Belal Kaisar ist Syrer mit deutschen Wurzeln. Im Jahr 2015 floh er vor dem Krieg aus Syrien nach Deutschland. Zuvor arbeitete er als Vermarkter von syrischen Serien und Filmen und von einen der bekanntesten Kinderkanäle der arabischen Welt „Spacetoon“. Schon vor dem Krieg war Belal mehrfach als Tourist in Europa – auch in Deutschland. Damals erlebte er noch keinen Rassismus: „Als Tourist erfährt man nichts vom Alltagsrassismus in Deutschland“, sagt er heute.
Nach seiner Ankunft in Deutschland ließ sich Belal in der Stadt Marl nieder, wo er auch heute mit seiner Familie lebt – allen voran mit seinem kleinen Sohn Walid. Dieser wurde schließlich zur treibenden Kraft hinter Belals Engagement. Eines Tages hatte Walid einen Streit mit einem deutschen Kind. Es kam zu einer Auseinandersetzung zwischen den beiden Familien – eine Erfahrung, die Belal zutiefst erschütterte. Er wollte sein Kind verteidigen, für ihn sprechen, doch die Sprache fehlte ihm. Er fühlte sich machtlos. Doch anstatt aufzugeben, entstand aus diesem Moment der Ohnmacht eine Vision.
Die Geburt von Abgad
Belal hatte eine Idee: Ein Projekt gegen Rassismus, das ohne viele Worte auskommen sollte – dafür mit Symbolkraft. Obwohl er weder Fördermittel noch Unterstützung hatte, bestellte er ein Kostüm: Es stellte ein arabisches Kind dar und trug den Namen Abgad, angelehnt an das arabische Alphabet. Auf dem Rucksack des Kostüms steht in großen Buchstaben: „Arabisches Kind“. Anfangs namm Abgad bei Veranstaltungen der arabischen Community teil – in Restaurants, Moscheen und bei Familienfesten. Doch dann wurde er an eine deutsche Grundschule eingeladen. Die Schulleiterin war überrascht, dass Abgad bisher nur innerhalb der arabischen Community aktiv war. Sie sah das große Potenzial: „Abgad könne Brücken bauen – zwischen Kulturen, Religionen und Sprachen“, erzählt Belal. Außerdem hätten Arabische Kinder ein Recht darauf, dass auch ihre Kultur in der Schule sichtbar sei. So nahm Abgad fortan an Schulfesten, Stadtfesten und interkulturellen Veranstaltungen teil.
Die Resonanz war überwältigend. Als die Corona-Pandemie öffentliche Auftritte unmöglich machte, wich Belal ins Digitale aus und gründete einen YouTube-Kanal, auf dem Abgad Videos für Kinder veröffentlichte. In den Videos ist zu sehen, wie Abgad und Dana Kinder an unterschiedlichen Orten besuchen, beispielsweise Schulen, Restaurants oder Stadtfeste.
Ein neues Gesicht: Dana aus der Ukraine
„Mit dem Ausbruch des Ukraine-Krieges und als Zeichen der Solidarität mit seiner ukrainischen Mitarbeiterin entwickelte ich eine zweite Figur, die Dana heißt“, berichtet Belal. Dana ist ein ukrainisches Mädchen mit christlichem Hintergrund. Dana und Abgad besuchen gemeinsam Kirchen und Moscheen, um Toleranz und Zusammenhalt zwischen Religionen und Kulturen zu zeigen – zwei Kinder aus zwei Kriegsgebieten, die gemeinsam Hoffnung vermitteln. Sie sprechen zwar keine Sprache, vermitteln aber durch ihr Aussehen, Lächeln und Herkunft viele Freude bei den Kindern und ihre Eltern.
Heute treten Abgad und Dana regelmäßig bei Stadtfesten, Schulprojekten gegen Rassismus, Mobbingprävention in Kitas, Inklusionsveranstaltungen, Weihnachtsfeiern, Karnevalsumzügen, Buchmessen, Einkaufszentren, Hochzeiten und vielen weiteren Events auf – quer durch NRW, in Herne, Bochum, Krefeld und anderen Städten bis nach Bayern. Immer wieder bilden sich Menschentrauben um sie, Menschen machen Fotos, lachen, stellen Fragen. „Alle freuen sich, egal welcher Herkunft sie sind“, erzählt Belal.
Gesellschaftlicher Wandel durch eine Idee
Das Projekt hat Belals Leben verändert. Er erfährt weniger Rassismus, sagt er, er wird respektiert, gemocht – und unterstützt. Ein Mann habe einmal zu ihm gesagt: „Dein Projekt ist besser als alle Integrationsprojekte des Staates.“ Heute wird Belals Arbeit von Stiftungen, Agenturen und Vereinen gefördert. Er steht auch im Austausch mit einem Politiker in NRW und sogar mit der europäischen Union. Und das alles, obwohl Belal kaum Deutsch spricht. „Dank Abgad habe ich mein Ziel erreicht – ohne die Sprache, aber mit einer starken Botschaft.“
Belal will weitermachen: für sein Kind, für alle Kinder – und für eine offene, demokratische Gesellschaft. Er sagt: „Ich werde nicht aufhören, bis wir alle gemeinsam mehr für die Demokratie und den Zusammenhalt tun.“