In Deutschland gehört man zur politisch mündigen Gesellschaft, wenn man einen deutschen Pass hat, wenn man mindestens 18 Jahre alt ist und wenn man seinen Wohnsitz in Deutschland hat. Damit erfülle ich zwei von drei Voraussetzungen: Ich lebe mittlerweile seit fünf Jahren in Deutschland, habe auch meinen Wohnsitz hier und ich bin 24 Jahre alt. Ich darf aber nicht wählen und das nur, weil ich die deutsche Staatsbürgerschaft noch nicht besitze.
Ich bin in der deutschen Gesellschaft integriert
Bereits seit meiner Schulzeit interessiere ich mich für Politik und auch für die soziale Anliegen meiner Umwelt. Gerne helfe ich meinen Mitmenschen und möchte mich für diese stark machen und gesellschaftspolitisches Engagement zeigen. Da ist zum einen der Einsatz für den Umweltschutz, der mir sehr am Herzen liegt. Aber vor allem auch das Thema Klimagerechtigkeit. Ich bin davon überzeugt, dass der Schutz des Klimas uns alle betrifft und gleichzeitig untrennbar mit den sozialen Anliegen der einzelnen Menschen verknüpft ist. Basierend auf meiner politischen Grundhaltung bringe ich meine vielseitigen Interessen sehr gut ein.
Als aus Syrien geflüchtete, kurdische Frau trage ich neben den Themen Ökologie und Nachhaltigkeit auch Demokratie, Menschenrechte, Selbstbestimmung und Gerechtigkeit im Herzen. Bei diesen Themen ist es für mich elementar, sie aus unterschiedlichen Perspektiven zu betrachten. Da ich mich zudem noch für die Verwirklichung einer demokratischen Einwanderungsgesellschaft einsetze, habe ich mich ermutigt gefühlt, mich bei einer progressiven Partei zu engagieren.
Von Syrien nach Deutschland
Ich bin in Syrien geboren und aufgewachsen. Als Kurdin habe ich in Syrien einer Minderheit angehört und hatte deswegen keine Möglichkeit politisch zu partizipieren. Ich habe 18 Jahre in Syrien ohne Staatsangehörigkeit gelebt.
Dass der Weg zur deutschen Staatsbürgerschaft ein langer ist, war mir bewusst, bevor ich hierhergekommen bin. Mir war jedoch nicht bewusst, dass es Menschen gibt, die seit 20 Jahren hier sind und nicht wählen dürfen. Ich dachte, dass sie in einem demokratischen Land sind und jeder wählen darf.
Denn als wir in Syrien waren, hatten wir keine Nationalität und waren nicht anerkannt. Weil wir zur Volksgruppe „Kurden“ gehören, durften wir in Syrien nur die arabische Sprache in der Schule lernen, aber nicht beim Staat tätig werden und dies hat immer mein Interesse an der Politik geweckt. Mein Vater hat immer selbstständig gearbeitet und mit seiner Arbeit die Familie versorgt. Er war aber hauptsächlich im Handel tätig.
Außerdem durften wir nicht aus Syrien raus, denn wir hatten keinen syrischen Pass. Wir mussten mit der Situation leben können und nur weil wir keine syrische Nationalität hatten, hatten wir auch keine Rechte.
Vor fünf Jahren kam ich mit meinen Geschwistern und Eltern aus Syrien nach Deutschland. Seitdem wohne ich mit ihnen in Erfurt. Ich habe zunächst die deutsche Sprache gelernt und dann meine Ausbildung gemacht. Außer in Bezug auf das Thema „wählen“, fühle ich mich integriert. Aktuell studiere ich Erziehungswissenschaft und Sozialwissenschaft im dritten Semester an der Universität in Erfurt. Seit vielen Jahren engagiere ich mich außerdem ehrenamtlich. Ich unterrichte Kinder, helfe Geflüchteten bei der Suche nach einem Arbeits-/Ausbildungsplatz und dabei, die deutsche Sprache zu lernen. Trotzdem habe ich kein Wahlrecht – weder bei den Bundestags- noch bei Landtagswahlen.
Mein Wunsch, wählen zu dürfen
Um wählen zu dürfen, müssen verschiedene Vorrausetzungen erfüllt werden. Eine weitere Voraussetzung ist, dass man 6 Jahre in Deutschland gelebt haben muss. Das konnte ich leider noch nicht erfüllen, denn aktuell lebe ich erst seit 5 Jahre in Deutschland. Deswegen dauert es noch ein Jahr, bis ich die Staatsbürgerschaft bekommen werde und endlich wählen darf.
Den deutschen Bundestag wählen nur deutsche Staatsbürger. Wie zuvor in Syrien, versuche ich ein wertvolles Mitglied für die Gesellschaft zu sein. Deswegen habe ich, nachdem ich nach Deutschland gekommen bin, sehr viele Stunden investiert, um die Sprache zu lernen und mit dem Studium anzufangen. Das war sehr schwer für mich, aber ich wollte es unbedingt schaffen, um persönlich weiterzukommen und um die Gesellschaft, die mir Sicherheit bot, mit eigenen Impulsen mitzugestalten. Wählen darf ich aber nicht, weil ich keinen deutschen Pass habe.
Leben in einem Land, indem ich mich nicht politisch beteiligen darf
Damit fühle ich mich, als wäre ich kein Teil dieses Landes und dieser Gesellschaft. Ich kann nicht nachvollziehen, wie Menschen Steuern zahlen und hier leben, aber nicht mitbestimmen dürfen, was mit den Steuergeldern geschieht. Für mich ist es sehr wichtig, an der Politik beteiligt sein zu können, denn ich weiß, dass es mein Leben betrifft. Und es wird auch die Gesetze meiner eigenen Zukunft beeinflussen, sodass ich auch sehr gespannt auf die Wahlergebnisse des diesjährigen Bundestagswahl bin. Es ist ein komisches Gefühl, weil ich ganz genau weiß, dass bald sehr viele Menschen wählen dürfen. Und ich lebe hier und stehe an der Seite und kann eigentlich wenig machen.
Das wünsche und fordere ich von der Politik
Aktuell ändert sich in unserer Welt sehr viel. Unser Zusammenleben ist durch die Pandemie stark verändert. Das Bildungssystem funktionierte plötzlich nicht mehr, der Klimawandel wird immer deutlicher und vieles mehr. Es ist wichtig, dass wir uns jetzt neue Pläne für die Zukunft machen und nicht zu versuchen, alles wieder zum „Alten“ zurückzuwenden. Ich fordere von den Politikern, dass sie sich nicht nur auf die Bildung von Kindern und Jugendlichen konzentrieren, sondern auch die Bildung von Erwachsenen im Blick behalten. Um den Klimawandel zu verlangsamen, muss sich die Wirtschaft anpassen und der Arbeitsmarkt sich wandeln. Das erfordert wiederum, dass die Menschen sich weiterbilden.
Außerdem wünsche ich mir persönlich, dass sich die Politiker für den Klimaschutz einsetzen werden. Klimaschutz ist enorm wichtig, damit wir auch in Zukunft gut (oder auch noch besser) leben können. Wir tragen aber auch Verantwortung für die nachfolgenden Generationen und sollten den Lebensraum, den wir haben, auch für sie schützen. Nicht zuletzt sollte sich die Politik bewusst machen, dass es nicht nur darum geht, unser eigenes Überleben und das unserer Kinder zu schützen. Auch den Lebensraum der Pflanzen und Tiere zu bewahren, mit denen wir uns diesen Planeten teilen.
Wahlrecht als Teil von Integration
Bei Wahlen ist es mir wichtig, sie auch für Ausländer zu öffnen, die integriert sind und Steuern zahlen. Von der Politik wünsche ich mir, dass sie nicht nur von Integration spricht, sondern sich auch aktiv dafür einsetzt und Taten folgen lässt.
Integration heißt meiner Meinung nach nicht nur die Sprache zu lernen, sondern auch das Recht zu haben, über die eigene Zukunft mitzuentscheiden. Beispielsweise durch eine politische Wahl. Das Recht zu wählen und eine politische Entscheidung zu treffen, möchte ich nicht nur für mich allein. Ich denke da vielmehr an all die Menschen, die mir in meiner Zeit in Deutschland bisher begegnet sind. Auch für die Menschen, die mich unterstützt haben und für Menschen, die mit dem Traum nach Deutschland kommen, ein hilfreiches und engagiertes Mitglied für die Gesellschaft sein zu dürfen. Maßgeblich sollte nicht die Herkunft sein, sondern der Wille, sich einzubringen.
Politisch setze ich mich besonders für Chancengleichheit und Gleichberechtigung ein und deswegen wünsche ich mir, dass es mehr Chancen geben wird. Ich musste leider selbst erfahren, wie schwer es ist, einen Ausbildungsplatz zu erhalten, wenn man beispielsweise mit einer Sprachbarriere konfrontiert ist. Ich wünsche mir, dass solche Hürden abgebaut werden und alle Menschen die gleichen Chancen erhalten. Dazu gehört es für mich auch, sich bewusst zu machen, dass Menschen vielfältig sind und sich unterscheiden. Diese Unterschiede müssen meiner Meinung nach jedoch nicht dazu führen, dass sie Menschen trennen und die Gesellschaft spalten. Die Politik muss sich vielmehr dafür einsetzen, die Unterschiede zwischen uns zu überwinden und für Gleichberechtigung und einen respektvollen Umgang miteinander zu sorgen.
Meine Hoffnung ist, dass es eine Änderung des Wahlrechts für Ausländern geben wird. Sie sind Teil dieses Staates, Teil unserer Gesellschaft und sollten dementsprechend auch politische Teilhabe besitzen – und wählen dürfen.
Meine Hoffnungen und Ziele
Abschließend würde ich sagen, dass ich sehr dankbar dafür bin, nach meiner Flucht 2016 in Deutschland Asyl erhalten zu haben. In Deutschland habe ich ein neues Zuhause gefunden und ich fühle mich hier sehr wohl. Ich bin dankbar dafür, hier die Möglichkeit zu haben, in Sicherheit zu leben und studieren zu dürfen.
In Zukunft kann ich mir gut vorstellen, ein eigenes Projekt zu leiten, in welchem ich Jugendlichen und Studierenden (vor allem mit Migrationshintergrund) helfe. Ich könnte sie beispielsweise beim Lernen unterstützen, Berufsberatung anbieten oder sie allgemein in verschiedenen Fragen beraten. Das Projekt sollte zudem einen Fokus auf politischer Bildung besonders in Bezug auf Demokratie, Abbau von Vorurteilen und Diskriminierung und Klimagerechtigkeit haben. Ich bin davon überzeugt, dass wir junge Menschen fördern und unterstützen müssen, da wir eine große Rolle für die Gesellschaft und deren Zukunft spielen.
Ich möchte vor allen Dingen Rassismus und Diskriminierung in der Welt abschaffen. Es wird immer Unterschiede zwischen den Menschen geben, aber wie ich bereits beschrieben habe, sollte diese Unterschiede uns nicht trennen und schon gar nicht dazu führen, dass Menschen ungleich behandelt werden. Ich möchte eine Welt, in der alle Menschen respektvoll und gleichbehandelt werden und die gleichen Chancen erhalten.