ein neues Rettungsschiff – SOS Mediterranee

Vom 11.-14. Dezember richtet SOS Mediterranee Deutschland die Benefizveranstaltung SOS Sessions No. 2 aus, um Spenden für ein neues Rettungsschiff zu sammeln. Till Rummenhohl berichtet, warum ein weiteres Rettungsschiff benötigt wird, über die Völkerrechtsbrüche im Mittelmeer und die Auslagerung der Seenotrettung seitens der EU.

SOS Méditeranée braucht neues Rettungsschiff

Die NGO, die im Mittelmeer zivile Seenotrettung betreibt und sich gegen das Ertrinken im Mittelmeer einsetzt, ist seit Februar 2016 im Einsatz. Seitdem wurden schon über 30.000 Menschen in Sicherheit gebracht. Aufgrund der anhaltenden fehlenden Rettungskapazitäten im Mittelmeer und dem Wiederanstieg an Menschen, die auf dieser gefährlichen Überfahrt sterben, gibt es weiterhin die Notwendigkeit, die zivile Seenotrettung auszubauen. Der Anlass für SOS Mediterranee Deutschland ein neues Rettungsschiff kaufen zu wollen, war ein schlimmes Unglück im April 2021. Der gelernte Schiffsbauingenieur Till Rummenhohl verantwortet das Projekt „ein neues Schiff für SOS MEDITERRANEE Deutschland“ und berichtet, dass sie von einem zehn Fahrtstunden entfernten Seenotfall erfuhren. Aufgrund der mangelnden Geschwindigkeit ihres Rettungsschiffes kamen sie zu spät vor Ort an, keiner der Menschen hat überlebt.

Wir wollen explizit ein schnelles Rettungsschiff rausbringen, um genau diese Lücke zu füllen” 

Um eine lückenlose und professionelle Seenotrettung gewährleisten zu können, muss ein schnelleres Rettungsschiff gekauft werden. Dafür haben sie nun einen passenden Schiffstyp gefunden: Fast Support and Intervention Vessel. „Unser Ziel ist, dass wir ein schnelles Schiff kaufen, das eigentlich für den Transport von Passagieren und Ladung gemacht ist. Dieses können wir  dann zum humanitären Rettungsschiff nach unseren Standards umbauen“, erklärt Till.

Ein solches Schiff kann bis zu 26 Knoten fahren. Im Vergleich – die Ocean Viking fährt maximal 14 Knoten. Das Schiff hätte zusätzlich einen großen Innenraum und ein weiträumiges Arbeitsdeck. So kann die Unterbringung der Crew gewährleistet werden und die notwendige Infrastruktur an Deck aufgebaut werden. Dazu gehören eine Notfallklinik zur medizinischen Versorgung sowie Notunterkünfte für die Geretteten.

Die Benefizveranstaltung SOS Sessions No. 2 soll genutzt werden, um Spenden für die Finanzierung des Schiffes und dessen notwendigen Umbau zu sammeln. Neben Konzerten und Stand-Up-Comedy zur Unterhaltung gibt es auch Lesungen und Gesprächsrunden zum Informieren, Aufklären und Erinnern. Denn viele andere aktuelle Geschehnisse wie die Coronapandemie oder die Situationen in Afghanistan und an der polnisch-belarussischen Grenze lassen das Sterben auf dem Mittelmeer in den Hintergrund rücken.

Auf die EU ist kein Verlass mehr

Ziel ist außerdem, das Bewusstsein der Gesellschaft zu stärken. „Dass wir nicht nur über Zahlen reden, sondern über Menschen und über Einzelschicksale. Und das in einem Format verpackt, in dem wir zum einen informieren und Empathie wecken, aber besonders das Thema der Flucht übers Mittelmeer generell wieder in die Öffentlichkeit bringen“, so Till, „Die Hoffnung ist natürlich, dass sich der gesellschaftliche Diskurs wieder in eine Richtung bewegt, die von Menschlichkeit und Mitgefühl geprägt ist und nicht von Abschottung und Zweifeln oder Sorge.“ Der Appell gilt insbesondere der Zivilgesellschaft. Die zivile Seenotrettung wird momentan nur durch NGOs wie SOS Mediterranee Deutschland möglich gemacht. Auf die deutsche Regierung sowie die Europäische Union ist bei der Seenotrettung seit 2017 kein Verlass mehr.

Till berichtet, dass die Stärkung der libyschen Küstenwache der Beginn für die Zunahme der inhumanen europäischen Migrationspolitik war. So sollten die Seenotrettung und Grenzsicherung von libyscher Seite gewährleistet und die Verantwortung von den europäischen Einheiten abgeben werden. Seitdem wurde die Zahl der europäischen Rettungskräfte immer mehr reduziert. Solche Entscheidungen haben ganz konkrete Folgen, so Till: „Das hat 2020 beispielsweise dazu geführt, dass jede siebzehnte Person bei der Überfahrt ertrunken ist, weil einfach keine europäischen Häfen mehr offen waren und zivile Seenotrettungsschiffe festgesetzt wurden. Das ist das Resultat einer zu geringen  Rettungskapazität.“

Davor war es gängig, Seite an Seite mit militärischen Einheiten der Sophia-Mission und italienischen sowie maltesischen Küstenwacheneinheiten zusammenzuarbeiten. 2018 wurde die Seenotrettungsleitstelle in Tripolis/Libyen von der International Maritime Organization (IMO) als zuständige Behörde anerkannt. Somit wurde die Koordinierung der gesamten Seenotrettungszone von Europa abgegeben. Und das, obwohl die libysche Seenotrettungsleitstelle notwendige Voraussetzungen nicht erfüllt wie eine ständige Erreichbarkeit, englische Sprachkenntnisse und die Koordinierung von Rettungen. Till berichtet, dass sie bei den Rettungen nicht einbezogen werden.

„Das muss aufhören, weil das tägliche Völkerrechtsbrüche sind, die durch Europa finanziert und unterstützt werden“

Die Rückführung der geretteten Menschen nach Libyen ist völkerrechtswidrig. Dies gilt nicht für Libyen, da das Land nicht die Genfer Flüchtlingskonvention unterschrieben hat. „Das muss aufhören, weil das tägliche Völkerrechtsbrüche sind, die durch Europa finanziert und unterstützt werden.“ Verantwortung dafür in Europa zu übernehmen würde bedeuten, ein europäisches Seenotrettungsprogramm und sichere Häfen zu gewährleisten, mit einer europäischen Einigung darüber, was mit geretteten Personen auf europäischem Festland passiert.

Momentan entziehen sich Mitgliedstaaten der EU auf Grundlage des Dublin-Abkommen der Aufnahme von Geflüchteten  und daraus resultiert die Überforderung von Küstenstaaten wie Griechenland und Italien. Eine einheitliche europäische Migrations- und Asylpolitik müsste auch einen Mechanismus zur Verteilung der geretteten oder geflüchteten Menschen bieten. „Aber dann muss man auch anerkennen, dass Länder sowohl finanzielle als auch infrastrukturelle Hilfe brauchen. Und das muss eine Europäische Union leisten, wenn sie wirklich das Ziel hat, Menschen auch menschlich zu behandeln“, so Till.

 

Die Veranstaltung findet vom 11.-14.12.2021 im Berliner Festsaal Kreuzberg statt. Die Tickets wurden nicht verkauft, sondern durch eine Verlosung vergeben, die Vergabe ist leider schon beendet. Es gibt aber die Möglichkeit, über einen frei verfügbaren Livestream das gesamte Programm mitzuverfolgen. Der Link zum Livestream und das Programm werden am 09.12.2021 auf der Aktionsseite bekannt gegeben. Spenden kann man hier.

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Emma Bleck
Emma kommt aus Hamburg und hat dort “Kultur der Metropole” an der Hafencity Universität studiert. Seitdem ist sie kritische Alltagsforscherin und befasst sich mit machtkritischen Gesellschaftsanalysen. Sie liest gerne und interessiert sich für Sprachen, Feminismus und Migration. Nebenbei engagiert sie sich politisch.

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