„Aktivismus ist meine Motivation“

Alaa Makki (32) ist eine Kämpferin mit turbulenter und inspirierender Biografie. Nach ihrem Studium in Syrien findet sie sich kurze Zeit später auf dem deutschen Arbeitsmarkt wieder – der ihr einige Steine in den Weg legte. Mit Kohero spricht sie über Aktivismus, die Bedeutung von Sprache und Willenskraft.

Du arbeitest in Ehrenfelds Bürgerzentrum in Köln. Was genau machst du?

Das Bürgerhaus Ehrenfeld, genannt BüZe, ist ein Ort der Begegnung und der Interkulturalität. Zurzeit organisiere ich dort das Projekt „Approach„, das darauf abzielt, Einheimische und Neuankömmlinge zusammenzubringen. Alteingesessene bieten Führungen durch das Veedel an, dazu werden persönliche Geschichten zu bestimmten bedeutenden Orten erzählt. Ob sie gebürtige Ehrenfelder*innen sind oder nicht, spielt gar keine Rolle. Hauptsache man hat ein Miteinander. Dazu haben wir recherchiert, welche Religionen und deren Stätten in unserer Umgebung vertreten sind. Dementsprechend haben wir die Routen gestaltet: sie führen zu religiösen Einrichtungen, Orten der Kulturszene, der Migrationsgeschichte und wichtigen Institutionen.

All das wird filmisch dokumentiert und begleitet von Borderless TV, einem Storytelling- und Medienkollektiv. Dort arbeitest du als Projektleiterin. Was zeichnet euch aus?

Genau. Wir bei BorderlessTV setzen uns für den gleichberechtigten Zugang zu Gesellschaft und Beruf ein. Wir wollen neue Strukturen und Perspektiven schaffen, damit Menschen ohne stereotypisiertes Denken ihre Geschichte erzählen können. Als partizipative Plattform produzieren wir audiovisuelle Inhalte und unterstützen unsere Mitglieder beim selbstbestimmten Gestalten von Inhalten durch Medien. 2019 entstand so beispielsweise die Frauengruppe ‚Minaa‘.

Worum geht es in der Gruppe?

„Minaa“ ist arabisch und bedeutet ‚Hafen‘. Die Gruppe soll insbesondere Frauen mit Fluchtgeschichte oder Migrationserfahrung zur Teilnahme an unseren Projekten ermutigen und Rahmenbedingungen schaffen, die ihnen die Teilnahme ermöglichen. Wir möchten das Selbstvertrauen und die Motivation fördern, eigene Ziele umzusetzen und eine berufliche, mediale Qualifikation zu erlangen. Denn der Zugang zum Medienbereich ist nicht leicht. Das sehe ich als Hauptaspekt meines Engagements – dass wir die Frauen unterstützen und sie in eine Richtung lenken.

 

Auch privat veranstaltest du feministische Initiativen und Workshops. Empowerment kombiniert mit Kreativität, sozusagen.

Gemeinsam mit zwei inspirierenden Frauen, Yara Wahbe und Noha Salom, habe ich die Initiative „Farbe, Wort und Geschichten“ gegründet. Wir wollen arabischsprachige Frauen und Frauen mit Fluchterfahrung in kreativen Workshops unterstützen. Die gibt’s monatlich, an wechselnden Orten in Deutschland. Ein riesiger Workload für uns, aber wir haben eine gute Rollenaufteilung: Yara ist Malerin, Noha ist fürs Schreiben zuständig und ich bin Storytellerin, also erzähle Geschichten.

Welche Art von Geschichten erzählst du? Wie gehst du dabei vor?

Langfristig möchte ich diese Kurse dokumentieren und auch die Geschichten der Teilnehmerinnen visuell erzählen. Aber ich will das Schicksal der Frauen nicht instrumentalisieren. Es geht darum, diese Menschen, ihre Persönlichkeiten, sichtbar zu machen. Vielleicht hilft ihnen das, ihre Vergangenheit zu bewältigen. Sie können bei uns loslassen. Wann hat man schon mal Zeit, über deine eigene Geschichte zu sprechen, ohne unterbrochen zu werden?

Ist es nicht ein sehr großer Schritt, über die eigene Vergangenheit zu sprechen?

Man muss das Projekt sehr sensibel angehen. Der kreative Ansatz macht das einfacher. Freies Malen und Schreiben ermöglicht den Frauen, vergangene Erlebnisse besser zu verarbeiten. Hilfe zur Selbsthilfe sozusagen. Dabei beginne ich immer damit, aus meiner eigenen Vergangenheit zu erzählen. Das bietet Sicherheit und Vertrauen. Ich möchte nicht nur fragen, ich möchte den Menschen etwas geben. Vielleicht identifizieren sie sich mit Teilen meiner Geschichte und sehen sich selbst darin. Dann können sie etwas von sich erzählen, müssen aber nicht.

Du hast in Damaskus, in Syrien studiert. Wenn du über deine eigene Geschichte sprichst, wo fängst du an?

Richtig, ich habe Übersetzung Arabisch-Englisch studiert. Während des Studiums habe ich ab und zu Englischunterricht gegeben. Als ich dann nach Deutschland kam, wusste ich, dass ich mit diesem Abschluss in keinem Beruf arbeiten konnte, so ganz ohne Deutschkenntnisse. Von meiner Gastfamilie wurde ich gefragt, ob ich unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten in Alphabetisierungskursen helfen könnte. So hat meine Laufbahn angefangen. Das war mein erster beruflicher Kontakt mit dem Thema Flucht. Wenn man selbst Migrationserfahrung hat und motiviert ist, wird man automatisch in das Thema einbezogen. Das hatte auch viel mit meinen Sprachkenntnissen zu tun.

Heute produzierst du diverse und kreative Medienprojekte, arbeitest also in einem völlig anderen Bereich. Was reizt dich daran?

Ich mache einen Job, der mir sehr gut gefällt. Ich identifiziere mich mit den Werten meiner Arbeitgeber und kann auch deren Relevanz vermitteln. Dabei ist die Arbeit an Projekten mit unterschiedlichen Inhalten nie einfach, jedes Mal ist es eine Herausforderung. Aber für mich gibt es nie die Option, etwas nicht zu tun. Man muss es immer versuchen. Neugier ist dazu da, neue Dinge zu entdecken. Manchmal muss man dazu Risiken eingehen. Das tue ich jeden Tag, um mir dann sagen zu können: Wenn ich es nicht versucht hätte, wäre ich nicht hier.

Wie beeinflusst deine Herkunft heute noch dein Wirken in der Berufswelt?

Ich habe eine gewisse Wertschätzung gegenüber den Möglichkeiten, die es hier gibt. Ich vergleiche immer mit meiner Heimat und wie anders es wäre, wenn ich dort geblieben wäre. Weil diese Chancen aber nicht immer gerecht verteilt sind, kämpfe ich dafür, dass sie gerecht verteilt werden.

Auf welchen Ebenen muss an Chancengleichheit gearbeitet werden?

Zum Beispiel beim Thema Gleichberechtigung. Ob es auf Geschlechterebene ist, oder bei Einheimischen und Migrierten, es ist für mich immer ein Thema. In Syrien war das überwiegend eine Mann-Frau-Sache. Hier in Deutschland ist es das nicht immer, sondern oft eher eine Frage der Herkunft. Es wäre ein Traum, nicht mehr mit der Frage konfrontiert zu werden, wo man denn eigentlich herkommt. Es wäre schön, wenn eine andere Herkunft einfach als Bereicherung für Kultur und Gesellschaft gesehen würde.

In deinem Engagement setzt du dich täglich dafür ein. Wie lässt sich die Frage der Herkunft sensibilisieren?

Ich glaube, dass ich zum Beispiel durch meine Arbeit Sichtbarkeit für Betroffene schaffen kann. Egal ob das Erfolgsgeschichten oder keine Erfolgsgeschichten sind, die wir erzählen. Es gibt auch Geschichten, bei denen man das Gefühl hat, sich zu verlieren und sich im Kreis zu drehen, als kleiner Teil der Gesellschaft. Die Medienlandschaft sollte aufhören, die Geschichten von Menschen mit Migrationserfahrung zu instrumentalisieren und sie aufgrund ihres politischen Status zu stigmatisieren. Wir wollen Räume schaffen für diese Menschen, damit sie kreativ und aktiv werden. Hier im Büze haben wir beispielsweise die Möglichkeit, dass migrantische Selbstorganisationen aber auch Kulturkollektive diese Räume nutzen.

Du bist Aktivistin, Projektleitung und Produzentin, alles zur gleichen Zeit. Wie siehst du dich selbst?

Als eine Mischung aus allem, wie eine bunte Tüte Haribo. Ich würde mich gerne als Kulturmittlerin bezeichnen, aber dazu bin ich nicht ausgebildet. Aktivismus ist eher eine Motivation, ein Engagement. Projektleiterin? Das ist meine Berufsbezeichnung, aber ich höre sie nicht gerne. Für mich ist die Arbeit auf Augenhöhe zwischen Ehrenamtler*innen und Mitarbeiter*innen wichtig. Dabei muss man Haltung zeigen, besonders im Zusammenhang mit Migration und Flucht. Es geht um Zusammenhalt, die Identifikation mit bestimmten Werten, und viel Selbstreflexion. Man muss Probleme aber auch von außen betrachten können, mit einem neutralen Auge. Wer oder was ich bin? Das weiß ich nicht genau. Ich bin Alaa. Engagierte Bürgerin.

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Autorengruppe
Chiara Bachels
Chiara hat Mehrsprachige Kommunikation in Köln und Aix-en-Provence studiert. Ihre Interessen Kunst und Kultur teilt sie am liebsten in Wort und Schrift: „Toleranz und Sensibilität für andere Kulturen rücken im Zusammenleben viel zu oft in den Hintergrund. Kohero bietet den Raum für eine Auseinandersetzung damit“

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