Kultur der Liebe #1: Wunsch nach Kommunikation und Empathie

Mit 18 Jahren ist Stef allein von Mexiko nach Deutschland gezogen, erstmal nur, um etwas Neues auszuprobieren. Am Ende ist sie geblieben. In der ersten Version unserer neuen Reihe "Kultur der Liebe" spricht sie über die Werte, die ihr in ihrer Kindheit im Bezug auf Sexualität vermittelt wurden und ihr heute neues Verhältnis zu Sex.

Kultur der Liebe 1, Stef
Fotograf*in: Maxi Spalek (sie/ihr; Illustratorin)

Dating und Liebe – das kann sehr schön aber auch sehr anstrengend sein. Schön, weil man auf eine Person treffen kann, die einen inspiriert, mit der man Nähe und Intimität austauschen kann. Anstrengend, weil wir in einer Gesellschaft leben, die immer schnelllebiger wird, mit sexistischen und rassistischen Stereotypen und Normen. Welche Erfahrungen machen Menschen mit Migrations- und Fluchterfahrung in Deutschland beim Daten und in der Liebe? Zwei Menschen treffen aufeinander und damit auch zwei (kulturelle) Identitäten mit unterschiedlichen Erwartungen, Sozialisierungen und Erfahrungen. Unterschiedliche Wünsche, Freiheiten und manchmal auch Sprachen. Dabei kann es zu Missverständnissen, Vorurteilen, neuen Einblicken und Gemeinsamkeiten kommen. In unserer Reihe „Kultur der Liebe“ wollen wir es genauer wissen.

In Mexiko ist Stef (29) in einer katholisch-konservativen Gesellschaft aufgewachsen. Und obwohl ihre Familie selbst nicht religiös war, ist Stef auf christliche Schulen gegangen, da diese eine gute Ausbildung boten. Durch die dortige Sexualerziehung war sie zunächst von sexueller Intimität abgeschreckt und wollte am Liebsten für immer Kind bleiben. Zwar kann sie sich daran erinnern, schon im Kindergarten immer in irgendjemanden verliebt gewesen zu sein, aber Sex wurde ihr als etwas sehr Schlimmes und Verbotenes vermittelt, vor allem für “brave Mädchen”. Sexualität war ein schambehaftetes Thema. Mittlerweile ist das nicht mehr so.

„Das war alles nicht so sexuell. Ich weiß nicht wieso“

Ich bin in Bezug auf Dating und Liebe eine Spätzünderin gewesen. Auf der einen Seite gab es das konservative Umfeld meiner Schule und auf der anderen Seite meine Freundinnen. Sie sind nicht auf christliche Schulen gegangen und hatten bereits Interesse an Sex. Häufig hatte ich dadurch das Gefühl, unter Druck zu stehen, sexuell aktiv sein zu müssen. Genau das wollte ich nicht. Deshalb war ich froh, dass ich erst spät meine Menstruation bekommen habe. Ich hatte keine Lust auf sexuelle  Erfahrungen und am liebsten wäre ich für immer Kind geblieben. Zum Teil hat das wohl schon mit der Tabuisierung an meiner Schule zu tun, das hat mich abgeschreckt. Ich wollte kein HIV bekommen oder schwanger werden.

Mit 17 Jahren hatte ich dann meinen ersten Freund. Eigentlich waren wir wie beste Freunde und daraus hat sich dann eine Beziehung entwickelt. Das Freund*innenschaftliche war überwiegend, wir hatten beide kein großes Interesse daran, Sex miteinander zu haben. Das war alles nicht so sexuell, ich weiß nicht wieso. Einmal ist es dann doch dazu gekommen, aber das hat mir nicht gut gefallen. Eigentlich haben wir es nur ausprobiert , weil es diese gesellschaftliche Erwartung gibt, dass Sex zu einer ‘richtigen’ Beziehung gehört. Es blieb das einzige Mal. Als ich mich dazu entschied, als Au-Pair nach Deutschland zu gehen, trennten wir uns. In Deutschland hatte ich erstmal keine Lust, irgendjemanden auf dieser Ebene kennenzulernen. Ich war von dem neuen Land überfordert. Nach einem Jahr fühlte ich mich hier wirklich angekommen und war bereit, neue Leute kennenzulernen.

Ich glaube, diese Zeit habe ich gebraucht, um mich ein wenig von diesen Strukturen loszulösen. Danach konnte mir niemand mehr etwas vorschreiben. Ich habe angefangen, meine eigenen Grenzen zu überschreiten, Neues auszuprobieren. Es war auf einmal völlig okay für mich, mich auch auf romantische Beziehungen einzulassen. In diesem Sommer verknallte ich mich das erste Mal in Deutschland. Das war meine erste Summer-Romance. Nach diesem Sommer habe ich sozusagen meine Teenagerzeit mit Anfang 20 nachgeholt. Und seitdem hat mein Dating-Leben angefangen.

„Ich merke es einfach, dass es für Männer immer so ein Winning ist, dass ich aus Mexiko komme“

Im Laufe der Jahre habe ich für mich herausgefunden, dass ich One-Night-Stands nicht gerne mag. Wenn dort das Vertrauen fehlt, fühle ich mich, als ob ich der Person etwas von mir gezeigt hätte, was sie nicht verdient hat. Um mit jemandem eine Beziehung anzufangen, muss ich eine Verbindung zu dem Menschen spüren und Vertrauen haben. Ich kann das nicht nur auf das Körperliche reduzieren, nur weil ich Lust auf Sex habe. Ich hatte trotzdem auch schon gute One-Night-Stands, aber da gab es dann eine Verbindung zu der Person.

Beim Daten fällt mir immer wieder auf, dass Männer meine mexikanische Herkunft interessant finden. Ich merke einfach, dass es für Männer immer so ein Winning ist, dass ich aus Mexiko komme. Dass es als ein Pluspunkt gesehen wird und dass es für sie meine Attraktivität ausmacht. Aber ich denke, der Grund warum sie mit mir connecten können, ist, weil ich ziemlich mexikanisch-westlich aufgewachsen bin. Ich habe selbst nicht mal einen wirklichen Eindruck von meiner Kultur. Wäre ich traditioneller aufgewachsen, so vermute ich, wäre da nicht so ein großes Interesse der Männer.

Es fühlt sich aber so an, als ob sie genau diese ‘mexikanische Kultur’ in mir sehen wollen und dabei gar nicht checken, wer und wie ich eigentlich bin. Das finde ich sehr problematisch. Denn ich bin zwar Mexikanerin, aber ich fühle mich gar nicht verbunden mit den kulturellen Traditionen Mexikos. Von genau diesen wollte ich mich auch immer distanzieren. Mir wird dann ein traditionell mexikanisches Bild zugeschrieben, dem ich gar nicht entspreche. Mir ist beispielsweise erst im Rahmen der Black-Lives-Matter-Bewegung klar geworden, dass ich in Deutschland nicht als weiß wahrgenommen werde.

In Mexiko hingegen habe ich durch mein Aussehen viele Privilegien. Ich hab auch das Gefühl, dass Leute hier das gar nicht verstehen, dass es in der mexikanischen Gesellschaft auch sehr rassistische Diskriminierungen gibt, vor allem gegen die indigene Bevölkerung. In Deutschland  ist es, als ob ich quasi noch white genug bin. Würde ich wie die Hauptdarstellerin in dem mexikanischen Film ROMA aussehen, würde der Pluspunkt der Mexikanerin plötzlich nicht mehr gelten, sondern eher ein Nachteil sein.

Und obwohl ich mich lange auch selbst als sehr weiß wahrgenommen habe und nicht akzeptieren wollte, dass ich aufgrund meiner Herkunft oder meines Aussehens Diskriminierungen erlebe, muss ich mir schon eingestehen, auch rassistische Erfahrungen in einer Beziehung gemacht zu haben.

„Ich versuch es zu ändern, aber ich komme immer wieder an dieselben Leute“

Ich muss auch zugeben, dass ich diese Stereotypisierung und Präferenzen bei mir selber merke und das hat viel mit meiner westlichen Sozialisierung zu tun. Zum Beispiel bin ich nicht so interessiert daran, mexikanische Typen zu daten. Ich orientiere mich auch eher an westlichen Weißen, das finde ich richtig crazy. Das hat damit zu tun, dass man in Mexiko so erzogen wird, sich am Westen zu orientieren und danach zu streben. Und mir ist das auch krass eingetrichtert, ich kann das nicht von jetzt auf morgen ändern.

Ich merke, dass das die Spuren des Kolonialismus sind. Da wurde die Bevölkerung in unterschiedliche Klassen aufgeteilt, je nach Aussehen. Die Weißen, die Gemischten und die Indigenen, die waren die unterste Klasse. Und seitdem hat sich ein Regelsystem mit gewissen Privilegien entwickelt, das bis heute präsent ist und für das ich ein Beispiel bin. Aber natürlich ist es nicht so, dass es niemanden in Mexiko gibt, den ich interessant finde. Ich versuche, meine Einstellung zu ändern, orientiere mich dann aber doch wieder an denselben Leuten. Ich bin aber schon offener geworden.

Beim Daten fühle ich mich mittlerweile so sicher im Deutschen, dass es meine bevorzugte Sprache ist. In meiner Ex-Beziehung gab es immer wieder Momente, in denen ich mich nicht auf Deutsch ausdrücken konnte und dann auf Englisch gesprochen habe. Mir haben da die sprachlichen Mittel gefehlt. Erst jetzt fühle ich mich wirklich in der Lage, auf Deutsch alle meine Gefühle kommunizieren zu können und mich dabei wohl zu fühlen. Auf Spanisch mochte ich es bisher nicht zu daten, zumindest nicht mit Personen, deren Muttersprache es nicht ist.

Ich habe häufig erlebt, dass Männer mich mit ihrem nicht akzentfreien Spanisch anlabern und das finde ich einfach nur unangenehm. Mit denen auf Spanisch zu reden, mag ich nicht. Ich hab nichts dagegen, auf Spanisch zu daten und zu sprechen, aber dann möchte ich es auf meine mexikanische Art und Weise tun. Das kann ich nur, wenn ich weiß, dass die andere Person nicht nur die Hälfte versteht und auch kulturelle Bezüge zu der Sprache hat. Sonst macht es mir keinen Spaß, die Sprache zu sprechen.

Stefs Wunsch in Bezug auf Dating und Liebe ist, dass Männer sich ernsthafter mit dem Thema Feminismus auseinandersetzen. Ihr fällt auf, wie häufig die Rolle der Frau in einer Beziehung noch immer auf Care-Arbeit reduziert wird und es kein Gleichgewicht gibt. Sie wünscht sich eine ausgeglichene Fähigkeit der Kommunikation, den Umgang mit eigenen Gefühlen und dabei auch eine Selbstreflexion. Stef wünscht sich, dass bei Menschen mehr Empathie im Umgang miteinander herrschen würde.

 

Die Reihe „Kultur der Liebe“ erscheint zweiwöchentlich. Möchtest auch du Teil unserer Reihe werden und uns von deinen Erfahrungen rund ums Dating erzählen? Melde dich unter team@kohero-magazin.de oder per DM auf Instagram oder Facebook. Die Porträts der Reihe “Kultur der Liebe” werden von Maxi Spalek illustriert.

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Kategorie & Format
Autorengruppe
Emma Bleck
Emma kommt aus Hamburg und hat dort “Kultur der Metropole” an der Hafencity Universität studiert. Seitdem ist sie kritische Alltagsforscherin und befasst sich mit machtkritischen Gesellschaftsanalysen. Sie liest gerne und interessiert sich für Sprachen, Feminismus und Migration. Nebenbei engagiert sie sich politisch.

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