Syrien und die Syrer*innen sind wieder in den Nachrichten

Krieg im Sudan, Wahlkampf in der Türkei, politisches Versagen von Europa und den USA – weche Auswirkungen hat das auf die Syrer*innen in ihrer Heimat und auf der Flucht? Hussam kommentiert die aktuellen Zusammenhänge und Entwicklungen zur Lage in Syrien unter dem Assad-Regime

Wir haben diese Kolumne gestartet, um aktuelle Themen zu kommentieren. Es gibt auch diese Woche mehr als genug innenpolitische Themen, über die ich schreiben könnte. Aber ich möchte mich wieder auf Syrien konzentrieren. Denn Syrer*innen sind in der letzten Zeit für Medien und die Öffentlichkeit wieder aktuell geworden. 

Nach dem schrecklichen Erdbeben im Februar folgten Schlagzeilen über den Diktator Bashar al-Assad und wie er versuchte, das Erdbeben für sich und seine Rehabilitation zu nutzen. Letzte Woche kommentierte ich die Situation im Sudan und die aussichtslose Lage von Syrer*innen, die schon wieder zur Flucht gezwungen werden. Und auch in dem Wahlkampf in der Türkei spielen syrische Geflüchtete eine wichtige Rolle. 

Jetzt, kurz vor der Stichwahl, wird der Ton der Kandidaten schärfer und auch nationalistischer. Der Kandidat der Opposition, Kemal Kilicdaroglu, hat zu einem Deal mit Assad aufgerufen, um innerhalb eines halben Jahres alle syrischen Geflüchteten zurück nach Syrien abzuschieben. Erdogan hat eigentlich ähnliche Pläne für die Syrer*innen in der Türkei, aber er spricht noch über “freiwillige Rückkehr”. Seit ein paar Monaten gibt es durch russische Vermittlung auch Kontakt mit dem syrischen Regime und es wird ein Treffen zwischen Erdogan und Assad erwartet. 

Arabische Staaten haben Beziehungen zu Syrien wieder aufgebaut

Aber die größte Entwicklung in den letzten Wochen war, dass die arabischen Staaten ihre Beziehungen zum syrischen Regime wieder aufgenommen haben. Obwohl Bashar al-Assad und seine Armee hunderttausende Tote, Millionen Vertriebene und Städte in Schutt und Asche hinterlassen hat, scheinen die arabischen Länder alles vergeben und vergessen zu haben. Zum ersten Mal seit 2011 durfte Assad an einem Gipfeltreffen der Arabischen Liga teilnehmen. Der Hauptgrund dafür ist, dass Saudi-Arabien nach der Annäherung mit dem Iran Ruhe und Stabilität in der Region wiederherstellen möchte. Priorität sind jetzt die wirtschaftliche Entwicklung statt politische Konflikte. Es ist nicht ganz klar, welche Bedingungen die Staaten der arabischen Liga gestellt haben. Wird es hauptsächlich wieder darum gehen, syrische Geflüchtete loszuwerden und zurück nach Syrien zu schicken? Oder wird Assad auch wieder Verhandlungen mit der Opposition über eine neue Verfassung aufnehmen (müssen)?

Die Rückkehr von Assad in die arabische Liga hängt auch mit dem Krieg in Sudan zusammen. Beide Entwicklungen markieren das Ende des Arabischen Frühlings, der 2011 voller Hoffnung ausgerufen wurde. Und was kommt nach dem Frühling? Saudi-Arabien plant wirtschaftliche Entwicklungen auf Kosten der Menschenrechte und der demokratischen Entwicklung in der Region. Aber wie lange kann diese wirtschaftliche Sommerzeit anhalten? Und was kommt danach? Werden die arabischen Länder so eine langfristige politische Lösung für Syrien finden, die durch Krieg nicht erreicht werden konnte? Werden sie den Machthaber Assad, dessen Armee seit Jahren ruft “Assad oder wir verbrennen das Land”, dazu bringen können, ein Friedensabkommen mit der Opposition und den Kurden zu schließen?

Das Lächerliche an allem ist, dass die arabischen Länder behaupten, sie haben ihre Beziehungen zum Assad-Regime wegen den Leiden der syrischen Bevölkerung unterbrochen. Jetzt sagen sie, sie nehmen die Beziehungen wegen der Leiden der syrischen Bevölkerung wieder auf, besonders nach dem Erdbeben. 

Darf Syrien unter dem Assad-Regime wieder in die arabische Liga eintreten?

Die Fragen, die jetzt diskutiert werden, sind zum Beispiel, ob es moralisch akzeptabel ist, oder realpolitisch richtig ist, dass Assads Regime wieder in die arabische Liga darf. Es ist nicht so einfach für mich, diese Fragen zu beantworten. Denn einer der  Gründe dafür, dass Assad heute noch an der Macht ist, ist die realpolitische Entscheidung der USA in den Jahren 2013 und 2014. Die syrische Revolution endete formell, als US-Präsident Barack Obama einen Deal mit Russland über die chemischen Waffen in Syrien abschloss. Russland hat sich dann militärisch in Syrien engagiert und was danach kam, konnten wir alle sehen. 

Die viel wichtigere Frage für mich ist, wie sehr sich das Leben der Syrer*innen verändern wird. Wie viele Kinder können endlich zur Schule zurückkehren und ein normales Leben führen? Das ist leider noch nicht sicher, da in Syrien viele Faktoren und Spiele im Gange sind. Es hängt auch davon ab, ob Erdogan gewinnen wird und welche Rolle die USA spielen möchten, ob sie mehr Gesetze und Sanktionen einführen werden. Das US-Parlament berät über neue Syrien-Sanktionen, mit denen Flughäfen in arabischen Ländern bestraft werden können, die syrische Flugzeuge landen lassen. Es hängt auch von der Entwicklung im russischen Angriffskrieg auf die Ukraine ab. 

Sicher ist, dass Europa seit langem keine Rolle mehr in dem syrischen Thema spielt. Sie haben die Geflüchteten als Waffen gegen sich selbst genutzt und warten darauf, wie sich die Dinge entwickeln. Assad wartet darauf, die Waffen gegen europäische Länder einzusetzen, um Anerkennung zu erhalten. 

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Hussam studierte in Damaskus Politikwissenschaften mit dem Schwerpunkt Internationale Beziehungen. Parallel dazu arbeitete er als schreibender Journalist. Seit 2015 lebt er in Deutschland. Er ist Gründer und Chefredakteur von kohero. „Das Magazin nicht nur mein Traum ist, sondern es macht mich aus. Wir sind eine Brücke zwischen unterschiedlichen Kulturen.“

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