Fachkräftemangel, überforderte Behörden, Hetze von Rechts – im Einwanderungsland Deutschland wird viel über das Thema Migration diskutiert. Die Ampelkoalition will die Zuwanderung erleichtern und hat dafür im Dezember 2022 zwei neue Gesetze zur Einbürgerung vorgelegt. Auch für bereits in Deutschland lebende Migrant*innen wie die Tsalastras sollen sich Regulationen ändern. Am 8. Februar 2023 wird erneut darüber verhandelt.
Darunter sind auch Regelungen zur doppelten Staatsbürgerschaft und zu Voraussetzungen für die Einbürgerung. Ein Sprachnachweis für Menschen über 67 Jahren soll entfallen. Damit soll insbesondere die Generation der Arbeitsmigrant*innen gewürdigt werden, die kaum Zugang zu Sprachkursen hatten. Eine griechische Gastarbeiter*innen-Familie erzählt, was ihnen die Staatsangehörigkeit bedeutet.
Video: Als Griechin in Deutschland – Chrissoula erzählt
Kapitel 1: Dimitra
„Ich habe gemerkt, dass wir anders sind. Dass wir anders sprechen, uns sogar anders anziehen. Ich durfte viel weniger als meine deutschen Freundinnen, weil meine Eltern noch immer dieses typische Frauenbild verfolgt haben.” Dimitra ist als 5-Jährige nach Deutschland gekommen. Sie ist in einem kleinen, typisch griechischen Dorf im nördlichen Niemandsland aufgewachsen.
Am 18. April 1970 reist ihr Vater Georgios dem deutschen Ruf nach Arbeitskräften hinterher, organisiert Jobs für sich und seine Frau Chrissoula und eine Wohnung für die damals noch 3-köpfige Familie. Chrissoula kommt nach, aber die kleine Dimitra, von allen Dimi genannt, bleibt bei ihrer Oma in der Heimat. Erst als beide 1971 feste Jobs bei VW und Bahlsen in Hannover haben, holen sie ihre Tochter nach.
Sie geht in die Vorschule, um Deutsch zu lernen. Später wechselt Dimi von der Haupt- auf die Realschule und macht schließlich ihr Abitur am Gymnasium. „Ich habe angefangen, weil ich die Sprache gut gelernt habe, für meinen Vater zu übersetzen. Ich bin überall mitgegangen: bei Schulgesprächen und bei Ämtergängen.”
„Ich habe gedacht, ich müsste hier willkommen geheißen werden“
Dimi wird Erzieherin, heiratet – damals in der Familie ein kleiner Skandal, denn ihr Mann ist Deutscher – und bekommt ihre erste Tochter. Nach all den Jahren beschließt sie, sich einbürgern zu lassen. Das ist jetzt rund 20 Jahre her.
Doch die Behörde macht einen Fehler und fordert, dass sie einen Teil ihrer Identität aufgeben soll: die griechische Staatsbürgerschaft. „Ich habe gedacht, ich müsste hier willkommen geheißen werden. Und dann saß ich eines Tages ewig in diesem Wartezimmer. Ich hatte alle Unterlagen zusammen und habe sie abgegeben, aber plötzlich sollte ich ankreuzen, dass ich meine Staatsangehörigkeit aufgeben möchte. Das wollte ich aber überhaupt nicht. Es gab eine neue Entscheidung vom Europäischen Gerichtshof, dass die Griechen ihre Staatsbürgerschaft nicht abgeben müssen. Der Sachbearbeiter hat darauf bestanden und dann habe ich meine Unterlagen genommen und bin wütend gegangen. Ich war sehr, sehr, sehr verärgert.”
Kapitel 2: Wasiliki
Wer in Deutschland eingebürgert werden möchte, muss viele Voraussetzungen erfüllen, zu denen in der Regel auch die Abgabe der alten Staatsangehörigkeit gehört. Ausnahmen gibt es zum Beispiel innerhalb der EU.
Rechtsanwältin Angelika Willigerod-Bauer begleitet migrierte und geflüchtete Menschen auf ihrem Weg zur deutschen Staatsbürgerschaft und rät, sich zusätzlich zu allen vorausgesetzten Dokumenten wie dem Zertifikat des bestandenen Einbürgerungstests weitere Referenzschreiben einzuholen.
„Alles, was zeigt, dass man wirklich deutscher Staatsbürger werden möchte, sollte man in einem Ordner sammeln und vorlegen. Einer meiner Mandanten hat damals sein eigenes Buch mitgebracht, das er über die erste Zeit in Deutschland geschrieben hat. Das wurde sehr positiv aufgefasst.“ Alle Unterlagen gehen mit dem Antrag auf Einbürgerung an die zuständige Ausländerbehörde. Derzeit warten rund 100.000 Menschen auf die Bearbeitung, die Kapazitäten in den zuständigen Stellen sind ausgelastet. Eine Bearbeitung könne über ein Jahr dauern, sagt Angelika Willigerod-Bauer.
„Mama ist jetzt Deutsche”
Dimis jüngere Schwester Wasiliki hat diesen Prozess inzwischen hinter sich. Nach drei Anläufen, immer wieder kamen der Alltag, ihr Job und die Kinder dazwischen, beantragt sie während der Pandemie 2020 die deutsche Staatsbürgerschaft. „Als ich dann verbeamtet wurde, habe ich gedacht: ,Es ist eigentlich Zeit, auch die deutsche Staatsbürgerschaft anzunehmen.’ Ich fühle mich auch Deutsch und verliere die griechische ja nicht. Ich habe jetzt beide Pässe und es passt ganz gut zu mir.”
Nicht nur das Empfinden ihrer Identität, sondern auch das Wahlrecht war ein Grund, Deutsche zu werden. Aber eine Sache hat sie an diesem ganzen Prozess gestört:
„Ich musste immer wieder nachweisen, dass im Zweifel mein Ehemann für mich aufkommen kann und ich dem Staat nicht auf der Tasche liege. Ich bin in Deutschland geboren, ich war verbeamtet und hatte einen sicheren Job. Nach der Geburt meiner Kinder habe ich meine Stunden aufgestockt und wirklich gut verdient. Damit habe ich die Sachbearbeiterin am Telefon konfrontiert und sie hat mir am Ende zugestimmt, dass diese Unterschrift meines Mannes unnötig sei.” Als sie ein halbes Jahr später die deutsche Staatsbürgerschaft bekommt, feiert die Familie. „Mama ist jetzt Deutsche”, habe Wasilikis Tochter am Telefon mit ihrer Tante Dimi erzählt.
2020 ist Wasiliki eine von 109.900 neuen Staatsbürger*innen. Doch laut einer Schätzung des Statistischen Bundesamtes nehmen nur 2,2 % der Menschen, die sich den Voraussetzungen nach einbürgern lassen könnten, die deutsche Staatsangehörigkeit an. Generell lassen sich Menschen aus der EU seltener einbürgern, bei ihnen ist der Aufenthalt unkomplizierter geregelt und sie haben mehr Rechte als etwa Geflüchtete aus anderen Ländern. Auch für Dimi ist das ein Grund, warum die Staatsangehörigkeit für sie nie eine vorherrschende Rolle gespielt hat. Sie hat ein unbefristetes Aufenthaltsrecht und keine Einschränkungen bei der Berufswahl.
(Quelle: Statistisches Bundesamt, Fachserie Einbürgerungen 2022 – Daten herunterladen)
Kapitel 3: Deutsch? Griechisch? Deutsch-Griechisch!
Video: Deutsch oder Griechisch?
Während für Chrissoula keine Staatsbürgerschaft der Welt etwas an der Tatsache ändern kann, dass sie Griechin ist, hat sich Dimi 2023 eine Sache zum Vorsatz gemacht: Sie wird die deutsche Staatsbürgerschaft erneut beantragen. Denn auch sie fühlt sich nach all den Jahren nicht nur einem Land zugehörig: „Ich bin weder nur Griechin, noch bin ich nur Deutsche. Ich vertrete beide Kulturen.”
Doch würde die deutsche Staatsangehörigkeit noch etwas für sie ändern? „Ich könnte wählen. Das stört mich bei jeder Bundestagswahl wieder. Und ich glaube, beim Fußball wäre ich dann nicht mehr für die griechische, sondern vielleicht sogar für die deutsche Mannschaft.” Die Staatsbürgerschaft könne ein Mittel sein, damit sich Menschen stärker mit der Gesellschaft verbunden fühlen – und nicht nur der Lohn für erfolgreiche Integration, sagt sie. Für beide Schwestern ist eine Staatsbürgerschaft nicht weniger wert oder würde sogar „verramscht” werden, nur weil viele Menschen diese haben. Letztendlich ist es Zufall, in welchem Land und in welchen Verhältnissen man geboren wird.
„Es hat ja einen Grund, wenn jemand flüchtet. Und mit der Angehörigkeit zu einem (neuen) Staat entscheidet man sich, bewusst ein Teil der neuen Heimat zu werden. Das ist für viele Menschen sicher viel wert”, sagt Dimi. Ihre jüngste Tochter Anneta (20) ist die einzige in der Familie, die keine griechische Staatsbürgerschaft hat: „Ich finde es richtig schade, dass ich auf dem Papier nur Deutsche bin. Das ist nicht alles, was ich bin.” Denn schließlich sei auch sie halb-halb: Griechisch und Deutsch.
Bildquellen
- Griechischer und deutscher Pass: privat