Krieg und Medien, Journalismus und Hoffnung

Ein trauriger Jahrestag: Heute vor einem Jahr begann der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine. Die Aufmerksamkeit der Medien ist entscheidend sowohl für den Kriegsverlauf als auch für die Schicksale Geflüchteter in anderen Ländern. Chefredakteur Hussam sieht den Zusammenhang zwischen dem Abflauen der Berichterstattung über Syrien und dem geringen Interesse an einem Brandanschlag in Berlin vor Kurzem. Offene Fragen gibt es hier viele, doch wie sieht es mit den Antworten aus?

Ukrainische Flagge vor blauem Himmel
Fotograf*in: Max Kukurudziak on unsplash

Für mich und für sehr viele Menschen ist heute vor allem wichtig: es ist der erste Jahrestag des kriegerischen Überfalls von Russland auf die Ukraine. Als persönlich Betroffener von Krieg und Flucht (und auch von Russlands militärischem Einfluss), verstehe ich den Schmerz und den Verlust der Menschen aus der Ukraine.

Regimes wetten auf verlorene Aufmerksamkeit

Ich hoffe sehr, dass dieser Krieg und alle Kriege schnell beendet werden können. Aber ich befürchte, dass das in der Ukraine nicht der Fall ist. Deswegen hoffe ich umso mehr, dass die persönlichen Geschichten und Schicksale der Geflüchteten und Vertriebenen der Ukraine nicht in Vergessenheit geraten. Dazu gehören auch die Medien, die keine offenen Türen für diese Geschichten lassen. Das gilt besonders, wenn der Krieg lange dauert und das Thema sich für die Medienschaffenden nicht mehr aktuell anfühlt.

Aus meiner persönlichen Erfahrung kann ich leider berichten, dass das schneller geht als man denkt. Obwohl viele Syrer*innen nach Deutschland geflüchtet sind, wurden die Details des Krieges in Syrien immer weniger von Medien und Gesellschaft beachtet. Bis jetzt finde ich mich immer wieder in Gesprächen, in denen ich die einfachsten Details der syrischen Geschichte wiederhole.

Ein trauriger Aspekt davon ist, dass das Assad-Regime in Syrien und das Putin-Regime in Russland auf diese verlorene Aufmerksamkeit wetten. Denn wenn internationale Medien und die Gesellschaften, die die Geflüchteten aufnehmen, nicht mehr so genau hingucken und müde von dem Leid werden, dann haben solche Regimes noch mehr Freiheiten, zu tun, was sie wollen.
Ein weiterer Aspekt davon ist, dass auch die Lebenssituationen der Geflüchteten aus diesen Ländern langsam mehr in Vergessenheit geraten können. Diese Woche habe ich ein krasses Beispiel dafür über Twitter mitbekommen.

Brandanschlag in Berlin

Am 10. Februar starb die Syrerin Yazi Almiah in Berlin an den Folgen eines Brandanschlags auf das Haus, in dem sie mit ihrer Familie lebte. Sie lebte mit ihrem Mann und ihren sechs Kindern in einem Haus, das auch als Obdachlosenunterkunft diente. In der Nacht vom 25. auf den 26. Januar war der Brandanschlag auf das Haus, die Polizei meldete einen Brand in einem „Mietshaus, welches teilweise Geflüchteten zur Unterkunft dient“.
Kurz danach gab es nur wenig Aufmerksamkeit für den Anschlag und die Verletzten in den lokalen Berliner Nachrichten. Erst als Tarek Baé den Fall (nach dem Tod von Yazi Almiah) auf Twitter veröffentlichte, gab es Aufmerksamkeit. Der Journalist hatte persönlich Kontakt zu der Familie und beschrieb ihr Schicksal. Erst danach gab es längere Berichterstattungen.

Vor allem der Tod der 43-jährigen Syrerin blieb tagelang unbekannt und unberichtet. Wie der SPIEGEL berichtet, sagte der älteste Sohn der Familie, dass die Polizei ihn und seinen Vater das erste Mal am 16. Februar befragt hat. Also sechs Tage nach dem Tod seiner Mutter und fast drei Wochen nach dem Brandanschlag. Andere Bewohner*innen wurden soweit er wusste noch nicht von der Polizei befragt. Die Berliner Polizei hat auf die Anfragen des SPIEGELs nicht geantwortet.

Tarek Baé, verschiedene Politiker*innen und weitere Twitter-Persönlichkeiten werfen der Polizei und den Medien vor, den Fall zu ignorieren, und die möglicherweise rassistische Motivation des Brandanschlags nicht zu verfolgen.
Dass die Polizei zu laufenden Ermittlungen nichts sagen möchte, ist bekannt. Aber warum dauerte es so lange, bis die Öffentlichkeit auf diese schreckliche Geschichte aufmerksam wurde? Liegt es doch daran, dass die Verstorbene Syrerin war? Oder daran, dass der Brand in einer Unterkunft für obdachlose und geflüchtete Menschen war? Warum haben die Medien vor Ort nicht weiter recherchiert?

Leben, ohne zu verzagen

Tausende Fragen bleiben offen. Ich warte auf die Antworten und hoffe, dass die lokalen Medien ihre wichtige Rolle in der Gesellschaft zurückbekommen.
Und ich hoffe, dass auch Jahre nach Kriegsbeginn wir alle uns nicht an Krieg und seine Folgen gewöhnen. Das bedeutet auch, sich um die Menschen, die vor dem Krieg flüchten mussten, zu kümmern.

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