Nach Crotone: die Frage des politischen Willens

Erst kürzlich verunglückte ein Holzboot vor der süditalienischen Küste: An Bord befanden sich etwa 180 Menschen, vor allem aus Afghanistan, Pakistan und dem Iran. Eine vermeidbare Tragödie, heißt es – doch warum wiederholt sie sich wieder und wieder? Hussam al Zaher steht vor lauter Fragen.

Erst kürzlich verunglückte ein Holzboot vor der süditalienischen Küste: An Bord befanden sich etwa 180 Menschen, vor allem aus Afghanistan, Pakistan und dem Iran. Eine vermeidbare Tragödie, heißt es – doch warum wiederholt sie sich wieder und wieder? Chefredakteur Hussam al Zaher steht vor lauter Fragen. Am Sonntag, 26.02, teilte die italienische Küstenwache mit, dass bei einem Bootsunglück vor ihrer südlichen Küste bei Crotone viele Menschen ums Leben gekommen sind. Die Ermittlungen gehen noch weiter, während ich schreibe, aber bisher stieg die Todeszahl auf 67. Es sind auch viele Kinder unter den Ertrunkenen. Von ungefähr 180 Geflüchteten, die sich auf dem Boot befanden, konnten 80 Menschen gerettet werden.

Warum wird dieses Meer zum Friedhof?

Viele Medien, unter anderem auch die Tagesschau, schreibt, dass “Migrantinnen und Migranten” an Bord waren. Migranten oder Geflüchtete? Oder Flüchtende? Die deutsche Sprache sucht nach Genauigkeit, dabei sollte nur eine Sache im Vordergrund stehen: Es sind Menschen ertrunken. Männer, Frauen, Kinder. Aus Pakistan, Afghanistan und dem Iran. Jeder dieser Menschen hatte Familie, Freunde, persönliche Vorlieben, Schicksale und Träume. Auch nach so vielen Jahren frage ich: Warum darf das Mittelmeer die Träume dieser Menschen verschlucken? Warum wird dieses Meer in Europa zum Friedhof? Die Debatte und die Aussagen der europäischen Politiker*innen und von den Rettungsorganisationen sind für viele von uns nicht neu. Sergio Di Dato, Projektkoordinator bei Ärzte ohne Grenzen Italien, kritisierte das „Vakuum an Rettungskapazitäten“ im Mittelmeer und bezeichnete es als „inhuman, inakzeptabel und unverständlich“, dass immer wieder vermeidbare Tragödien passieren. Die Rettungsorganisation Sea-Watch schreibt auf Twitter von einem staatlich verursachten Massensterben, das vermeidbar gewesen wäre. Vermeidbar? Ja, weil schon am Samstagabend ein Flugzeug der Grenzschutzagentur Frontex das Holzboot entdeckt hatte. Die Schiffe, die danach zur Suche geschickt wurden, fanden das Holzboot nicht. Dann vergingen nochmal mehrere Stunden, bis Schiffe der Polizei und der Küstenwache sich auf die Suche machten. Viele kritisieren jetzt, dass nicht schon in der Nacht von der Küstenwache gesucht wurde. Erst vor ein paar Tagen kam in Italien ein neues Gesetz durch das Parlament und den Senat. Es entscheidet, dass die privaten Rettungsschiffe nach einer Rettungsaktion direkt einen vorgegebenen Hafen ansteuern müssen. Also dürfen sie nicht auf weitere Notrufe woanders reagieren. Die italienische Opposition, die Menschenrechtsorganisationen, ja auch die UN haben dieses neue Gesetz verurteilt. Es gefährdet Menschenleben und Retter, bestraft diejenigen, die retten wollen. So wurde letzte Woche auch ein Rettungsschiff der Ärzte ohne Grenzen von italienischen Behörden festgesetzt.

Wo stehen wir?

Auch die deutsche Bundesregierung steht in der Kritik, weil ein schon länger geplantes Gesetz zur Änderung der Schiffssicherheitsverordnung (SchSV) neue Schwierigkeiten für private Rettungsorganisationen bringen könnte. In einer gemeinsamen Mitteilung schreiben sieben Rettungsorganisationen, dass die vorgeschlagenen Änderungen zu hohen Technik- und Versicherungskosten führen könnten. Unter diesen Umständen müssten viele ihre lebensrettende Arbeit noch weiter einschränken. Wo stehen wir also? Die italienische Innenpolitik, die komplizierten bürokratischen Veränderungen in der deutschen Schiffssicherheitsverordnung, oder der jahrelange europäische Streit über die Aufnahme von geretteten Menschen… das alles braucht mehr als eine Kolumne an einem Freitag. Und das alles wurde schon oft diskutiert und berichtet. Genauso kompliziert sind die Ursachen der Flucht (oder der Migration?) der Menschen, die ihr Leben verloren haben. Flüchteten manche aus Pakistan nach der katastrophalen Flut letztes Jahr? Waren einige der Afghan*innen vor der Taliban auf der Flucht? Wie viele Jahre waren diese Menschen auf dem Weg zu ihrem vermeidbaren Tod im Mittelmeer? 2022 mussten mindestens 2.367 Menschen ihr Leben im Mittelmeer lassen. Die echte Zahl ist sehr wahrscheinlich viel, viel höher. Wie viele müssen 2023 sterben? Oder wie viele können 2023 gerettet werden? Ich habe auch nicht viel mehr als Fragen. Gleichzeitig weiß ich, dass es bereits viel Forschung und viel Wissen dazu gibt, wie und warum diese tödliche Fluchtroute entsteht. Es gibt auch verschiedene Lösungsvorschläge. Es bleibt mir also eigentlich nur eine letzte Frage: wo ist der politische Wille?
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Hussam studierte in Damaskus Politikwissenschaften mit dem Schwerpunkt Internationale Beziehungen. Parallel dazu arbeitete er als schreibender Journalist. Seit 2015 lebt er in Deutschland. Er ist Gründer und Chefredakteur von kohero. „Das Magazin nicht nur mein Traum ist, sondern es macht mich aus. Wir sind eine Brücke zwischen unterschiedlichen Kulturen.“

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