kohero: Seit 2015 motiviert die KinderKulturKarawane mit dem Projekt CREACTIV Hamburger Schüler*innen sich für Klimaschutz und globale Gerechtigkeit einzusetzen. Wie kam es zu dem Projekt und welche Ziele verfolgt ihr damit?
Sarah Höfling: Die KinderKulturKarawane an sich ist unser Dach. Da war die Idee, dass man einen Austausch mit Jugendlichen und jungen Künstler*innen aus dem Globalen Süden macht, um die Probleme, die es dort gibt, direkt nach Deutschland zu holen. Und das nicht durch eine theoretische Auseinandersetzung, sondern indem die Jugendlichen etwas zusammen machen – also indem sie zusammen Kunst produzieren.
Wir möchten über die Emotionen und über das Handeln auf das Wissen kommen. Das ist die Grundidee der KinderKulturKarawane und daraus hat sich 2015 CREACTIV entwickelt. Unsere Motivation ist, dass wir wirklich mit Menschen von dort reden. Menschen, die wirklich direkt vom Klimawandel betroffen sind, sie nach Deutschland einladen und sie in den Austausch bringen mit Jugendlichen von hier.
Wie läuft das Projekt CREACTIV ab?
CREACTIV läuft über das ganze Schuljahr. Das Projekt fängt zum Schuljahresanfang an und besteht aus drei Phasen: Der Vorbereitung, der Begegnung und einer Nachbereitung. Am Anfang gibt es eine Einführung. Da haben wir einen Basis-Workshop von vier Stunden, an dem alle beteiligten Schüler*innen teilnehmen. Danach gibt es kleine Workshops, in denen sich die Schüler*innen das erste Mal kreativ mit dem Thema auseinandersetzen. Sie können Plakate erstellen, Trickfilme machen, Podcasts aufnehmen – was ihnen dazu so einfällt. Zeitgleich treffen sie sich online mit ihrer Partnergruppe.
Die zweite Phase ist die Begegnung. Eine Gruppe kommt für eine Woche an die Schule und arbeitet gemeinsam mit den Schüler*innen an einer Präsentation. Die Partnergruppen kommen aus den Bereichen Zirkus, Theater und Tanz. Nach der Begegnung gibt es noch eine Nachbereitung, bei der die Schüler*innen eine Aktion planen sollen, mit der sie zeigen, was sie gelernt haben oder was sie gegen den Klimawandel machen wollen. Das kann von Müll sammeln bis Bäume pflanzen alles sein.
Begegnung schaffen und Kontakte knüpfen – die jahrelang bestehen bleiben
Gibt es einen Moment, an den du gern zurück denkst?
Oh! Ganz viele! (lacht) Ich war selber 2018 Tourbegleiterin und habe mit einer Gruppe aus Peru das CREACTIV-Programm gemacht. Da habe ich wahnsinnig viel gesehen und es war immer die Abschlussaufführung, die mir in Erinnerung geblieben ist. Weil oft Jugendliche, die sich eher im Hintergrund gehalten haben oder nicht so aufgefallen sind, auf der Bühne explodieren. Das ist immer super schön.
Was vielleicht auch ein Highlight ist, sind die Kontakte, die bestehen bleiben. Da sind Familien, die zum Beispiel nach Peru reisen, weil sie die Gruppe noch mal besuchen. Wir haben eine Teilnehmerin aus Uganda, die jetzt auf dem Gut Demeter-Hof arbeitet und hier eine Ausbildung macht. Mein Highlight letztes Jahr waren die coolen Jungs, die Bollywood getanzt haben. Da steht man da und denkt sich: “Damit hätte ich jetzt nicht gerechnet”.
Es ist allen wichtig, Traditionen zu bewahren
Die Jugendlichen aus den Gruppen engagieren sich in ihren jeweiligen Heimatland auch vor Ort unter anderem gegen den Klimawandel. Mit welchen Folgen des Klimawandels haben sie jeweils zu kämpfen?
Das ist von Land zu Land unterschiedlich. Wir haben an die 20 Gruppen, mit denen wir zusammenarbeiten. In Brasilien und Peru sind die Themen Amazonas und Regenwald akut. Die Gruppen aus Afrika, gerade aus Uganda und Tansania, kämpfen mit den Themen Wasserknappheit, Dürre, Trockenheit und Hitze. Die Gruppe aus Indien beschäftigt sich viel mit den Themen Monsun und Überschwemmungen.
Ich weiß nicht, ob das vom Klimawandel kommt, aber was allen ganz wichtig ist, ist, die Traditionen zu bewahren. Dadurch, dass viel Binnenflucht geschieht, dass indigene Völker nicht mehr dort leben, wo sie Jahrhunderte, Jahrtausende gelebt haben, ist das sehr wichtig für viele.
Welchen Herausforderungen stellen sie sich im Kampf gegen den Klimawandel und gehen die Gruppen mit dem Thema anders um, als wir hier in Deutschland?
Das ist schon anders, weil das Thema da noch nicht so groß ist im Vergleich zu Deutschland. In den Ländern, aus denen die Gruppen stammen, ist es meistens ein untergeordnetes Thema. Sie kämpfen dafür und machen darauf aufmerksam, aber natürlich haben diese Länder auch ganz andere Probleme. Für sie ist das Thema Klimawandel erst mal nicht so wichtig. Was natürlich dramatisch ist, wenn man sich das anguckt und denkt: “Ihr seid ja direkt davon betroffen!”. Aber sie leben einfach damit. Es gibt Fridays For Future auch da, ist aber natürlich viel, viel kleiner.
Der direkte Austausch
Mit den deutschen Klassen arbeiten die Gruppen auf Augenhöhe, ihr nennt das Peer-to-Peer. Was bedeutet es, dass ihr “Erwachsenen” euch raushaltet? Wie bereiten sich die Gruppen darauf vor? Und wieso wählt ihr diesen Ansatz?
Den Ansatz wählen wir, weil wir einfach sehen, dass es so am besten funktioniert – also durch den direkten Austausch. Es ist einfach eine Methode, die viele Gruppen aus dem Globalen Süden kennen. Einen Workshop zu geben, bedeutet ganz oft für sie: “Wir zeigen euch etwas und ihr macht das einfach nach”. Und daraus entwickelt sich schon was. Das kennt man in Deutschland, finde ich, eher nicht so (lacht). Sondern hier muss man erst theoretisch viel erklären.
Klimaflucht natürlich auch immer ein Thema
Der Fokus der kohero-Redaktion liegt gerade auf dem Thema Klimaflucht. Ist das in den Gruppen oder auch den Klassen ein Thema? Oder in den Gruppen sogar real?
Die Gruppen, die aus dem Globalen Süden kommen, betrifft es im Moment, Gott sei Dank, noch nicht. Aber natürlich beschäftigen sie sich damit. Wir haben ganz viel Infomaterialien rund um Klimawandel und Klimagerechtigkeit auf unserem Blog. Da ist Klimaflucht natürlich auch immer ein Thema. Für die Gruppen aus Afrika spricht es der Leiter aus Tansania, der sich auch sehr für Klimagerechtigkeit und gegen Klimawandel einsetzt, immer wieder an.
Auf eurem Instagram-Kanal ist zu sehen, dass ihr an Fridays For Future teilgenommen habt. Wie wichtig sind solche (weltweiten) Aktionen für junge Leute?
Ich glaube, extrem wichtig. Gerade weil sie aus Ländern kommen, wo das Thema einfach noch nicht so groß ist. Wenn sie sehen, dass es eine weltweite Bewegung gibt, der sie sich anschließen, haben sie eine Chance, weiter zu machen. Das schafft einfach eine größere Reichweite für die Gruppen, um ihr Anliegen nach vorne zu bringen.
“Was kann ich in meiner kleinen Welt tun, damit es der großen vielleicht ein Stück besser geht?”
Merkt ihr einen Unterschied in eurer Arbeit von 2015 bis heute? Wie gehen die Gruppen innerhalb des CREACTIV-Programms damit um?
Ja, doch schon. Einfach, dass sich die Gruppen mehr damit auseinandersetzen. Eben durch Fridays For Future, weil sie jetzt z. B. in Peru auch auf die Straße gegangen sind – also wirklich konkret für Klimawandel und Klimagerechtigkeit. Ansonsten sind sie “nur” mit ihrer Gruppe auf die Straße gegangen, um die Leute da vor Ort zu unterhalten. Die Gruppe aus Uganda hat ein Baumpflanz-Projekt in den letzten zwei Jahren gestartet, mit dem Ziel, die meisten Bäume in Uganda zu pflanzen und damit den Weltrekord zu brechen. Da merkt man einfach, die beschäftigen sich viel mehr mit dem Thema.
Wenn unsere Leser*innen nicht mehr zur Schule gehen, um dieses tolle Angebot wahrzunehmen, wie können sie sich für mehr Klimagerechtigkeit einsetzen?
Ich finde, man muss zum Beispiel nicht radikal alles nur noch unverpackt einkaufen. Aber das man darauf achtet, dass man keine Äpfel aus Neuseeland kauft, sondern man regional vor Ort guckt, wie man hier Sachen unterstützen kann. Einfach, dass man auf seinen Konsum achtet. Welches Fleisch man kauft. Dass billig nicht immer die Lösung ist. Dass man guckt, wo man seine Klamotten herbekommt. Solche Kleinigkeiten. Man sollte sich fragen: “Was kann ich in meiner kleinen Welt tun, damit es der Großen vielleicht ein Stück besser geht?”