Erstmals ist ein Lagebericht zu Rassismus in Deutschland erschienen. Verantwortliche ist die Antirassismusbeauftragte der Bundesregierung, Frau Alabali-Radovan. Der Lagebericht trägt den Titel: „Rassismus in Deutschland: Ausgangslage, Handlungsfelder, Maßnahmen“. Erscheinungsdatum ist der 11. Januar 2023, womit die Veröffentlichung auf eine Zeit fällt, in der es sich beinahe erübrigt, auf die gesamtgesellschaftlichen Sorgen hinzuweisen – den Angriffskrieg von Russland auf die Ukraine, die Post-Corona-Zeit, die Inflation und die Energiekrise. Doch gerade in Krisenzeiten müssen Betroffene von Rassismus und Diskriminierung besonders geschützt werden. Ob das der Fall ist, versucht der Lagebericht mit Hilfe von wissenschaftlichen Erkenntnissen, Daten zu Rassismusvorkommnissen und der Darstellung von Gegenmaßnahmen zu beantworten.
Analyse verschiedener gesellschaftlicher Handlungsfelder
Ausgangslage ist, dass Rassismus in Deutschland allgegenwärtig ist. Laut Umfragen erkennen 90% der Bevölkerung an, dass Rassismus ein Problem in Deutschland ist, und etwa zwei Drittel haben ihn selbst bereits direkt oder indirekt erfahren. Die Erscheinungsformen von Rassismus in Deutschland sind divers: es gibt Anti-Schwarzen Rassismus, Antimuslimischen Rassismus, Antiziganismus und Antiasiatischen Rassismus. Zudem existiert Antisemitismus, der als eigenes Phänomen mit Schnittmengen zum Rassismus gilt.
Neben dieser Kategorisierung der Arten von Rassismus nimmt der Lagebericht eine Analyse diverser gesellschaftlicher Handlungsfeldern vor. Es handelt sich dabei um die Bereiche Polizei, Schule, Hochschule, Ausbildung und Arbeitsmarkt, öffentliche Verwaltung, Gesundheit, Politik, Wohnungsmarkt und Sport. Der Lagebericht zeigt zunächst die existierenden Rassismusprobleme in den Handlungsbereichen auf. Sodann beschreibt er die bereits ergriffenen Gegenmaßnahmen und präsentiert weitere Lösungsansätze für eine positive Fortentwicklung.
Zunächst werden die Missstände im Bereich der Polizei hervorgehoben. Immer wieder berichten Menschen von Rassismus im Polizeialltag. Besonders problematisch ist die Praxis des sogenannten Racial Profiling, bei der die Polizei aufgrund rassistischer Klassifikationen gegen Betroffene einschreitet.
Diese Vorgehensweise ist in Deutschland rechtswidrig und verboten. Dennoch gibt es reichlich Anhaltspunkte dafür, dass Racial Profiling in deutschen Polizeibehörden stattfindet – das befand sogar die Europäische Kommission im Rahmen einer selbst angestellten Analyse. Um dies zu ändern, fordern Experten eine bessere Aus- und Fortbildung der Polizei sowie die Einrichtung unabhängiger Beschwerdestellen. Außerdem bleibt die Hoffnung, dass die geplante Novellierung des Bundespolizeigesetzes dazu beitragen wird, strukturelle Probleme in der Polizei zu beseitigen.
Ob das gelingen wird, ist zweifelhaft – tendieren doch aktuell vor allem Landesgesetzgeber dazu, Polizeigesetze mit nachteiligen Folgen für die Bevölkerung zu verschärfen (z.B. die für verfassungswidrig erklärte Datenanalysesoftware in Hessen und Hamburg, das Wegfallen der Kennzeichnungspflicht von Polizisten in NRW und Bayern, die sogenannte Präventivhaft in Bayern, das unter Strafe stellen der filmischen Aufnahme von Polizeieinsätzen usw.).
Überwindung von rassistischer Diskriminierung durch Bildung
Schule ist ein weiteres wichtiges gesellschaftliche Handlungsfeld, in dem Rassismus vorkommt und belastend für die Betroffenen ist. Diskriminierende Praktiken im deutschen Bildungssystem tragen dazu bei, dass Kinder und Jugendliche mit Einwanderungsgeschichte oder Migrationshintergrund benachteiligt werden.
Rassistische Diskriminierung geht dabei nicht nur von Mitschülern aus (z.B. in Form von Mobbing), sondern auch von Lehrkräften und den Lehr- und Lernmaterialien selbst. Damit diese Diskriminierung einen nachhaltigen negativen Effekt auf die Schülerinnen und Schüler hat, muss sie nicht einmal absichtlich erfolgen – auch ein unbeabsichtigtes Handeln (z.B. indem einem Schüler mit Migrationshintergrund allein aufgrund seiner Herkunft weniger zugetraut wird) kann den Bildungsweg beeinflussen. Um dies zu ändern, müssen Migration und Integration angemessen in die Lehrpläne einfließen und Lehrmaterialien die gesellschaftliche Realität und Vielfalt abbilden. Es ist notwendig, Lehrkräfte und Schulen entsprechend zu schulen und gleichzeitig für die Betroffenen unabhängige Beratungsangebote einzurichten.
Auch im Rahmen von Ausbildung und Arbeitsleben ist Rassismus ein relevantes Thema. Es ist belegt, dass im Bereich der Ausbildung vor allem Diskriminierungen wegen einer (zugeschriebenen) Herkunft aus Nahost und Nordafrika (MENA-Region) oder der Türkei stattfinden. Auf dem Arbeitsmarkt haben es besonders Musliminnen, die ein Kopftuch tragen, schwer. Auch Menschen muslimischen Glaubens generell und Schwarze Menschen sind einem höheren Diskriminierungsrisiko ausgesetzt.
Diese Diskriminierungen äußern sich auf diverse Weisen: Einladungen zu Vorstellungsgesprächen bleiben aus, es finden rassistische Diskriminierungen am Arbeitsplatz selbst statt, es werden keine Angebote zu Weiterbildung gemacht, usw. Auch in diesem Handlungsfeld braucht es ein aktives Gegenwirken. Unternehmen können öffentlich eine stärkere Haltung gegen Rassismus zeigen, es können Verhaltenskodizes aufgestellt, das Angebot von Weiterbildungsmaßnahmen ausgeweitet und unabhängige Anlaufstellen eingerichtet werden.
Rassismus in besonders sensiblen Bereichen: Gesundheit und Wohnen
In ähnlicher Weise findet rassistische Diskriminierung im gesellschaftlichen Handlungsfeld Wohnungsmarkt statt. Betroffene erleben sowohl als Wohnungssuchende als auch als Mieter*innen diskriminierende Situationen. Sie bekommen häufig schon keinen Termin zur Wohnungsbesichtigung oder zahlen eine höhere Miete für gleiche oder geringere Wohnqualität.
Ein zunehmendes Problem stellen außerdem sog. Schattenmärkte dar, die Betroffene in überbelegten und heruntergewirtschafteten Immobilien unterbringen. Ein effektives Maßnahmenpaket zu finden, stellt sich als schwierig dar – immerhin sind Vermieter*innen meist Private, was den Zugriff und die Regulierung erschwert. Dennoch – auf der einen Seite muss daran gearbeitet werden, Vermieter*innen für ihr eigenes diskriminierendes Verhalten zu sensibilisieren. Auf der anderen Seite müssen Betroffene mit Information, Hilfe und Unterstützung versorgt werden.
Eine starke Belastung stellt außerdem die Diskriminierung im Gesundheitswesen dar. Einerseits ist der Zugang zur Gesundheitsversorgung vor allem für Migrant*innen erschwert, da er sich heutzutage häufig noch an ihrem Aufenthaltsstatus misst. Ärztlich Einrichtungen sind dazu verpflichtet, ihren Meldepflichten an die zuständigen Ausländerbehörden nachzugehen, sobald jemand eine Behandlung beansprucht. Viele Menschen suchen deshalb aus Angst vor einer Abschiebung keinen Arzt auf.
Andererseits ist die gesetzlich vorgeschriebene Versorgung selbst auf ein Minimum beschränkt – was die Qualität der Gesundheitsversorgung erheblich beeinträchtigt. Neben „Zugang“ und „Qualität“ sind Stereotypisierungen, Beleidigungen, Benachteiligungen bei Behandlungen und Verweigerungen von Leistungen signifikante Probleme, die sich im Gesundheitswesen auftun. Darüber hinaus können Rassismus und Diskriminierung auch zu psychischen Krankheiten führen. Lösungsansätze sehen z.B. mehrsprachige Informationsangebote, eine elektronische Gesundheitskarte und Sprachmittlung mithilfe digitaler Anwendungen vor.
Weitere Handlungsfelder sind Sport, öffentliche Verwaltung, Politik und Hochschulen. Wichtig sind diese gleichermaßen – die Belastung und Relevanz für die Betroffenen ist jedoch im Vergleich zu den oben dargestellten Handlungsfeldern etwas herabgesetzt. Deshalb sieht dieser Bericht von einer eingehenderen Darstellung ab.
Erkenntnisse aus dem ersten Lagebericht und Maßnahmen der Bundesregierung und der Antirassismusbeauftragten
Die Ergreifung von antirassistischen und antidiskriminierenden Maßnahmen stellt sich wohl in solchen Handlungsfeldern als schwierig dar, in denen es sich um institutionalisierte Bereiche handelt (Polizei) und der Umgang mit einzelnen privaten Personen erforderlich wird (Vermieter*innen, Lehrkräfte, Ärzt*innen usw.). Demgegenüber wirkt die Durchführung von effizienten Maßnahmen in den Bereichen Schulsystem, Gesundheitssystem und Arbeitsmarkt etwas erreichbarer.
Es wird außerdem deutlich, dass vor allem die Einrichtung von unabhängigen Beratungsangeboten und Anlaufstellen für die Betroffenen entlastend auf diese wirkt. Wiederholt hervorgehoben wird zudem, dass es häufig an einer verlässlichen Datenbasis zu rassistischen Vorkommnissen in den jeweiligen gesellschaftlichen Handlungsfeldern fehlt. Das erschwert eine effektive Bekämpfung von Rassismus. An der Schließung dieser Lücke arbeitet der Lagebericht. Er bietet einen informativen Überblick hinsichtlich der aktuellen Lage, auf den weitere Entwicklungen aufbauen können.
Der Lagebericht endet mit einer Aufzählung der bereits ergriffenen Maßnahmen. Zunächst listet er elf Maßnahmen der Bundesregierung auf. Sie rangieren von Aktionsplänen und Maßnahmenpaketen zu Gesetzesentwürfen und Gesetzesnovellierungen. Im Anschluss stellt die Antirassismusbeauftragte die von ihr ergriffenen Maßnahmen vor. Es handelt sich dabei besonders um die Koordinierung der Maßnahmen der Bundesregierung und der Initiierung eines ministerienübergreifenden Austauschs über Rassismus.
Ein weiterer Fokus liegt sodann auf der Unterstützung von Betroffenen – insbesondere durch Einrichtung von Beratungsstellen, Plattformen, Förderungsangeboten, etc. – aber auch von ehrenamtlich Engagierten und kommunalen Entscheidungsträgern. Ob und wie sich diese Maßnahmen bewähren, werden wir im nächsten Antirassismusbericht überprüfen können.