Sprachweh auf Spanisch

Sprachweh auf Spanisch

Almut hat ein paar meiner Gedanken und Gefühle und Erfahrungen als Replik zu Hussams  Artikel über „Sprachweh“ geschrieben.

Eintauchen in fremde Gewässer

Ich habe sechzehn Jahre in Spanien im freiwilligen Exil gelebt. Auf Gran Canaria und in Valencia.
Auch wenn es ein freiwilliges Exil war, waren doch ähnlich wie bei Dir viele fremde Dinge zu meistern. Auch ich musste zur Ausländerbehörde und bekam erst nach einigen Jahren eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis (das war bevor Spanien sich in die EU-Staaten einreihte).

Die Alltagssprache lernte ich leicht und schnell. Dennoch habe ich mich in die spanische Sprache erst richtig vertieft durch den Besuch der Staatlichen Fremdsprachenschule, die ich mit einem Diplom abschloss.

Das Leben in einer mir fremden, obwohl europäischen Welt, war wie ein in Eintauchen in fremde Gewässer. Sprache ist ja nicht nur die oberflächliche verbale Kommunikation, sondern hat zumindest für mich auch ganz viel mit der Kultur des Sprachlandes zu tun, mit seiner Geschichte, seinen Sitten und Gebräuchen und natürlich und vor allem: mit seinen Menschen.

Da waren die menschlichen Wunden des Bürgerkrieges noch überall präsent und da gab es die in Mitteleuropa so verpönte Stierkampf-Kultur. Da gab es die Diskriminierung der Gitanos und da gab es die jahrhundertelange arabisch-maurische Geschichte sowie die separatistischen Strömungen z.B. von Katalonien. Diese 1001 geschichtlichen und kulturellen Facetten spiegelten sich natürlich auch in der Sprache wider.

Während meiner valencianischen Zeit habe ich mich besonders in der spanischen Sprache zu Hause gefühlt, sie war mein Alltag und ein Stück Heimat. Ich hatte kaum deutsche Kontakte, ich las spanische Literatur. Die deutsche Sprache aber blieb die eigentliche Heimat, denn nur durch sie konnte ich subtilste Gefühle und Empfindungen ausdrücken. Dagegen haben mir Deutschland als Land oder als Nation nie etwas bedeutet, nur die Sprache hat mich immer heimatlich ummantelt.

So fremd, so weit fort und doch irgendwie vertraut und nah

Ein wunderbares Beispiel der sprachlichen Heimat ist der irakisch-kurdische Schriftsteller Bachtyar Ali, der seit über 20 Jahren in Deutschland lebt, aber seine Romane in seiner Muttersprache, nämlich Sorani, schreibt.

Für mich gab es also auch das von Dir angedeutete Sprachweh, aber schon als Kind hatte ich auch immer Fernweh. Und dieses Fernweh fand auch sprachlich ein Pendant. Mein Vater, der Schweizer war, verschönerte mir die Kindheit mit Sprachfetzen des Schwyzer- deutschen und des Rätoromanischen. In Canarias hörte ich zum ersten Mal über einen Radio-Weltempfänger die arabische Sprache, vertont und gesungen von Umm Kulthum. So fremd, so weit fort und doch irgendwie vertraut und nah.

Das hat mich in Valencia auch zu arabischem Unterricht animiert. Obwohl ich nie richtig sprechen lernte, lernte ich von meinem hochgebildeten syrischen Lehrer die Verflechtungen von Sprache und Geschichte. Noch heute gibt es viele Wörter im Spanischen, die aus dem Arabischen stammen. Aber auch in der deutschen Sprache gibt es nicht wenige „Arabismen“ wie Algebra, Alkohol, Arsenal, Admiral… Und ich liebte das Konjugieren der Verben, das Schreiben der fremdartigen Buchstaben. Das war für mich lange Zeit eine Art kalligraphischer Meditation. Heute habe ich alles verlernt, denn ich habe keinen Lehrer gefunden, der mir auf ähnliche Weise die Sprache vermitteln konnte.

Woke, gender, awareness, digital natives, antiaging, streamen etc. Warum wozu?

Eine Sprache passt sich der Zeit an und ist immer in Bewegung und dadurch lebendig. Leider ist nicht nur die deutsche Sprache in letzter Zeit von Anglizismen durchsetzt. Wie woke, gender, awareness, digital natives, antiaging, streamen etc. Warum wozu? Um sich kosmopolitisch zu präsentieren? Sicherlich auch der Einfluss durch die globalisierte Markenwerbung. Ich mochte die englische Sprache nie besonders gern und durch die amerikanisch geprochene Version, die wie aus kaugummikauenden Mündern klingt, hat sich das verstärkt: da ist nichts Schönes mehr in der Sprache. Leider können sich die Hochsprachen nicht dagegen wehren und verlieren so etwas von ihrem einzigartigen Charakter.

Das klassische Wittgenstein-Zitat „Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt“ haben nicht nur mit Mehrsprachigkeit zu tun, sondern beginnen mit der Muttersprache. Wenn mein Wortschatz klein ist und wenn ich nur in hohlen Stereotypen spreche,  denke ich auch klein, hohl und konform. Und wie kann ich Gefühlen mit einem kleinen Wortschatz Raum geben? Laut Hannah Arendt ist „meine Sprache entscheidend dafür, in welchem Maße ich die Welt erfasse – sei es auf sozialer, naturwissenschaftlicher oder philosophischer Ebene.“

Sprache kann Heimatersatz sein, mit ihr bin ich an keinen Ort gebunden und ich kann alle Nuancen meines Denkens und Fühlens ausdrücken. (G. Krneta)

Vielleicht hast du auch damit Erfahrungen? Teile diese gern mit uns und schreibe mit!

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