Den Begriff „Expatriate“ (kurz „Expat“) zu definieren, ist gar nicht so einfach: Anders als beim Wort „Migrant*in“ oder „Geflüchtete*r“ steht der*die „Expat“ nicht im Duden oder im Asylgesetz. Grundsätzlich aber sind Expats Menschen, die im Ausland leben. Sie studieren oder arbeiten dort, oder sie folgen ihren Familienmitgliedern, die im Ausland arbeiten. Viele sind nur vorrübergehend für einige Monate oder Jahre im Ausland, sie wandern also nicht dauerhaft aus. Ein Expat kann beispielsweise ein chinesischer Student in den USA sein, eine amerikanische NGO-Mitarbeiterin in Afghanistan oder ein Englischlehrer in Japan.
Expat in Shanghai
Ich wurde Expat, als ich im September 2018 für ein Auslandssemester nach Shanghai zog. Aus dem einen Semester sind erst zwei, dann drei, dann vier geworden. Denn das Expat-Leben ist süß, und ich bin ziemlich schnell auf den Geschmack gekommen. Ich habe spannende Menschen aus aller Welt kennengelernt, das Nachtleben von Shanghai entdeckt und für meinen Job als Deutschlehrerin wurde ich gut bezahlt. Nachdem ich zurück in Deutschland war, habe ich mich gefragt: Wie problematisch ist Expatriatism eigentlich?
Expat oder Migrant*in – wer entscheidet das?
In Shanghai galt ich, eine Austauschstudentin aus Deutschland, als Expat. Warum würde niemand Mary, die philippinische Haushälterin, die meine Mitbewohner und ich beschäftigt haben, als „Expat“ bezeichnen? Wir beide leben schließlich im Ausland – das Kernmerkmal eines Expats. Die Antwort lautet, vielleicht könnt ihr es euch schon denken: White Privilege, also: das Privileg des Weißseins[1]. Ich habe mich aus freien Stücken entschieden, nach China zu migrieren: Der Auslandsaufenthalt ist Teil meines Studiums. Andere Expats werden beispielsweise vom Arbeitgeber in ihrem Heimatland ins Ausland geschickt. Oder sie arbeiten klassischerweise in prestigeträchtigen Jobs wie Journalismus oder der Entwicklungszusammenarbeit.
Aus der Heimat erhalten sie oft Bewunderung für ihre Arbeit und ihre Entscheidung, ins Ausland zu gehen. Die Lage in ihrem Heimatland ist für gewöhnlich so stabil, dass sie sich jederzeit zu einer Rückkehr entscheiden können. Oft müssen sie das jedoch gar nicht, denn in ihrem Zielland haben sie meist wenig Probleme, ein Visum zu erlangen. Expats migrieren häufig aus dem globalen Norden in den globalen Süden. Das bedeutet auch, dass ihr Geld im Zielland viel mehr wert ist, und ihre Expertise allein aufgrund ihres Weißseins mehr gefragt ist.
Die Grenze zwischen Expat und Migrant*in verläuft quer durch unseren Geldbeutel
Vieles davon trifft auch auf mich zu. Dank eines Stipendiums und der Unterstützung meiner Eltern war es nie wirklich ein Problem, ein weiteres Studierendenvisum zu finanzieren. Auch wenn ich manchmal um die Verlängerung meines Visums gebangt habe. Das Schlimmste, was mir hätte passieren können, wäre nach Deutschland zurückkehren zu müssen.
Ich habe außerdem recht schnell einen gut bezahlten Job als Deutschlehrerin gefunden. Obwohl bis dato meine einzige Qualifikation dazu war, deutsche Muttersprachlerin zu sein. Mit dem Geld konnte ich mir in Shanghai, einer der teuersten Städte der Welt, ein WG-Zimmer in zentraler Lage leisten. Dazu konnte ich Restaurant- und Barbesuche am Wochenende und Reisen nach Tibet, Kambodscha und Südkorea finanzieren.
Mary, meine Haushälterin, ist jedoch vermutlich wie viele andere Filipinos aus wirtschaftlicher Not nach China gekommen. Und nicht, weil sie besonders Lust darauf hatte. Ihr angespartes Geld ist in Shanghai kaum etwas wert. Sie verdient einen Bruchteil meines Lohns und was davon übrigbleibt, schickt sie vermutlich zurück zu ihrer Familie. Es ist außerdem gut möglich, dass sie wie andere Arbeiter*innen aus Südostasien oder Nordkorea illegal in China lebt.
Die Grenze zwischen Expat und Migrant*in verläuft also quer durch unseren Geldbeutel. Eingewanderte des globalen Nordens gelten als Expats, die in gut bezahlten Jobs arbeiten und ihr Geld für teures Essen, schöne Wohnungen und Reisen ausgeben können, bis sie sich entscheiden, in ihre Heimat zurückzukehren. Menschen des globalen Südens gelten als Migrant*innen, leben häufiger in prekären Jobsituationen und haben einen unsicheren Aufenthaltsstatus. Schlussendlich müssen viele von ihnen entweder ihre wirtschaftliche Verwertbarkeit beweisen oder ein Leben in Illegalität führen, um nicht von Abschiebung bedroht zu werden.
Filterblasen und Parallelgesellschaften
In ihrem Buch „Ausgerechnet Kabul“ beschreibt Ronja von Wurmb-Seibel die sogenannte Kabubble: eine Filterblase der ausländischen Entwicklungshelfer*innen, Reporter*innen und NGO-Mitarbeiter*innen, die in Kabul leben und arbeiten. Die Kabubble ist ein gläserner Käfig aus einer Handvoll Restaurants, Hotels und Geschäften, die als sicher vor Anschlägen gelten, und in denen „viele Ausländer […] ihre Wochenenden mit Saufen, Kiffen und Verkatertsein“[2] verbringen.
Kabul ist aufgrund der Sicherheitslage ein extremes Beispiel. Doch diese Filterblase konnte auch ich 5.000km weiter in Shanghai beobachten. Expats umgeben sich oft am liebsten mit Ihresgleichen. Ihr Leben spielt sich in Clubs, Bars und Restaurants ab, in denen sie selbstverständlich auf Englisch bestellen und in denen die einzigen Chines*innen hinter dem Tresen stehen. Und sei es Shanghai, Neu-Delhi oder Dubai: Von Expats wird selten erwartet, die Landessprache zu lernen. Für sie gilt: es sich gut gehen zu lassen, ist die Pflicht – sich ernsthaft mit Geschichte, Menschen und Kultur des Ziellandes auseinanderzusetzen, höchstens die Kür. Mit dem Geld, das sie als Englischlehrer*innen oder Manager*innen verdienen, finanzieren sie eine ganze Unterhaltungsindustrie, die ohne sie überhaupt nicht existieren würde.
Expats migrieren vor allem aus dem globalen Norden in den globalen Süden
In einem fremden Land, das alles auf den Kopf stellt, was man bisher zu wissen glaubte, Anschluss an etwas Vertrautes zu suchen, an Menschen, die die eigene Sprache sprechen, die die eigenen kulturellen Codes verstehen, die ähnliche Meinungen haben – Nichts daran ist falsch oder verwerflich. Häufig führt das jedoch dazu, dass Expats nie den Schritt aus ihrer Komfort-Zone hinauswagen müssen. In Europa hingegen und den USA wird schnell von Parallelgesellschaften gesprochen, wenn Migrant*innen in Städten Communities bilden, in denen sie größtenteils unter sich bleiben.
Die Filterblase der Expats birgt eine weitere Gefahr: Denn ein Auslandsaufenthalt ist kein Garant dafür, dass man rassistische Vorurteile gegenüber dem Zielland abbaut. Wie oben erklärt, migrieren Expats vor allem aus dem globalen Norden in den globalen Süden. Über das Zielland sind sie bestenfalls unzureichend informiert. In einer postkolonialen Welt ist jedoch das Selbstbild weißer Menschen geprägt von Überlegenheitsfantasien, während man auf das Zielland (unbewusst) rassistische Stereotype projiziert – Stichwort white fragility.
Wer sich nicht darum bemüht, die größtenteils weiße Filterblase der Expats zu verlassen oder sich nicht mit dem eigenen Rassismus auseinandersetzen möchte, der*die wird zu Hause vor allem von Armut und seltsamen Gewohnheiten der Menschen im Zielland berichten und auch in Zukunft rassistische Stereotype reproduzieren. Wer nie den Schritt aus der Expat-Bubble wagt, kommt möglicherweise rassistischer nach Hause zurück, als er*sie gegangen ist – egal, wie ehrbar der Job in der Entwicklungszusammenarbeit oder der NGO nun gewesen sein mag.
Wie man ein besserer Expat wird
Uff. Und nun? Wer sich mit den Problemen des Expatriatism beschäftigt, dem vergeht möglicherweise die Lust, auszuwandern. Aber Begegnung und Austausch zwischen Kulturen sind wichtig und wertvoll. Die Lösung kann nicht sein, nicht mehr zu reisen oder zu migrieren. Wenn man sich dazu entscheidet, einen Freiwilligendienst anzutreten, im Ausland zu studieren oder zu arbeiten, dann gibt es jedoch einige Dinge, die man vorher bedenken sollte:
Tipps
- Lern die Sprache deines Ziellandes. Es ist nicht nötig, fließend Chinesisch, Bahasa oder Arabisch zu lernen – das Wichtigste ist, sich darum zu bemühen. Oft reichen schon ein paar Worte aus, um Überraschung oder Begeisterung bei deinem Gegenüber hervorzurufen. Und es macht das Leben vor Ort um einiges leichter.
- Setze dich mit y und Postkolonialismus auseinander – besonders, wenn du in Länder des globalen Südens migrierst. Empfehlenswert dazu sind beispielsweise die Bücher „Wir müssen über Rassismus sprechen – was es bedeutet in unserer Gesellschaft weiß zu sein“, von Robin DiAngelo, „EXIT RACISM“, von Tupoka Ogette und „Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen, aber wissen sollten“, von Alice Hasters.
- Informiere dich über die Geschichte und Kultur des Landes, in das du reist oder migrierst. Lies Bücher, schaue Dokumentationen und höre Podcasts über dein Zielland. Das erleichtert dir das Ankommen und steigert außerdem die Vorfreude!
- Wage den Schritt aus der Expat-Blase! In jeder Stadt gibt es Sprachcafés, Vernetzungstreffen und Initiativen, bei denen du Menschen treffen kannst, die ganz anders sind als du. Es wird sich lohnen, versprochen!
[1] Weißsein bezieht sich hier nicht auf eine biologische Eigenschaft oder eine reele Hautfarbe, sondern auf eine privilegierte Position innerhalb einer rassistisch strukturierten Gesellschaft. Mehr dazu könnt ihr im Glossar für diskriminierungssensible Sprache auf amnesty.de lesen.
[2] Ausgerechnet Kabul. 13 Geschichten vom Leben im Krieg. Ronja von Wurmb-Seibel. DVA Verlag 2015, 60