Deutsche Sprache ist, was wir gemeinsam haben

"Uns Muslime verbindet die deutsche Sprache". Ein paar Monate, bevor Corona zu uns kam und unser Leben verändert hat, hat sich unser Autor entschlossen, die Moschee zu besuchen.

Fotograf*in: Hussam Al Zaher

Ich hatte das Bedürfnis nach Spiritualität in unserer materialistischen Gesellschaft. Bei den Muslimen ist Freitag der heilige Tag und weil ich Vollzeit arbeite, kann ich nur in eine Moschee in der Nähe gehen. 

Dschumma bedeutet auf Deutsch Freitag und viele Muslime kennen diesen Begriff. Dschumma kommt wahrscheinlich von dem Wortstamm dschem, was so viel wie zusammentragen, zusammenbringen bedeutet.

Welche Moschee kann ich besuchen?

Zur arabischen Moschee am Hauptbahnhof kann ich nicht gehen, auch nicht zu der neuen großen Moschee, der Al-Nour Moschee in Hamburg. Auch wenn die umgebaute Moschee sehr schön sein soll. Immerhin hat der Umbau der ehemaligen Kapernaumkirche nach Angaben der Gemeinde fünf Millionen Euro gekostet. Aber leider dauert der Weg von mir aus dorthin eine Stunde und so lange ist meine Pause nicht. Dieses Problem haben viele berufstätige Muslime.

In St. Pauli gibt es zwei Moscheen, beides sind türkische Moscheen. Ich dachte, ja, warum nicht, in allen Moscheen findet man seinen Gott Allah. Das Problem ist aber, dass der Imam nur Türkisch spricht und ich deshalb das Freitagsgebet, die Khutba, nicht verstehe.

Das Freitagsgebet

Beim Freitagsgebet gibt es manchmal vorher eine Art Unterricht. Der Imam erzählt eine Geschichte oder etwas aus dem Koran. Es war ein türkischer Imam, der nur Türkisch sprach. Viele ältere Menschen aus der Türkei waren da, aber auch sehr viele junge aus unterschiedlichen Ländern. Neben mir saßen ein Mann aus Ghana und ein Mann aus Marokko. Wir saßen alle da, aber konnten nicht verstehen, was der Imam sagte.

Ich kann die Verantwortlichen der Moschee nicht bitten, Arabisch zu sprechen, weil die Mehrheit der Besucher dort nicht Arabisch spricht und die Moschee vom Türkischen Verein Hamburg gegründet wurde. Umgekehrt wäre es auch so. Ein türkischer Mann, der eine Moschee in seiner Nähe besuchen will, in der Arabisch gesprochen wird, würde auch nicht den Imam bitten, Türkisch zu sprechen. Auch Muslime aus anderen Ländern, die weder Türkisch noch Arabisch sprechen, können den Imam nicht darum bitten, in ihrer Sprache zu sprechen. Ist Deutsch also auch unsere gemeinsame Sprache in der Moschee? 

Entwicklung des muslimischen Lebens in Deutschland

1915 wurde die erste Moschee für die ca. 30.000 muslimischen Kriegsgefangenen gebaut, allerdings wurde diese schon zehn Jahre später wieder abgerissen. 1925 folgte dann die Moschee einer pakistanischen Ahmadiya-Gemeinde im Berliner Stadtteil Wilmersdorf. Aus dieser Moschee-Gemeinde folgte 1939 auch die erste Übersetzung des Korans in die deutsche Sprache. 

Mit der Migration der Gastarbeiter ab 1961 begann sich das muslimische Leben in Deutschland aber erst richtig zu entwickeln. Die Muslime waren lange Zeit darauf angewiesen, ihren religiösen Verpflichtungen, wie dem Gemeinschafts- oder Freitagsgebet, in Gebetsräumen nachzukommen, die zuvor Fabrikhallen, Gewerberäume und ähnliches waren. Meistens lagen diese in Industriegebieten.

Eine Moschee für jede Community

Das Problem fing an, weil die deutsche Regierung und Politiker*innen den  Muslimen in Deutschland nicht genügend Aufmerksamkeit geschenkt haben. So haben die Muslime alleine eine Lösung entwickelt. Viele Muslime haben Vereine gegründet, Spenden gesammelt und haben auch Kontakte in ihrer Heimat geknüpft. So konnten in Deutschland viele Moscheen gebaut oder eingerichtet werden. 

Jede Community hat ihre Moschee für sich gebaut, z.B. die türkische oder arabische Community. Und weil der Islam viele Richtungen hat, hat danach jede Community  ihre Moschee gebaut, die Ahmadiyya, die sufische, oder auch die salafistische. 

Aber das Problem ist, dass die Muslime aus unterschiedlichen Ländern kommen und es auch nicht nur einen Islam gibt. Der Islam in Saudi Arabien ist anders als der in Syrien, wieder anders der in der Türkei oder im Iran.

Die Bedeutung der Sprache

Auf jeden Fall ist und bleibt die Community ein Punkt für viele Muslime. Und in diesem Punkt sollte die Sprache, die die Community spricht, eine Rolle spielen. Aber weil die Muslime in Hamburg auch in Deutschland keine gemeinsame Sprache sprechen außer Deutsch, könnte die Moschee auch eine Community Ort  für viele Muslime sein. Wir Muslime glauben, dass die arabische Sprache eine gemeinsame und heilige Sprache ist, vergleichbar mit dem Lateinischen im Christentum. Aber leider ändert sich das immer mehr, weil viele junge Menschen nicht Arabisch lernen. Sie können deshalb die Freitagsgebete nicht verstehen und auch nicht sprechen.

Syrische Muslime wie ich, afghanische Muslime, die Kinder von türkischen oder arabischsprachigen Eltern, die hier aufgewachsen sind, der Mann aus Ghana oder Nigeria, der Marokkaner, wir können uns nur auf Deutsch unterhalten und verstehen. Wir leben in Deutschland und unsere gemeinsame Sprache ist Deutsch.

Die Al-Nour Moschee und andere Moscheen versuchen die Khutba in zwei Sprachen zu machen, auf Arabisch und auf Deutsch. Mit dieser Lösung können sie mehr Muslima erreichen, die nicht arabisch sprechen, vielleicht auch mehr jüngere Gläubige. Gleichzeitig verdrängen sie auch nicht diejenigen, die auf arabisch ihr Freitagsgebet verrichten wollen. 

Auf jeden Fall ist das Beten in der Fremdsprache anders, als wenn man in seiner Muttersprache betet.

Appell

Und ich sage hier, dass die Moschee in zwei Sprachen beten oder mindesten die Khutba so sprechen sollten.  Nicht, damit wir die deutsche Mehrheit, die nicht Muslime sind, erreichen, sondern damit wir die jungen Muslime erreichen, die hier geboren wurden und auch deutsch sind.

Denn die deutsche Sprache ist, was wir als Muslime gemeinsam haben. 

Schlagwörter:

Zum Abo: 

Mit deinem Abo können wir nicht nur neue Printausgaben produzieren, sondern auch unsere Podcasts und das Online-Magazin weiter kostenlos anbieten.

Wir machen Journalismus, der zugänglich für alle sein soll. Mit dem Rabattcode koherobedeutetZusammenhalt kannst du einzelne Ausgaben günstiger bestellen. 

„Fluchtpunkt Hamburg. Texte im Exil“

Veröffentlichung Januar 2018 – zwei Jahre harte Arbeit werden belohnt Die Hamburger Autorin Esther Kaufmann organisiert das Projekt mit ihren Kollegen Sven J. Olsson, Reimer Eilers sowie Emina Kamber. Sie hat aber

Weiterlesen …

EU-Asylreform: „ein historischer Fehler“

Am 8.6.23 haben die EU-Innenminister*innen über eine Reform des Asylrechts entschieden. Die Menschenrechtsorganisation Pro Asyl nennt den Beschluss des Europäischen Rates einen “Frontalangriff auf das Asylrecht“. Bundesinnenministerin Nancy Faeser twittert

Weiterlesen …

Wir brauchen nur Freiheit

In Syrien gibt es eine Koalition zwischen der Regierungspartei und Geschäftsleuten, die zu einer großen Familie gehören. Die Regierungspartei hat fast 70 Prozent und der Familienclan beinahe 30 % im Parlament. Es gibt viele große Familie in Syrien und sie alle wollen im Parlament sein. Deshalb bestimmen die Geheimdienste, welche Familie ins Parlament kommt. Natürlich müssen sie dafür Geld bezahlen, mit Geld kann man alles erreichen.

Weiterlesen …
Kategorie & Format
Hussam studierte in Damaskus Politikwissenschaften mit dem Schwerpunkt Internationale Beziehungen. Parallel dazu arbeitete er als schreibender Journalist. Seit 2015 lebt er in Deutschland. Er ist Gründer und Chefredakteur von kohero. „Das Magazin nicht nur mein Traum ist, sondern es macht mich aus. Wir sind eine Brücke zwischen unterschiedlichen Kulturen.“

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Kohero Magazin