Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr uns die Zukunft klaut, wird auf den Fridays For Future-Demonstrationen im Chor gerufen. Besonders junge Menschen sind in der Klimabewegung aktiv und kämpfen für eine bessere Zukunft. Den Slogan habe ich selbst schon oft gerufen. Klingt erstmal gut, dachte sich auch Fridays For Future-Aktivist Ibo, als er auf der ersten Demonstration mitlief. In der aktuellen Folge des Multivitamin-Podcasts spricht Ibo darüber, wie mit Antirassismus in der Klimabewegung umgegangen wird. Seine Perspektive hat sich mittlerweile geändert: Er kritisiert die Bewegung im Hinblick auf die Zusammensetzung und die Ausrichtung.
Fridays For Future wird mangelnde Diversität vorgeworfen. Die Kritik bezieht sich dabei vor allem auf die Zusammensetzung der Bewegung. Es protestieren hauptsächlich weiße, nicht-be_hinderte, jüngere und akademisierte Menschen aus der Mittelschicht.
Warum ist das problematisch?
Bei dieser Frage geht es um viel mehr als um Repräsentation. Es geht darum, welche Perspektiven beim Kampf gegen den Klimawandel gehört werden. Gerade beim Umgang mit den Folgen des Klimawandels sollten möglichst alle Perspektiven und dabei besonders die von betroffenen Personen mit einbezogen werden. Das sind Menschen die nicht in der Zukunft, sondern jetzt und bereits in der Vergangenheit von den Folgen des Klimawandels betroffen waren und sind. Menschen, die vor Naturkatastrophen flüchten müssen. Menschen, die an den Folgen des Klimawandels sterben. Es sind Menschen mit wenig finanziellen Ressourcen, Menschen mit Be_hinderungen, Menschen of Color, Schwarze Menschen und/oder Queere Menschen.
Hier zeigt sich auch die Kritik an der starken Zukunftsausrichtung der Bewegung, die Ibo im Podcast anspricht. Natürlich haben die Fragen nach der Zukunft von jungen Menschen ihre Berechtigung. Doch neben intergenerationaler Ungerechtigkeit, also der Ungerechtigkeit zwischen verschiedenen Generationen, gibt es noch viele weitere Ungerechtigkeitsaspekte, die betont werden müssen. Begriffe wie Klimagerechtigkeit zeigen, dass wir die Zukunft und das Jetzt nur verstehen können, wenn wir auch einen Blick in die Vergangenheit werfen.
Was bedeutet Klimagerechtigkeit?
Ibo erklärt im Podcast, dass es dabei um Verantwortungsübernahme des globalen Nordens für die in der Vergangenheit etablierten und bis heute fortwirkenden kolonialen Ausbeutungsverhältnisse von Menschen und Natur geht, von denen Länder wie z.B. Deutschland bis heute profitieren.
Erklärung der Begriffe Globaler Norden und Globaler Süden aus der Broschüre“ Mit kolonialen Grüßen“ von glokal e.V. Link zum PDF-Download hier.
Klimagerechtigkeit hat viele Dimensionen, geht aber auf den Begriff der Umweltgerechtigkeit zurück. In den 80-er Jahren gab es zum ersten Mal Studien, die belegten, dass verschmutzende Industrien wie z.B. Mülldeponien hauptsächlich in der Nachbarschaft von Schwarzen Communities erbaut wurden. Am Anfang ging es daher viel um Verteilungsgerechtigkeit.
Mittlerweile hat sich der Begriff ausgeweitet. „Klimagerechtigkeit bedeutet zum Beispiel auch soziale Gerechtigkeit“, sagt Ibo. Dabei geht es darum, dass Menschen, Gruppen und Länder unterschiedliche finanzielle Ressourcen haben, um mit den Folgen des Klimawandels umzugehen. Nicht alle Menschen können sich etwa Bio-Produkte leisten.
Zur Klimagerechtigkeit gehört eine kritische Auseinandersetzung – womit genau?
Ibo erklärt, dass es systematische Veränderungen braucht. In dem Begriff Klimagerechtigkeit steckt auch Kritik am kapitalistischen System. Ibo verdeutlicht, dass einige Menschen vor solchen Begriffen auch Angst haben und dass diese innerhalb von Klimabewegungen genauer erklärt werden müssen. Kapitalismuskritik innerhalb der Klimabewegung bedeutet zum Beispiel aufzuzeigen, dass Arbeiter*innen im globalen Süden – unter sehr schlechten Bedingungen – für grüne Technologien wie z.B. Elektroautos seltene Erden oder andere Rohstoffe abbauen. Diese seltenen Erden werden damit für ein „grüneres“ Produkt verwendet, was aber an genannten ungerechten Bedingungen nichts ändert.
In Europa werden Autos mit Agrartreibstoffen angetrieben, für die z.B. in Indonesien Kleinbäuer*innen enteignet oder Tropenwälder abgeholzt werden. Eine Landnahme, die auf grünen Wirtschaftssektoren basiert, bleibt dennoch eine Landnahme mit negativen Folgen für betroffene Menschen und auch für die Natur. Für Klimagerechtigkeit zu kämpfen bedeutet, diese globalen Zusammenhänge zu erkennen. Wenn in Deutschland vom nachhaltigen Wirtschaften gesprochen wird, dann bedeutet das leider nicht unbedingt, dass sich etwas an diesen neokolonialen Strukturen ändert. Unternehmen des Nordens verlagern umweltschädliche Produktionen in Länder des globalen Südens.
Wie soll innerhalb eines solchen Systems ein „gutes Leben für alle“ möglich sein?
„Wenn es einen Krieg gibt, dann ist es schwierig, dass du dich jetzt mit einem Thema wie Klimagerechtigkeit auseinandersetzt, denn du willst bis morgen leben oder du möchtest irgendwas arbeiten, um essen zu bekommen“, erklärt Ibo.
Klimagerechtigkeit bedeutet damit auch, europaweit sichere Fluchtwege, eine menschenwürdige Aufnahme von Geflüchteten und eine Entkriminalisierung der Seenotrettung einzufordern. Es ist eben auch ein Privileg, jetzt für eine bessere Zukunft auf die Straße gehen zu können.