Keine Chance – Das neue Aufenthaltsrecht kommt für viele zu spät

Die Ampel-Koalition möchte die Chance zu bleiben für gut integrierte Menschen mit unsicherem Duldungsstatus verbessern. Doch für viele kommt die geplante Gesetzesänderunge zu spät. Bis die neue Regelung in Kraft tritt, wird weiter abgeschoben. Pro-Asyl fordert den sofortigen Abschiebesstopp von Menschen mit Bleibe-Perspektive.

Aufenthaltserlaubnis. Foto von Hussam Al Zaher.
Zurzeit leben rund 241.255 geduldete Personen in Deutschland (Stand April 2022 – Statistisches Bundesamt). Die meisten von ihnen kommen aus Afghanistan, dem Irak, Russland, Serbien und Pakistan. Viele von ihnen könnten durch das von der Bundesregierung geplante Chancen-Aufenthaltsrecht den lang ersehnten Übergang von der Duldung zur Aufenthaltserlaubnis schaffen.

Was ist eine Duldung?

Geduldete Menschen sind Personen, deren Asylantrag abgelehnt wurde, die aber nicht in ihre Heimatländer abgeschoben werden können. Die Gründe für einen Abschiebungsstopp sind komplex und vielfältig, wie Pro Asyl erklärt: Personen dürfen zum Beispiel nicht abgeschoben werden, wenn die Sicherheitslage in ihren Heimatländern ihr Leben gefährden oder sie dadurch auf unvertretbare Weise von ihrer Familie getrennt werden würden. Andere Gründe können sein, dass die Person zu krank ist, um die Rückreise anzutreten. Ein weiterer Grund könnten fehlende notwendige Ausweisdokumente sein. Bei solchen Abschiebungshindernissen stellt die Ausländerbehörde eine Duldung aus. Die gilt jedoch nur für einen bestimmten Zeitraum – zum Beispiel sechs Monate. Die geduldete Person muss immer wieder eine Verlängerung beantragen, um in Deutschland bleiben zu dürfen.

Das Problem der Kettenduldungen

Mehr als 100.000 geduldete Personen leben schon seit mehr als fünf Jahren in Deutschland. Im Laufe der Jahre schöpfen sie Hoffnung, lernen Deutsch und fangen an, sich ein neues Leben aufzubauen. Trotzdem müssen sie in ständiger Angst leben, dass es beim nächsten Gang zur Ausländerbehörde nicht mehr für eine Verlängerung reichen könnte.  Ein Ausbildungsvertrag oder eine vollzeitige Berufstätigkeit können Geduldete für die Zeit des Beschäftigungsverhältnisses vor einer Abschiebung schützen. Damit könnten sich ihre Chancen zu bleiben langfristig erhöhen. Doch egal was sie tun, Geduldete in Deutschland können sich nie komplett sicher fühlen. Der Fall von Jan zeigt, dass der Ausbildungsvertrag nur einen einzigen Tag zu spät kommen muss, damit der Traum als Erzieher in Deutschland bleiben zu können, in einer Nacht zerstört wird. Und das ist kein Einzelfall. Pro Asyl berichtet immer wieder von Menschen, die wegen der kleinsten formellen Fehler abgeschoben werden. Der sogenannte Spurwechsel von einem Duldungsstatus zu einem Aufenthaltsrecht ist langwierig und kompliziert. Nach den aktuellen Regelungen können sich geduldete Personen erst nach einer langen Wartezeit von acht Jahren für ein Bleiberecht bewerben. Familien mit minderjährigen Kindern dürfen dies aktuell nach sechs Jahren tun. Diese ewigen Kettenduldungen sind für die Betroffenen psychisch sehr belastend und werden schon lange von Hilfsorganisationen wie Pro Asyl kritisiert.

Was soll das Chancen-Aufenthaltsrecht ändern?

Der   von der Ampel-Regierung verabschiedete Gesetzesentwurf soll die langen Wartezeiten auf ein mögliches Bleiberecht deutlich verkürzen. Geduldete, die zum Stichtag 1. Januar 2022 seit mindestens fünf Jahren in Deutschland gelebt haben, nicht straffällig geworden sind und sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung bekennen, sollen eine einjährige Aufenthaltserlaubnis auf Probe erhalten. Innerhalb dieses Jahrs haben sie Zeit, die Voraussetzungen für ein dauerhaftes Bleiberecht zu erfüllen. Dazu zählen unter anderem Sprachkenntnisse, der Identitätsnachweis und die Sicherung des Lebensunterhalts. Wer es nicht schafft, fällt in die Duldung zurück.

Was ist das Problem?

Das geplante Gesetz geht vielen Hilfsorganisationen wie Pro Asyl nicht weit genug, doch es ist ein Schritt in die richtige Richtung. Ein Schritt, der jedoch für viele zu spät kommt. Das Chancen-Aufenthaltsrecht wurde bereits im November 2021 mit dem Koalitionsvertrag angekündigt. Wann genau der bereits vorgelegte Gesetzesentwurf vom Bundestag verabschiedet wird, ist allerdings immer noch unklar. Bis dahin kann und wird weiter abgeschoben – vor allem auch die Menschen, die schon bald von dem neuen Gesetzt profitieren könnten. So berichtet der NDR zum Beispiel vom Senegalesen Mbaye Faye. Er hatte schon seit mehr als fünf Jahren in Deutschland gelebt und konnte sich selbstständig um seinen Lebensunterhalt mit einem Job in einem Restaurant kümmern. Jetzt wurde er abgeschoben – ein paar Monate länger und er hätte durch das neue Gesetz bleiben dürfen. Eine Situation, die paradoxer nicht sein könnte. Die Menschen, die laut offizieller Regierungsseite als Teil der Gesellschaft geschätzt und vor allem als Bereicherung für den deutschen Arbeitsmarkt gesehen werden und nun eine Chance bekommen sollen, werden zum aktuellen Zeitpunkt weiterhin abgeschoben. Nur, weil das Gesetz zu langsam kommt. Deswegen fordert Pro Asyl eine sogenannte Vorgriffsregelung. Diese forder von den Ausländerbehörden, niemanden mehr abzuschieben, wenn die Person vom baldigen Chancen-Aufenthaltsrecht Gebrauch machen würde. In Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein, Bremen, Thüringen und Niedersachsen gibt es bereits eine solche Vorgriffsregelung. Doch Hamburg, sowie zehn weitere Bundesländer fehlen noch. Deswegen hat Pro Asyl die Aktion Recht auf Zukunft gestartet. Auf ihrer Website kannst du jetzt eine E-Mail an das Innenministerium deines Bundeslandes schicken und fordern: „Beschließen Sie eine Vorgriffsregelung! Weisen Sie die Ausländerbehörden an, schon jetzt niemanden abzuschieben, der von den baldigen Neuregelungen profitieren würde.“
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Anna hat American Studies und Französisch in Mainz, Dijon und Sherbrooke (Québec) studiert. Sie liebt es zu reisen und neue Kulturen zu entdecken. Neben ihrem großen Interesse für interkulturelle Themen, begleitet sie schon immer eine Leidenschaft fürs Schreiben. „Es ist mein Wunsch, gesellschaftlich und kulturell relevante Themen aus verschiedenen Perspektiven zu beleuchten und die Geschichten von Menschen sichtbar zu machen, die wirklich etwas zu erzählen haben.“

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