„Wir müssen Begegnungen schaffen“

In Hamburg engagieren sich ungefähr 550.000 Menschen freiwillig. Es gibt unzählige Einrichtungen und Organisationen, bei denen sie tätig sind. Eine Anlaufstelle ist das Unternehmen Fördern und Wohnen (f & w). Kohero hat mit zwei Freiwilligenkoordinierenden über Voraussetzungen und Perspektiven für freiwilliges Engagement gesprochen.

Eine zwölfköpfige Freiwilligenkoordination, zu der auch Kathrin Rupprecht und Hanno Witte gehören, begleitet bei f & w seit 2005 Ehrenamtliche, die Projekte für Geflüchtete anbieten. Aufgeteilt nach Stadtbezirken unterstützen sie bei der Durchführung und fungieren als Schnittstelle zwischen den 150 Standorten (davon 120 für Geflüchtete) und den Engagierten. Im Interview erzählen die beiden von ihren Aufgaben, der Zusammenarbeit mit Ehrenamtlichen und Schwierigkeiten, die durch die aktuelle Pandemie entstanden sind.

kohero: In welchen Bereichen können Freiwillige arbeiten?

Hanno Witte: Bei f & w sind sie in allen Geschäftsbereichen tätig. Wir begrüßen es, wenn sie sich in den Standorten für Geflüchtete an sich engagieren. Die Vereinbarung gilt dann auch nur für diesen einen speziellen Standort. Das heißt, die Menschen, die sich engagieren wollen, können sich mit ihren Ideen an uns in der Freiwilligenkoordination oder an die Mitarbeitenden vor Ort wenden, um zu besprechen, was dort möglich ist.

Kathrin Rupprecht: Es gibt ein E-Paper, in dem die Standorte nach Bezirken aufgeteilt sind. Es gibt fast keine Nachbarschaft, in der es keine Einrichtung von f & w gibt. Wir arbeiten sehr gerne damit, weil man in den Profilen sieht, an welche Ansprechpartner man sich wenden kann. Wir versuchen, flexibel auf jede Idee zu reagieren. Das setzt keine Qualifikationen seitens der Engagierten voraus. Es geht darum, dass man offen ist und eine gute Idee hat oder schaut, was vor Ort noch angeboten werden kann.

HW: Es gibt die Möglichkeit, eine befristete Vereinbarung zu treffen. Wir sprechen von einer „Schnupperphase“. Man kann für einen begrenzten Zeitraum bei uns tätig werden und sich erst einmal ausprobieren.

kohero: Wie gehen sie auf potenzielle Freiwillige zu?

KR: 2015 gab es unglaublich viele Engagierte, die uns kontaktiert haben und helfen wollten. Damals mussten wir nicht suchen, denn durch die Flüchtlingskrise war die Bereitschaft sehr hoch. Das hat sich in den letzten Jahren gewandelt. Wir waren deshalb unter anderem auf Stadtteilfesten vertreten, um die Einrichtungen dort sichtbarer zu machen. Wenn wir Integration fördern wollen, dann müssen wir Begegnungen schaffen. Und das geht am besten durch freiwilliges Engagement. Die beiden Dinge gehen also Hand in Hand.

HW: Hohe Qualitätsstandards und das Wertschätzen von Engagement sind immens wichtig. Außerdem schließen wir uns mit anderen Trägern zusammen und unterstützen uns gegenseitig.

 

„Freiwilliges Engagement soll immer ergänzend stattfinden.“

kohero: Gibt es Freiwillige, die später als Hauptamtliche arbeiten?

KR: Ich persönlich war erst eine Freiwillige bei f & w und habe gesehen, dass dort Stellen ausgeschrieben waren. Darauf habe ich mich dann beworben. Solche Biografien gibt es auf jeden Fall, es ist aber keinesfalls standardisiert. Dazu muss ich noch sagen, dass viele Freiwillige, die sich bei f & w engagieren, bereits aus dem aktiven Berufsleben ausgeschieden sind und daher viel Zeit für ein Engagement haben.

HW: Eine zentrale Frage ist: Wie können wir freiwilliges Engagement begleiten, sodass es möglichst langfristig ist? Dabei unterstützen und beraten wir.

kohero: Wie sehr können Haupt- und Ehrenamtliche, trotz der unterschiedlichen Rollen, zusammenarbeiten?

HW: Besonders bei unseren Freiwilligen-Treffen in den Unterkünften kommen die beiden Gruppen zusammen. Hier beziehen wir auch gerne andere Akteure aus dem jeweiligen Stadtteil mit ein.

KR: Neben den Treffen unterstützen wir als Hauptamtliche und Ansprechpartner*innen die Freiwilligen auch mit Fortbildungen. In der Zusammenarbeit ist es wichtig, einen Rollenunterschied zwischen Ehren- und Hauptamtlichen zu machen. Das Verhältnis ist nicht mit dem einer/s Angestellten zu vergleichen. Uns ist wichtig, dass keine Abhängigkeitsbeziehungen entstehen. Freiwilliges Engagement soll immer ergänzend stattfinden.

kohero: Im Ehrenamt arbeiten überwiegend ältere Menschen und das Programm von f & w ist auf ein langfristiges Freiwilligen-Engagement ausgerichtet. Doch wie langfristig ist es in der Realität?

KR: Die Vereinbarungen, die bei uns geschlossen werden, können jederzeit beendet werden. Viele ältere Freiwillige sind lange aktiv. Bei den Jüngeren ist ein kurzfristigeres Engagement beliebter. Das sind Student*innen und Berufseinsteigende, die eine flexiblere Form von Engagement brauchen. Wir versuchen, darauf einzugehen. Trotzdem wünschen wir uns eine gewisse Beständigkeit in unseren Einrichtungen. Andererseits ist der Bedarf bei uns sehr hoch. Besonders junge Geflüchtete freuen sich über den Austausch mit Gleichaltrigen. In unseren Vereinbarungen halten wir fest, in welchem Rahmen der/die Freiwillige sich engagieren möchte, damit er/sie in dieser Zeit auch versichert ist. Außerdem können wir in der Koordination den sogenannten Hamburger Nachweis für freiwilliges Engagement ausstellen.

 

„Der persönliche Kontakt spielt einfach die größte Rolle.“

kohero: Fördern & Wohnen ist ein Tochterunternehmen der Stadt und eine Anstalt des öffentlichen Rechtes (AöR). Ist die Stadt Hamburg oder f & w selbst die treibende Kraft hinter dem sozialen Auftrag, den Sie vertreten?

KR: Freiwilliges Engagement gehört bei f & w seit Jahren dazu. Als städtisches Unternehmen stimmen wir und mit der Stadt Hamburg ab, werden also aktiv in die Entscheidungen mit einbezogen. Bei uns finden Workshops zur Weiterentwicklung des Unternehmens statt.

kohero: Lassen Sie uns zum Schluss noch kurz über die aktuellen Situation sprechen. Wir haben gesehen, dass Sie viele Projekte für Freiwillige angeboten haben, um sich von Zuhause aus einzubringen. Wie wurde das angenommen?

HW: Wir haben viele Rückmeldungen zu den neuen Engagement-Möglichkeiten bekommen. Es ging zum Beispiel darum, Spiel- und Bastel-Kits für Kinder in Unterkünften zusammenzustellen. Trotzdem lebt unser Freiwilligen-Engagement natürlich von den persönlichen Begegnungen, dem Austausch und den Menschen, die dabei aufeinandertreffen können. Momentan hat das eine andere Qualität. Das aktuelle Engagement kann die ursprüngliche Form nicht ablösen. Das Persönliche spielt einfach die größte Rolle.

Wer sich engagieren will, findet hier weitere Infos:

Natalia und Noa studieren beide Modejournalismus und Medienkommunikation in Hamburg und schreiben nebenbei für kohero.

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Natalia ist in den Bereichen (Mode-)Journalismus und Medienkommunikation ausgebildet und hat einen Bachelor in Management und Kommunikation. Derzeit studiert sie Digitalen Journalismus im Master. Besonders gerne schreibt sie über (und mit!) Menschen, erzählt deren Lebensgeschichten und kommentiert gesellschaftliche Themen. Sie leitet die Redaktion und das Schreibtandem von kohero. „Ich arbeite bei kohero, weil ich es wichtig finde, dass die Geschichten von Geflüchteten erzählt werden – für mehr Toleranz und ein Miteinander auf Augenhöhe.“     (Bild: Tim Hoppe, HMS)

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