Ein Fischerboot mit 750 Menschen an Bord ist am Mittwoch vor Pylos in Seenot geraten und gekentert. Das Boot kam aus Libyen, die Flüchtenden wollten wahrscheinlich über die Mittelmeer-Route nach Italien. Nur rund 100 von ihnen konnten gerettet werden. Viele werden noch vermisst. Bereits am Dienstag wurde das überfüllte Fischerboot lokalisiert. Die griechischen Behörden hätten sofort handeln müssen. Stattdessen sei es stundenlang nur beobachtet worden. Die Küstenwache behauptet, die Menschen auf dem Fischerboot hätten jede Hilfe abgelehnt. Das Boot habe nach Italien weiterfahren wollen, so der Sprecher der griechischen Küstenwache.
Bamdad Esmaili berichtet für den WDR aus Griechenland über das, was später viele als “Unglück” bezeichnen, seinem Kollegen gegenüber hätten mehrere Überlebende unabhängig voneinander berichtet, dass von der griechischen Küstenwache versucht wurde, das Boot mit den flüchtenden Menschen in italienische Gewässer zu ziehen: Das Boot wurde gepushbackt. So kam es den Berichten nach zu der Katastrophe.
Diskriminierende Strukturen unter den Flüchtenden
Nach Überlebenden wurde dem WDR nach am Donnerstag noch gesucht, die Überlebenschancen sind zum jetzigen Zeitpunkt überaus gering. Mehr als 500 Menschen sind wahrscheinlich ertrunken, unter ihnen alle Kinder und Frauen, die sich an Bord befanden. Schilderungen der Überlebenden zufolge seien ungefähr 100 Kinder auf dem Boot gewesen, die sich gemeinsam mit den Frauen im Zwischendeck und am Rumpf befanden und das kenternde Boot nicht rechtzeitig verlassen konnten. Die insgesamt 104 Überlebenden wurden in Kalamata in der Region Peloponnes untergebracht, einige befinden sich noch im Krankenhaus.
Von den geretteten Menschen werden 9 Männer aus Ägypten verdächtigt, als Schlepper auf dem Boot gewesen zu sein. Überlebende berichten, dass nicht nur Frauen und Kinder von diesen unter Deck gezwungen wurden – auch Menschen aus Pakistan wurden dort vermutlich eingesperrt. Lokalmedien berichteten von mindestens 300 bis 400 pakistanischen Menschen, die gestorben sind. Nur 12 haben überlebt. Dies zeigt, wie rassistische Strukturen auch unter Flüchtenden wirken.
Verschiedene Medien berichten im Zuge der Katastrophe auch über die Menschen, die Angehörige unter den Überlebenden haben. Besonders präsent ist die Geschichte zweier Brüder aus Syrien, die sich in Griechenland wiedersehen. Der ältere von beiden lebte bereits in Holland und kam nach Griechenland, als er von der Situation erfuhr. Auf einem Bild, das in den Medien kursiert, umarmen sich die beiden durch Gitterstäbe hindurch. Es ist berührend. Und es ist wichtig, dass die Berichterstattung diese Emotionen einfängt. Doch zu viele Menschen werden ihre Angehörigen eben nicht mehr wiedersehen. Und daran ist die Abschottungspolitik der Europäischen Union Schuld.
Seenotrettung als Thema im griechischen Wahlkampf
Der Umgang der griechischen Regierung mit nach Europa flüchtenden Menschen ist bekannterweise perfide. Während noch über die Frage der Verantwortung am Mittwochmorgen diskutiert wird, wurde ein Video der Alarm-Phone-Initiative, bei der sich Freiwillige für die Seenotrettung einsetzten, veröffentlicht. Auf dem Video sieht man, wie ein gefesselter Mann am Fluss Evros zurückgedrängt wird – Pushbacks. Auch PRO ASYL und LeaveNoOneBehind berichten von Rückführungen und Gewalt gegenüber Geflüchteten in dieser Region. All das ist illegal.
Nach dem Vorfall am Mittwoch demonstrierten Tausende Menschen in Griechenland gegen die Asylpolitik der griechischen Regierung. Am 25. Juni stehen die Parlamentswahlen bevor, die Themen Flucht und Asyl werden dadurch, noch stärker als zuvor, zum Politikum. Und das auf Kosten der flüchtenden Menschen. Auch die deutsche Politik reagierte bestürzt, Bundeskanzler Scholz und Bundesinnenministerin Faeser sprachen sich für eine gemeinsame Lösung in Europa aus, bei der auf Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit geachtet werden solle. Die Entscheidung des EU-Rates über die Asylreform, bei der Menschen (darunter Familien und Kinder) ohne Bleibeperspektive in haftähnlichen Bedingungen monatelang eingesperrt werden, liegt nur wenige Wochen zurück. Asyl und die damit verbundene Rettung von fliehenden Menschen ist keine politische Frage. Es ist ein Menschenrecht.
Bildquellen
- Seenotrettung in Griechenland: Connor Sexton on unsplash