Auf der Flucht – starke Frauen berichten

Oranienplatz, Berlin. Es ist kurz nach neun Uhr am Samstagmorgen und schon jetzt sehr warm, das Thermometer auf dem Handy zeigt 28 Grad an. Die Sonnenstrahlen bahnen sich ihren Weg vom hellblauen Himmel, an dem sich nur einige wenige Wolken befinden. Es der zweite Tag des Building Bridges Festival und der Tag beginnt mit einem einfachen Frühstück. Es gibt Brot, dazu wahlweise verschiedene, vegane Aufstriche oder Marmelade in den Geschmacksrichtungen Kirsche, Aprikose und Erdbeere. Die Erwachsenen genießen einen Becher frisch aufgebrühten Kaffee, für die Kinder wird Tee angeboten.

Einsatz für die Frauenrechte. Foto: Sophie Martin

Im Gespräch mit Tina:

Inzwischen ist es voller geworden auf dem Oranienplatz, viele der Frauen haben ihre Kinder mitgebracht, es ist laut und ein wenig wuselig. Auf einer Bank unter einer der Eichen sitzt die 14-jährige Tina. Tina ist ein wunderschönes Mädchen, mit großen, braunen Augen und sehr langen, tiefschwarzen Haaren. Sie ist modisch gekleidet, trägt ein weißes, kurzes T-Shirt, kombiniert mit einer dunklen Jeans, dazu graue Turnschuhe.

Tina. Foto: Sophie Martin

„Ich bin in Afghanistan, genauer gesagt in der Stadt Herat geboren, aber im Iran aufgewachsen“, beginnt sie zu erzählen, die Stimme leise, man muss genau zuhören, um zu verstehen, was sie sagt. Gleichzeitig strahlt sie eine unglaubliche Ruhe, eine unglaubliche Gelassenheit aus.

„Weißt du, im Iran ist man nicht frei, besonders als Mädchen nicht“, fährt sie fort, während sie sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht streicht.

„Hier in Deutschland ist das Leben besser, ich kann zur Schule gehen, dass durfte ich im Iran nicht. Es gibt mehr Möglichkeiten, das eigene Leben zu gestalten.“

Tina wirkt für ihr Alter sehr reif, sehr erwachsen. Einfach hat sie es auch hier in Deutschland nicht. Ihre Mutter ist krank, Tina hilft ihr im Haushalt, kümmert sich fast alleine um ihre vier jüngeren Geschwister. Beide Elternteile tun sich schwer mit dem Erlernen der deutschen Sprachen. Tina muss oft übersetzen, beim Arzt, beim Jobcenter, bei der Ausländerbehörde. Und trotzdem hat sie viele Träume, wie sie Teenager in dem Alter auch haben sollten: „Ich möchte gerne die Schule schaffen, deswegen lerne ich auch sehr viel, wann immer es die Zeit zulässt. Danach will ich zur Schauspielschule. Oder ich werde Sängerin. Das wünsche ich mir“.

Die traumatische Flucht aus dem Iran hierher kann das junge Mädchen nicht vergessen, sie hat Spuren bei ihr hinterlassen: „Wir waren insgesamt zwei lange Monate unterwegs, mussten davon zwei Wochen im Wald schlafen, es war kalt und dunkel. Wir sind zunächst vom Iran in die Türkei und von dort dann mit dem Boot nach Griechenland. Ich erinnere mich noch gut daran, wie voll das Boot gewesen ist, ich hatte während der gesamten Überfahrt permanent Angst, dass wir kentern.“

Najiae berichtet:

Während des Gesprächs hat sich Tinas Tante Najiae mit auf die Bank gesetzt. Najiae ist 40 Jahre alt, seit drei Jahren in Deutschland und auch sie möchte ihre Geschichte erzählen. Da ihr Deutsch noch nicht so gut ist, übersetzt Tina vom Persischen ins Deutsche.

Najiae. Foto: Sophie MArtin

„Eigentlich ist der Iran ein sehr reiches Land, wegen der vielen Bodenschätze dort. Nur leider ist meine Heimat auch sehr korrupt. Und die Medien im Iran lügen, sie spiegeln nicht die Wahrheit wider“, beginnt Najiae zu erzählen, während sie ihr grünes Kopftuch richtet und sich mit der Zunge über die Lippen fährt.

„Weißt du, ich bin ganz alleine aus dem Iran hierher nach Deutschland geflohen. Das ist für eine Frau sehr gefährlich, ich hatte jeden einzelnen Tag Angst, große Angst. Die Flucht war beschwerlich und oft habe ich gedacht, dass ich es nicht schaffen kann. Es ist wie ein Wunder, dass ich unversehrt und heil in Deutschland angekommen bin.“

Eine Flucht ist sehr teuer und kostet viel Geld. Najiae erklärt, dass sie als Schneiderin ein Teheran gearbeitet hat, sie hat ihr kleines Gehalt gespart, ein wenig haben auch ihre Eltern dazugegeben.

„Ich bin unglaublich stolz, dass ich ganz alleine nach Deutschland gekommen bin. Jetzt möchte ich mir hier ein Leben aufbauen, möchte gerne wieder arbeiten, als Schneiderin. Doch dazu muss ich zuerst Deutsch lernen, das fällt mir schwer. Aber das Beherrschen der Sprache ist wichtig für die Integration.“

Alleine auf dem Weg nach Europa:

Von Frauen, die alleine fliehen, hört man nicht oft, meistens sind es junge Männer, die sich alleine auf den Weg machen. Und doch sind etwa die Hälfte der Menschen, die sich weltweit auf der Flucht befinden, Frauen. In Afrika und im Nahen Osten liegt der Anteil an flüchtenden Frauen bei rund 50 Prozent, in Europa ist dieser Anteil mit 39 Prozent weitaus geringer. Insgesamt hat sich die Zahl der Flüchtenden in den letzten zehn Jahren nahezu verdoppelt, Ende 2017 waren 68,5 Millionen Menschen weltweit auf der Flucht. Will man diese Zahlen richtig interpretieren, muss unbedingt beachtet werden, dass hier nur die Fliehenden gemeint sind, die auch statistisch erfasst werden. Die Dunkelziffer dürfte also weitaus höher liegen.

In Deutschland lebten Ende Juni 2018 673.409 Personen mit Asylberechtigung oder Flüchtlingsschutz, darunter 235.785 Frauen, das entspricht 35,1 Prozent. Diese Zahlen zeigen also die hohe, männlich dominierte Migration. Insgesamt stellten 2015 441.899 Flüchtlinge einen Erstantrag auf Asyl in Deutschland, davon waren 69,2 Prozent männlich und 30,8 Prozent weiblich.

Frauen fehlen oft die finanziellen Mittel zur Flucht, deswegen fliehen sie meistens nur innerhalb der jeweiligen Landesgrenzen. Laut der Study on Female Refugees fliehen Frauen aus afrikanischen Ländern häufiger alleine als Frauen aus Syrien und Afghanistan. Über 60 Prozent der Syrerinnen, Irakerinnen, Iranerinnen und Afghaninnen werden bei der Flucht von ihren Kindern begleitet. Viele asylsuchende Frauen aus diesen Ländern kommen in Begleitung mehrerer Verwandten nach Europa.

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