1. Wie kann man zur Zeit gefährdete Menschen aus Afghanistan holen?
2. Ich bin afghanischer Flüchtling in Deutschland – kann sich mein Aufenthaltsstatus jetzt ändern?
Nach der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan am 15.8.2021 und dem letzten Evakuierungsflug westlicher Truppen aus Afghanistan am 31.8.2021 hat sich die Lage der Menschen dort dramatisch verschlechtert.
Die gute Nachricht zuerst:
Aus Deutschland gibt es keine Abschiebungen mehr nach Afghanistan
Seit Dezember 2016 wurden ca. 1000 Menschen nach Afghanistan abgeschoben.
Flüchtlinge aus Afghanistan sind die zweitstärkste Flüchtlingsgruppe in Deutschland (ca. 181.000*), nach den Syrer*innen. 66% der Afghan*innen in Deutschland haben einen Schutzstatus. Die meisten haben ein Abschiebungsverbot nach §§ 60 Abs. 5 und 7 Aufenthaltsgesetz erhalten. Aktuell „rückpriorisiert“ das BAMF die Entscheidung von Afghanistan-Fällen, was defacto einen Entscheidungstopp bedeutet. Es sollte bis Ende September ein neuer Lagebericht des Auswärtigen Amtes erstellt sein…
Ich habe große Angst um meine Freunde und meine Familie, die noch in Afghanistan sind, wie kann ich es schaffen, sie nach Deutschland in Sicherheit zu bringen?
Möglichkeiten für gefährdete Menschen in Afghanistan:
1. Evakuierung/Aufnahmeprogramm
Die Evakuierungen wurden zwar am 26.8.21 mit dem letzten Flug einer deutschen Maschine abgeschlossen, aber die Aufnahme von weiteren Afghan*innen ist vorgesehen:
- alle Ortskräfte und ihre Familienangehörigen (nur die Kernfamilie= Ehepartner und minderjährige Kinder – für volljährige Kinder kann ein sogenannter Härtefall nach § 36 Absatz 2 Aufenthaltsgesetz beantragt werden), die ab 2013 für deutsche Einrichtungen tätig waren;
- diejenigen, die bis zum Ende der Evakuierungsmaßnahmen als besonders gefährdet identifiziert waren;
- Afghanische Mitarbeiter*innen von Nichtregierungsorganisationen;
- Afghanische Mitarbeiter*innen der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ);
- Menschenrechtsaktivist*innen;
- Frauenrechtler*innen;
- Journalist*innen;
- Personen mit einem deutschen Aufenthaltstitel.
Hat Deutschland bereits eine Aufnahmezusage (meist per Email) erteilt, werden diese Menschen kontaktiert und ihnen weitere Anweisungen gegeben. Der Weg über die Grenze in die Nachbarstaaten muss selbst organisiert werden. Die deutschen Botschaften in allen Nachbarländern erteilen dann diesen Personen bei Vorlage der Aufnahmezusage die erforderlichen Dokumente für die Einreise nach Deutschland. Deutschland versucht aktuell Absprachen mit den Nachbarstaaten und den Taliban zu treffen, um eine sichere Einreise in die Nachbarländer zu ermöglichen.
Wenn Deutschland bisher keine Ausreise nach Deutschland in Aussicht gestellt hat und es noch keine Aufnahmezusage gibt, gilt folgendes:
Email mit folgenden Informationen an: buergerservice@diplo.de:
- Vorname und Nachname aller Personen
- Geburtsdaten aller Personen
- Passnummer oder ID-Nummer (Tazkira) aller Personen
- Staatsangehörigkeit aller Personen
- E-Mail-Adresse und / oder Handynummern
- Dokumente oder Schilderungen, die belegen, dass die Personen besonders gefährdet sind
- Verbindungen nach Deutschland
Die Aufnahme erfolgt dann nach § 22 Abs. 2 Aufenthaltsgesetz – eine individuelle Zusage des Bundesinnenministeriums.
2. Familiennachzug
Wie bisher können Visa-Anträge auf Familiennachzug bei den deutschen Botschaften in Islamabad (Pakistan) und New Delhi (Indien) gestellt werden. Zur Zeit stehen über 4000 Personen auf den Wartelisten für einen ersten Termin, die Wartezeit beträgt über ein Jahr. Das Visumsverfahren selbst dauert dann auch noch einmal übermäßig lange. Unter Umständen besteht die Möglichkeit über ein gerichtliches Eilverfahren eine schnellere Bearbeitung des Visums zu erreichen. Das Berliner Verwaltungsgericht hat einem Eilverfahren stattgegeben, weil es eine Gefährdung der Familienangehörigen in Afghanistan bejahte (VG 10 L 285/21 V).
3. Visum für Deutschland zur Aufnahme eines Studiums (Bewerbungsbestätigung, Lebensunterhalt muss gesichert sein)
4. Visum zur Aufnahme einer Ausbildung (Ausbildungsplatz muss zugesichert sein, Lebensunterhalt muss gesichert sein)
5. Visum im Rahmen der Fachkräftezuwanderung (qualifizierte Ausbildung oder Studium in Afghanistan, konkretes Jobangebot, Anerkennung der Zeugnisse)
Viele nützliche Informationen finden sich hier: handbookgermany.de
Ändert sich mein Aufenthaltsstatus durch die Veränderungen in Afghanistan?
Wie das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) nach der Machtübernahme der Taliban über Asylanträge und Asylfolgeanträge entscheiden wird, ist noch weitgehend unklar. Ein Asylfolgeantrag kann aber immer dann gestellt werden, wenn neue Gründe vorliegen für die Asylgewährung, wie z.B. jetzt die erhebliche menschenrechtliche und humanitäre Verschlechterung der Situation in Afghanistan.
Wir empfehlen denjenigen einen Asylfolgeantrag nach § 71 Asylgesetz zu stellen,
die lediglich im Besitz einer normalen Duldung sind (auch einer Beschäftigungsduldung) und bei denen in nächster Zukunft nicht eine Bleiberechtsregelung nach §§ 25a oder 25b Aufenthaltsgesetz möglich ist.
Ebenso sollten diejenigen, deren Asylanträge wegen einer inländischen Fluchtalternative innerhalb Afghanistans abgelehnt wurden, eine Folgeantrag stellen.
Der Asylfolgeantrag muss innerhalb von 3 Monaten nach Bekanntwerden der geänderten Umstände in Afghanistan (15.8.2021) gestellt werden, also bis zum Freitag, den 13.10.2021. Die Folgeanträge müssen persönlich bei der Außenstelle des BAMF gestellt werden, in dessen Bezirk Antragsteller*innen während des früheren Asylverfahrens wohnten. Am besten ist es, wenn man einen schriftlichen begründeten Antrag dort abgibt.
Wir raten aber denjenigen ab, einen Asylfolgeantrag zu stellen, die eine Aufenthaltserlaubnis haben nach
- § 22 Aufenthaltsgesetz (Aufnahmezusage)
- §23 Aufenthaltsgesetz (Bundes- und Landesaufnahmeprogramme),
- §25 Absatz 3 bis 5 Aufenthaltsgesetz (Aufenthalt aus humanitären Gründen wegen Abschiebungsverbot)
Der Aufenthaltstitel erlischt, wenn ein Asylfolgeantrag gestellt wird. Das Verfahren beginnt neu zu laufen.
Ebenso sollte man keinen Asylfolgeantrag stellen,
- wenn nach §26 Absatz 4 Aufenthaltsgesetz eine Niederlassungserlaubnis bevorsteht,
- bei einer Ausbildungsduldung nach §60c Aufenthaltsgesetz, wenn der erfolgreiche Abschluss der Ausbildung bevorsteht. Es besteht dann die Möglichkeit einer Aufenthaltserlaubnis nach § 19d Aufenthaltsgesetz,
- wenn Menschen kurz vor dem Erreichen der Voraufenthaltszeiten für §25a (gut integrierte Jugendliche) oder § 25b Aufenthaltsgesetz (nachhaltige Integration) stehen.
Die Erlangung der Aufenthaltserlaubnis durch diese Vorschriften ist schneller als ein neues Asylverfahren zu betreiben.
Wir wünschen allen viel Erfolg!