschen Gesellschaft akzeptiert fühlen. Die fehlende Akzeptanz kann ihre Herkunftsgefühle verändern.
Diese jüngere Generation kann und soll nicht nur Brücken bauen zwischen ihrer Gesellschaft und der ihrer Eltern. Auch zwischen ihrer Heimat und der Heimat der Familie.
Solange Migration und Flucht ein Thema sind, bleibt auch Exil ein Thema. Wenn wir es von dieser Perspektive aus betrachten, verstehen wir den Streit und die unterschiedlichen Meinungen. So können wir vielleicht auch eine Lösung finden.