Eskalation unter Kollegen in der Mittagspause

Cornelias syrischen Kollegen aus der Chirurgie kennt ihr ja bereits aus einem ihrer letzten Beiträge. In dieser Geschichte lernt ihr den ägyptischen Kollegen Hesham aus ihrer eigenen Abteilung kennen und wie seine „falsche“ Antwort das Verhältnis unter Kollegen nachhaltig beeinflusst hat …

Foto: Dan Gold on Unsplash
Fotograf*in: Dan Gold on Unsplash

Wir treffen uns, wie immer, alle gemeinsam zur Mittagspause. Ärzte und Pflegepersonal sitzen zusammen an einem langen Tisch, die Stimmung ist gut, die Laune fröhlich, es wird geschwatzt und gelacht und gescherzt. Jemand hat Kuchen mitgebracht und Obst, der Kaffee schmeckt auch. Niemand hat ein Problem und alles ist gut, bis … ja, bis jemand feststellt, dass unser ägyptischer Kollege Hesham ja noch gar keinen Kuchen gegessen hat.

Iss Kuchen!

„Iss doch!“, bietet die stolze Bäckerin an.

„Nein, danke dir, ich …“

Er möchte noch etwas sagen, aber sie lässt ihn nicht ausreden: „Ach, du musst den kosten, der schmeckt total lecker!“

„Ja, der sieht auch sehr lecker aus, aber …“ Wieder kommt er nicht abschließend zu Wort.

„Hier, bitte!“ Er bekommt einen Teller mit Kuchen hingeschoben.

„Echt lieb von dir, wirklich. Irgendwann später mal, dann koste ich deinen Kuchen gerne.“

„Mensch, warum denn nicht heute? Nun iss schon!“, wird er weiter bedrängt.

„Nein, danke.“ Er schiebt den Teller zurück.

„Nur ein ganz kleines Stück!“ Wieder wird der Teller mit dem Kuchen vor seine Nase geschoben.

„Danke, das ist ganz lieb von dir, aber ich möchte wirklich nicht!“

Der Ton wird schärfer: „Nun stell dich nicht so an! Du bist doch sonst nicht so!“

„Nein nein, es ist alles gut, wirklich! Vielen Dank! Ich …“ Aber wieder hat unser ägyptischer Kollege keine Chance auszureden.

„Sag mal, hast du was gegen meinen Kuchen? Den hab ich gestern selber gebacken!“, reagiert die Bäckerin beleidigt.

„Oh nein, natürlich nicht! Du bist eine super Bäckerin! Vielen Dank, aber ich möchte jetzt wirklich nicht!“

Wütend: „Dann lass es halt! Wer nicht will, der hat schon! Oder bist du gerade auf Diät?“

Ohne eine Antwort abzuwarten, wendet jemand anders ein: „Dann iss halt eine Banane, oder einen Apfel!“

Hesham kann sich kaum noch zur Wehr setzen: „Ich danke euch, aber ich möchte jetzt bitte überhaupt nichts essen!“

Mir ist angesichts dieses Dialogs und dieser Hartnäckigkeit schon lange der Bissen im Hals stecken geblieben. Unsere Blicke streifen sich und halten kurz inne, als aus mir ein: „Mein Gott nochmal, nun lasst ihn doch endlich in Ruhe!“ herausplatzt. Aber das wird ignoriert und ich werde nur entgeistert angeschaut.

„Hast du keinen Hunger, oder was?“, wird der Kollege weiter bedrängt.

„Doch, schon …“, antwortet er, und ihm ist das Lachen immer noch nicht vergangen, im Gegensatz zu mir.

„Und wieso isst du dann nichts?“

Noch ein Blick zwischen uns, eine Rückversicherung, dass er sich meiner Unterstützung sicher sein kann. „Ich danke euch, ich faste. Es ist Ramadan.“

Stille, absolute Stille

Es so ruhig wie selten im Pausenraum. Und plötzlich reden alle wild durcheinander – nicht mit, sondern über Hesham.

Unser ägyptischer Kollege, nett, ruhig, unauffällig, fachkompetent, ein Musterbeispiel an Integration, bei allen sehr beliebt, gehört nach diesem einen Satz schlagartig nicht mehr dazu. Es gab die „falsche“ Antwort. Daraus fogte:  Der und wir. Wir und die anderen. Also nein, unmöglich sowas, in einer deutschen Kantine!

Er solle doch gefälligst seinen Glauben für sich praktizieren! Hat er doch – er wurde schließlich regelrecht zu einer Reaktion gezwungen.

Er solle sich gefälligst anpassen: Hat er doch – er ist mit uns allen gemeinsam in die Kantine gegangen, wie jeden Tag. Weil es bei uns so üblich ist, die Mittagspause gemeinsam zu verbringen. Er hätte ja schließlich auch fernbleiben können.

Das Ende einer Tradition

Es reden immer noch alle wild und wütend durcheinander, die Stimmung schaukelt sich immer mehr hoch. Hesham schaut entsetzt und stumm in die Runde, ich versuche ein paar Mal, mir Gehör zu verschaffen – vergeblich. Entweder, ich komme gar nicht erst zu Wort, oder ich werde übertönt.

Ein drittes Mal schauen wir uns an. Wie auf Kommando stehen wir gleichzeitig auf und verlassen gemeinsam den Pausenraum – auf einmal ist es wieder mucksmäuschenstill, und wir spüren die bohrenden Blicke in unseren Rücken.

„Es tut mir leid, Hesham. Ich schäme mich …“

„Ach, so ein Quatsch, das muss dir nicht! Du kannst doch nichts dafür. Aber ich danke dir von ganzem Herzen!“

Es war die letzte gemeinsame Mittagspause. Unser ägyptischer Kollege setzte sich nie wieder zu den anderen, auch als der Ramadan vorbei war. Und er wurde nie aufgefordert, sich doch wieder dazuzusetzen. Aber er blieb auch nicht allein, es gesellte sich nur niemand weiter zu uns.

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Autorengruppe
Cornelia ist Ärztin und leitete einige Jahre den Aufbau eines Krankenhauses in Kambodscha. Heute ist sie in einer Klinik in Sachsen angestellt. Seit 2015 engagiert sie sich für geflüchtete Menschen in Deutschland, indem sie unter anderem eine Ambulanz in einer Erstaufnahmeeinrichtung gründete. Für kohero schreibt sie über den alltäglichen Rassismus, den sie in dieser Arbeit erlebt, aber auch über kleine Lichtblicke.

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