ZWEI, die sich treffen

Zwei Jahre gibt es das Flüchtling-Magazin im Februar 2019. Zwei ist unser Thema zum Jubiläum. Zwei heißt gemeinsam, heißt Team. Ein Paar sind zwei und viele die hier ankommen, hoffen auf eine zweite Chance. Wer zwei Sprachen spricht, versteht die Menschen in mindestens zwei Ländern und der Zweite hat es fast zur Spitze geschafft. Mehr als zwei Autor*innen schrieben kurze Texte für uns, manche zu zweit im Tandem. Wer zwei Minuten Zeit hat, wird Spaß an diesen kurzen Geschichten haben.

Fotograf*in: Markus Spiske auf unsplash

ZWEI, die sich treffen

Achmed kann sich nicht entscheiden. Er sucht und riecht beinahe an jedem Probestreifen in der Drogerie. Warum hat er den Kauf auf die letzte Minute geschoben? Nehme ich das Süßliche? Oder lieber das Parfüm mit dem Duft einer frischen Orange? Er erschrickt, als die dunkle, aber sinnliche Stimme ihn anspricht. „Können Sie sich nicht entscheiden?“ „Ich würde das Blaue nehmen.“ Diese Stimme, ist sie das?, denkt Achmed. Fatma, seine Jugendliebe, die ihn mit dem langen Bart nicht wiedererkennt. Sie lächelt ihn an. „Ich muss jetzt, Tschüss!“ Sie geht. Achmed nimmt das blaue Parfüm und geht zur Kasse.

ZWEI, die sich lieben

Arif sitzt erschöpft am Strand. Es ist Nacht, er friert. Er ist aber dankbar, die Fahrt überlebt zu haben. Nicht jeder hat es geschafft. Sein Mini-Zelt wird jetzt sein Zuhause sein, für einige oder viele Tage. Bis es weiter geht, wohin auch immer. Er schläft schon fast, bemerkt aber plötzlich einen Lichtkegel. Am Eingang des Zeltes steht Larissa, die einige Flaschen Wasser und Proviant mit sich trägt. Sie setzt sich neben Arif und lächelt ihn warm und intensiv an. Sie nimmt seine Hand und sagt etwas in einer fremden Sprache. Dann küsst sie Arif und umarmt ihn. Sie träumen von besseren Tagen.

Zwei Hände formen mit den Fingern ein Herz
Foto: Markus Spiske und ist kostenfrei über die Datenbank Unplash

ZWEI, die sich trennen

Achmed denkt im Bett über seine Zukunft nach. Ob er sein Ziel erreicht, nach allem was er auf der Flucht erlebt hat? Er traut es sich zu, auch wenn die Hürden groß sind. John, sein Zimmernachbar, will reden. Er hat eine wichtige Entscheidung getroffen, er wird in seine afrikanische Heimat zurückkehren. „Willst du hier bleiben?“, fragt er Achmed. „Ich kann das nicht mehr“, antwortet er selbst. „Und deshalb gehe ich zurück.“ „Was erwartest du dort?“, fragt Achmed. „Weiß nicht genau, aber hier bin ich nicht mehr glücklich.“ „Und du?“ „Ich werde das tun, was der Morgen bringt, John.“ „Viel Glück. Und schlaf gut.“

ZWEI, die sich hassen

Amir weiß sofort, dass er mit seinem arabischen Aussehen im falschen Laden ist. An der Bar sitzen einige weiße Männer mit schwerer Lederkluft, manche von ihnen mit Stahlhelmen. Sie tragen aggressive Tätowierungen an allen sichtbaren Körperstellen. Amir merkt, wie eiskalte Blicke ihn verfolgen, während er sich bewegt. Er will raus, aber Roland, ein Rocker und Hüne, versperrt ihm den Weg. „Ich hasse Araber.“ „Ich bin Deutscher, Mann“, sagt Amir. „Ich zeige dir draußen wie deutsch du bist.“ Amir sieht Rolands langes Butterfly-Messer in der Jackentasche. Roland zieht Amir nach außen. Dessen lauter Schrei ist das Letzte, was seine Kumpels jemals wieder von ihm hören werden.

ZWEI Wege kreuzen sich

Murat steht mitten in der Demo gegen Erdogan. Die Atmosphäre ist aufgeheizt, Anhänger des türkischen Präsidenten versuchen, ihren Gegnern den Weg zu versperren. Zwischen den Fronten steht die deutsche Polizei und hält die beiden Lager auseinander. Ein Böller fliegt durch die Luft, die Menschen rennen ziellos umher, Murat wird angerempelt. Er steht vor Okan, vor nicht allzu langer Zeit war der Polizist. In der Türkei. Es war kurz nach dem versuchten Putsch. Okan und seine Kollegen haben Murats Vater, einen Journalisten, mitgenommen. „Du bist jetzt gegen ihn?“ fragt Murat. „Die Wege ändern sich“, antwortet Okan. „Und auch der Weg Erdogans wird zu Ende gehen.“  

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Karneval in Rio - die Perkussion bleibt kalt

Karneval in Rio – die Perkussion bleibt kalt

Rio de Janeiro befindet sich in einer äußerst angespannten wirtschaftlichen Situation und kann eigentlich auf keinen Fall auf den Umsatz des Karnvals verzichten. Im letzten Jahr setzte der Karneval allein in Rio de Janeiro etwa 400 Millionen Euro um. Die Hotels meldeten fast 100% an belegten Kapazitäten während der Festwoche – was auch sehr viele wertvollen Jobs bedeutet. Das gleiche gilt für die Gastronomie der Stadt. Etwa 10.000 Menschen wurden als Straßenverkäufer akkreditiert. Aber die aktuelle Situation zwingt diese gigantische und komplexe Infrastruktur des Karnevals auf die Knie. Und die Perkussion bleibt kalt.

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Kategorie & Format
Autorengruppe
Leonardo De Araujo
Leonardo De Araújo, geboren in Rio de Janeiro, Brasilien lebt seit etwas mehr als 30 Jahren in Deutschland, vorwiegend in Hamburg. Nach einigen Berufsjahren in Werbeagenturen hat er 35 Jahre in der Fernsehproduktion gearbeitet. Nebenbei hat er sich auch als Drehbuchautor und Fotograf beschäftigt – und für das Flüchtling-Magazin, heute kohero, geschrieben.

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