Meine Heimat in einer heilen Welt

Dieser Text ist entstanden, als eine Freundin von mir mich gefragt hat, wie es mir grade geht mit der Situation im Iran. Ich bin morgens aufgewacht und habe drauf losgetippt, um meine Gefühle loszuwerden.

In einer heilen Welt wäre ich in meiner Heimat groß geworden. Ich hätte meine Muttersprache fließend beherrscht, nicht nur mündlich, sondern auch schriftlich. Sogar lesen könnte ich die Schriftzüge meiner Vorfahren. Ich wäre in einem Land groß geworden, wo mein Name nicht komisch begutachtet wird und keiner würde sich jemals über meinen Namen lustig machen. Im Gegenteil, Sie würden meinen Namen richtig aussprechen und ihm den Respekt geben, der ihm zu steht. Aber meine Eltern wussten nicht, dass in dem Land, das ich später den Ort nenne, an dem ich aufgewachsen bin, keiner meinen Namen verstehen würde und dass er mir Schmerz bereiten würde.

Wo die Seele anklang findet

Ich wäre mit meinen Verwandten groß geworden, meiner Oma, meinen Tanten, Onkeln, Cousinen und Cousins, die mich verehren und lieben, auch wenn sie mich kaum kennen. Ich wüsste, wie es sich anfühlt eine Familie zu haben und eine Oma zu der man gehen kann. Die Gerüche, die Erde auf der ich laufe, die Sprache, die Witze, die Geräusche, mir wäre alles bekannt und nicht fremd.

Jedoch wurde mir so eine Chance nie gegeben, zu wissen, was Heimat bedeutet. Ein Ort, an dem man sich ganz fühlt und nicht fremd. Ein Ort, an dem man sich nicht anpassen muss, weil man schon seit der Geburt reinpasst. Ein Ort, an dem man sich wohlfühlt und nicht erklären muss. Ein Ort, wo dir alles vertraut ist, wo deine Seele Anklang findet. Wo man sich nicht ständig fragen muss, ob man hergehört oder ständig Leute fragen „Wo man den wirklich herkommt“.

 

Azadi

Stattdessen sind meine Eltern geflohen aus ihrer geliebten Heimat, aus ihrer vertrauten Umgebung, um Sicherheit für uns zu finden, meinen Bruder und mich. Sie wollten, dass wir in Freiheit aufwachsen, Azadi.

Azadi, nach die sich meine Eltern und Millionen andere Iraner sehnen, für die manche gestorben sind und immer noch getötet werden. Azadi, die für mich ganz selbstverständlich ist. Das Wort, das ich stolz sage, um zu rechtfertigen, dass ich in einem Land lebe, wo ich alles machen kann, alles sagen kann und werden kann, was ich will. Azadi, zu anziehen, was ich will, heiraten kann, wenn ich will, Kinder kriegen kann, wenn ich will. Hier muss ich auf niemanden hören, der mir in mein Leben reinredet. Hier kann ich das machen, wofür ich mich entscheide. Eine Azadi, die meine Mutter nie hatte.

Doch war ich so azad, wie es mir meine Eltern für mich wünschten? Wir hatten es immer gut, sind wohlbehütet aufgewachsen, uns hat es an nichts gemangelt, was andere Kinder hatten. Wir hatten immer die neusten Klamotten, die neusten Spiele. Auch wenn wir kein riesiges Haus hatten, war ich reich. Reich an bedingungsloser Liebe, reich an Essen, reich an Bildung. Ich wurde immer gefördert von meinen Eltern, sei es meine Leselust, die nie gestillt werden konnte oder ein Besuch in Museen, die meine Eltern nicht unbedingt verstehen, weil sie die Sprache nicht perfekt beherrschen. Wenn ich etwas wollte, habe ich es bekommen, immer.

Azadi in Deutschland?

Ja, rein theoretisch kann hier in Deutschland jeder werden, was er oder sie will, praktisch gesehen aber nicht. Schon früh ist mir aufgefallen, dass ich anders behandelt werde als deutsche Kinder. In der Grundschule sollte ich einen Deutschförderkurs belegen, obwohl ich zur gleichen Zeit Deutsch gelernt habe, wie ich Farsi, meine Muttersprache gelernt habe. Nach einer Stunde in dem Kurs wurde der Lehrerin jedoch schnell klar, dass ich da nicht reinpasste und es nicht nötig habe. Also ging ich nie wieder hin.

Als es darum ging, zu entscheiden, auf welche weiterführende Schule ich gehen soll, wurde mir die Realschule empfohlen. Meine Mutter ist ausgerastet. Realschule?! Meine Tochter will Forscherin werden. Sie packte mich am Arm und ging zum Büro meiner Rektorin und schrie sie an, was sie für ein Nazi sei. Meine Lehrerin, die dabei war, sagte nur, sie dachte, es wäre besser, weil mir meine Eltern nicht mit den Hausaufgaben helfen können und es dann schwierig werden könnte für mich.

Ich habe meine Eltern nie für meine Hausaufgaben gebraucht, selbst wenn Sie deutsch fließend beherrscht hätten, hätten Sie mir nicht helfen können, da die Schule und Hausaufgaben im Iran anders gelehrt wurden. Meine Mutter packte meine Zeugnisse und ging mit mir zu Rektor eines Gymnasiums und ich sprach kurz mit ihm und er versicherte meiner Mutter, dass ich gut reinpassen würde. Also ging ich aufs Gymnasium. Nicht wegen der Förderung meiner Lehrer*innen, sondern weil meine Mutter für mich kämpfte. Eine Löwenfrau, Shirzan. Hätte ich meine Shirzan Mutter nicht gehabt, wäre mein Leben vielleicht ganz anders verlaufen als jetzt. Meine Eltern haben mir immer den Rücken gestärkt, mit den wenig Ressourcen, die sie hatten.

Wurzeln

Ständig werde ich gefragt, wo ich den wirklich herkomme oder was meine Wurzeln sind. Das Problem ist, dass ich keine richtigen Wurzeln habe. Nicht so wie deutsche Kinder dessen Vorfahren schon seit mehreren Generationen an einem Ort leben. Ich fühle mich entwurzelt. Entwurzelt aus dem Land, das eigentlich meine Heimat sein sollte, was meine Heimat eigentlich ist. Meine Familie ist zerteilt zwischen Kontinenten. Ich fühle mich weder richtig Deutsch noch richtig Persisch. Obwohl man sagen könnte, ich bin Deutsch, muss man verstehen, dass ich nicht Deutsch erzogen wurde. Meine Erziehung ist persisch, mein Essen ist persisch. Die Sprache, die ich am meisten mit meinen Eltern spreche, ist Persisch oder eher Farsi, weil Persisch gibt es gar nicht, auch nicht Iranisch.

Meine Eltern haben alles getan, damit wir uns gut integrieren. Wir haben deutsche Bräuche mitgemacht, obwohl meine Eltern die nicht verstanden haben, wir haben Dinge gemacht, die deutsche Kinder auch tun. Wir haben uns angepasst.

Ich hab mich damit abgefunden immer ein wenig anders zu sein, in dem Land in dem ich groß geworden bin. Ich hab mich damit abgefunden mich immer ein wenig fremd zu fühlen, in dem Land in dem ich meine Freunde und meine Familie habe. Ich hab mich damit abgefunden, dass ich ständig gefragt werde, ob ich ein Moslem bin oder ob ich Schweinefleisch esse. Ich hab mich auch mit den Blicken abgefunden, die mir ab und zu hinterhergeworfen werden, wenn ich meine Muttersprache spreche oder mit meinen Eltern in einer hohen Lautstärke spreche, was im Iran ganz normal ist.

 

Heimat

Wo ist denn meine Heimat? Der Ort, an dem ich, ich sein kann. An dem mein Körper sich wohlfühlt.
Ich war noch nie im Iran, ich bin mit circa einem Jahr nach Deutschland gezogen und war seither nicht mehr dort. Ich hatte auch nie das große Verlangen, denn ich wusste: Den Ort, der für mich so heilig, schön und mystisch war, den wunderschönen Ort, von dem meine Familie immer erzählt und von dem ich wusste, dass es ihn mal gab, den gab es nicht mehr so. Nicht so wie ich es mir wünsche.

Da ist ein dunklerer Schleier, gefüllt von Zwang und Sitte. Wenn man genau hinguckt, findet man die schönen Orte, Menschen und die Kultur noch, aber ich wollte nicht dahin. Ich wollte nie gezwungen werden, ein Kopftuch zu tragen, um meine Heimat zu besuchen. Meine Azadi war und ist mir heilig. So oft wurde ich gefragt, warum ich den nicht in den Iran fliegen würde und jedes Mal habe ich gesagt, ich gehe erst hin, wenn ich kein Kopftuch mehr tragen muss.

 

Den dunklen Schleier lüften

Ich unterstütze nicht die Unterdrückung der Frauen im Iran und gebe auch nicht nach. Jedes Jahr sterben mehrere Frauen, weil sie ihr Kopftuch nicht richtig tragen. Ein Kopftuch, an das sie nicht glauben, das sie nicht tragen wollen und das für sie Unterdrückung bedeutet.

Auch Mahsa Amini ist 2022 genau deswegen gestorben.

Dieses Mal war es den Frauen im Iran genug. Den Shirzana, sie gehen auf die Straße und verbrennen ihre Kopftücher und schneiden ihre Haare ab. Genug ist genug. Wir haben keine Angst mehr. Eher sterben sie. Meine Mutter und mein Vater gehen auch auf die Straße. Sie haben keine Angst. Hatten sie nie. Nicht Angst ihre geliebte Heimat zu verlassen, oder Angst vor dem, was auf sie in Deutschland zu kam.

Meine Mutter hat es mir immer gesagt, hab nie Angst!

Also hatte ich nie welche.
Wovor auch?
Ich bin ja eine Shirzan.

In den Iran fliegen

Ich hatte nie das Bedürfnis in den Iran zu fliegen und hatte nie richtig das Gefühl, dass mir was fehlt und ich nicht ganz bin. Erst seit der Therapie ist mir aufgefallen, wie sehr mich das Thema Immigrant zu sein beschäftigt. Wie sehr mir etwas fehlt und dass ich mich absolut entwurzelt fühle. Ständig am hin und her ziehen, weil ich mich nach Heimat sehne. Erst dieses Jahr überkam mich der starke Drang, in den Iran zu fliegen. Ich wollte irgendwo hin, wo ich nicht fremd bin. Meine Mutter rief mich an und sagte mir: „Wir gehen bald in den Iran, und wenn wir gehen, dann ohne Kopftuch“.

 

Dieser Text kommt von einer Autorin, die uns ihren Text zugeschickt hat. Möchtest auch du deine Geschichte mit uns teilen? Sende uns deinen Text hier zu.

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Kategorie & Format
Autorengruppe
Negar ist Deutsch-Iranerin, die 1995 in Teheran geboren und mit circa einem Jahr mit ihrer Familie nach Deutschland ausgewandert ist. Sie ist in der Nähe von Köln groß geworden, aber hat die letzten Jahre in den Niederlanden, Japan, Schweden und Österreich gelebt. Sie hat einen Bachelor der Psychologie und einen Master in der Forschung und Entwicklung von Medikamenten für neurologische Krankheiten. „Einer meiner größten Leidenschaften sind Bücher lesen und schreiben, woran ich mich mit diesem Text das erste Mal wage, einen Text zu veröffentlichen.“

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