Abdullah Alqaseer: „Im Film kritisiere ich Klischees“

Der Kurzfilm ADNAN von Abdullah Alqaseer thematisiert Diskriminierung und Stereotypen. Im Interview sprechen Abdullah und Hauptdarsteller Omar Shalash über die filmische Umsetzung von Rassismus und welche Rolle ihre eigenen Fluchtgeschichten im Film spielen.

Der 24-minütige Film ADNAN des syrischen Schriftstellers und Regisseurs Abdullah Alqaseer mit Omar Shalash in der Hauptrolle und Regieassistenz, thematisiert Rassismus und setzt sich mit vielen diskriminierenden Stereotypen auseinander. Allerdings rückt er auch andere Vorurteile in den Fokus, die sonst in der Gesellschaft wenig sichtbar sind. Die Erstellung des Films war ein gemeinsames Projekt. Abdullah schrieb das Drehbuch und Omar Shalash (Protagonist und Regieassistent) lektorierte und übersetzte es ins Deutsche. Ihr ständiger Gedankenaustausch und die gemeinsamen Diskussionen führte sie zu einem Film, der stereotypischen Klischees mit filmischen Mitteln gegenübertritt. 

 

Auch hier bedienen wir uns des journalistischen Klischees und fragen: Woher kam die Idee? 

Die Aufgabe des Schriftstellers ist laut Abdullah* eine aktive Auseinandersetzung mit dem Thema. Dabei beschäftigt sich dieser mit den verschiedenen Nuancen des Films. Er nutzt seine Vorstellungskraft, um die Inspiration in eine konkrete Idee zu verwandeln. Hierbei werden Elemente miteinander kombiniert, verändert oder neu interpretiert, um etwas Einzigartiges zu schaffen. Es geht uns darum, eine legitime Welt zu schaffen.

Im Kern geht es dann im Zentrum um das Handwerk eines Regisseurs bzw. Schriftstellers, indem er Spannungen aufbaut und das Publikum mit unbekannten Lösungen und Auflösungen konfrontiert. Und für die Behandlung des Films ist wichtig: Rassismus ist etwas, was filmisch nicht selten thematisiert wurde. Aber die wichtigste und herausforderndste Frage für jeden Schriftsteller bleibt: Wie gehe ich mit diesem Thema um? 

 

Hast du eine Antwort auf die Frage gefunden, wie man mit bereits bekannten Filminhalten umgehen und daraus etwas Neues kreieren kann? 

Abdullah hat sich vor dem Drehbuchschreiben mittellange bis lange Spielfilme angesehen. Er möchte dabei nicht pauschalisierend sagen, dass viele dieser Filme „ausgelutscht“ sind. Allerdings behandelten sie Rassismus in Teilen auf eine sehr unschöne Art. Die Ideen stammen dabei laut Abdullah von bestimmten Subthemen, die mit Rassismus in Verbindung stehen.

Dramaturgisch haben solche Filme einen bestimmten Aufbau, der mit einer rassistischen Auseinandersetzung beginnt. Als zweiten Schritt versucht der Regisseur, das Opfer dieser rassistischen Auseinandersetzung zu einem Helden zu machen. Man zeigt, dass das Opfer von Rassismus ein normaler Mensch ist. Und dies ist für Abdullah das Toxische bzw. Giftige in diesen Filmen gewesen. Genau diesen dargestellten Umgang wollte er mit seinem Film kritisieren und durchbrechen.

Die Anreihung solcher filmischer Gedanken führe zu Klischees in der Filmindustrie. Ein „Ausländer“ sollte sich nicht gegenüber einem „Inländer“ benachteiligt fühlen. Er muss sich nicht für seine Menschlichkeit rechtfertigen und ist genauso Mensch wie alle anderen. Genau hierauf möchte Abdullah eingehen, allerdings anders und im Kontrast zu anderen Filmen. 

 

Es geht also darum, filmisch auszudrücken, dass wir uns alle gegenseitig ganz selbstverständlich annehmen sollten? 

Laut Abdullah sollte man einen Menschen so annehmen, wie er ist, selbst wenn Klischees vorhanden sind. Wichtig ist zu betonen, dass diese Klischees sich von der Wirklichkeit bzw. Realität abheben. Die Faust am Ende des Films war Ausdruck eines Protestes, Menschen in klischeehafte Schienen, Zwänge oder Strukturen zu pressen. Manche Menschen bringen bei der Produktion dieser Filme „ihre eigene, kurzsichtige Gedankenwelt“ ein und haben einen großen Einfluss auf das Werk, wobei der Autor oder Regisseur die Hoheit über die Erstellung des Filmes hat. 

 

Hast du die Erfahrungen gemacht, dass westliche Regisseur*innen versuchen, Leuten, die nicht westlichen Klischees entsprechen, bestimmte Rollen etwa des Opfers oder der Held*innen zuzuweisen? 

Abdullah glaubt, dass es nicht sinnvoll ist, Regisseure und Künstler in den Westen und Osten zu unterteilen. Die künstlerische Vision ist von Regisseur zu Regisseur unterschiedlich und nicht von Kontinent zu Kontinent. Laut Abdullah sind solche Stichworte wie „Opfer“ zentral für die Werkzeuge bei solchen Filmen. Allerdings sind alle Menschen „Opfer“. Ein gutes Beispiel dafür ist der Musikinstrumentenbauer in dem Film.

Er ist Schauspieler, aber auch Geflüchteter. Letzteres ist für den Zuschauer nicht sofort sichtbar bzw. nur zwischen den Zeilen. Der Musikinstrumentenbauer ist dreifach Geflüchteter, da er aus Palästina stammt und über Syrien nach Deutschland geflüchtet ist. Und der Regisseur ist ein reiner Syrer, der „sich jetzt nicht noch die Meinung von eingebildeten Idioten aus dem Flüchtlingslager anhören muss“. In der deutschen Übersetzung ist diese Aussage nicht so ohne weiteres zu erkennen. Im Film rastet der Schauspieler aus und versucht sein Recht einzufordern, anerkannt zu werden. 

 

Auf welche Arten wird Rassismus denn im Film thematisiert? 

Man muss den Mut haben, über all die Aspekte zu sprechen, die Rassismus in der Welt verbirgt, findet Abdullah und stimmt damit Doudou Diene zu, der sagt: „Rassismus gedeiht dort, wo er geleugnet wird.“ Das lässt sich, wie Abdullah sagt, auch aus Situationen in Syrien ableiten, da es dort zwischen verschiedenen Gruppen, Reibungspunkte und Auseinandersetzungen gibt.

Es sind laut Abdullah die palästinensischen Geflüchteten, die seit 1948 in Syrien leben und das schon in der 3. bzw. 4.Generation. Diese Geflüchteten haben zwar Freundschaften und sind gut integriert, allerdings bilden sie aus der Sicht der gesamten Gesellschaft betrachtet Subgruppen. Aber auch in Deutschland hat man laut Abdullah den Blick auf eine Minderheit, wenn man Syrer ist. Zwar ist die Integration auf einem guten Niveau, aber man ist eine Minderheit. Der Film soll Rassismus in seiner Form delegitimieren und diesem sozusagen „keine Chance geben“. Und dabei muss man sich klar sein, dass es rassistische Strukturen in allen Ländern der Welt gibt. 

 

Hast du noch weitere Filme nach dem Stil geplant, die ähnlich sind? 

Dieser Film Adnan ist durch die Kooperation zwischen dem VEMO Halleschen Verein (der sich u.a. Thematiken wie Flucht widmet) und Abdullah entstanden. Die Idee sei gewesen, mehrere Filme zu drehen, aus denen dieser Film entstanden sei. Auf der anderen Seite arbeitet Abdullah gerade an einem anderen Spielfilm über Syrer, die geflüchtet sind, aber noch stark geistig in ihrer Heimat verwurzelt sind.

Für viele Deutsche sei nicht klar, welche Bedeutung die aktuellen Ereignisse wie das Erdbeben für die in Deutschland lebenden Syrer haben. Man muss sagen, das sind Dinge, die sich anfühlen, als wären sie um die Ecke gewesen, obwohl man als Geflüchteter in Deutschland und nicht in Syrien ist. Diese Themen sind seit der Revolution 2011 besser geworden, bewegen den Syrer aber immer noch. Sie beschäftigen ihn immer noch wie vor 2011. 

 

Was war denn bei der Erarbeitung der Figuren wichtig, um diese tiefen Empfindungen darzustellen? 

Die Arbeit an der Figur des Films Adnan war die schwierigste Aufgabe von Abdullah und mir, weil Adnan Transformationen in seiner Persönlichkeit durchmacht, und diese Transformationen erfordern einige Veränderungen in der Natur des Charakters. Was von uns auch gut vorbereitet wurde, war die Schlussszene. Diese Szene konnte mit nur einem Shot erfolgreich gedreht werden. 

 

Und wie bist du dazu gekommen, als Schauspieler in diesem Film mitzuwirken? 

Abdullah und ich saßen oft im Schrebergarten und überlegten, einen Film zu drehen. Ich bin selbst Filmemacher und habe Abdullah durch einen der letzten Dokumentarfilme kennengelernt. Viele Ereignisse und Orte im Film verbinden Abdullah und mich. Im Film kommt das Instrument der Oud vor. Abdullah spielt die Oud und ich baue das Instrument, zum anderen ist der Drehort des Ateliers in dem Film auch in der Realität mein Atelier. Ich sah die Mitarbeit in dem Film als Überzeugung an. Die Sympathie zwischen mir und Abdullah zeigt sich auch darin, dass Abdullah mich von vorneherein für die Rolle vorgesehen hatte. Dabei ist sehr viel auch persönlicher Sympathie zu verdanken. 

 

Inwieweit hat deine persönliche Geschichte die Darstellung der Rolle beeinflusst? 

Zum einen hat Abdullah mich für die Hauptrolle vorgesehen und zum anderen habe ich einen starken Bezug zu Deutschland. Ich bin seit 2010 hier, habe hier studiert und eine Familie gegründet. Zum anderen leben seine Erzählungen von der Darstellung der Heimat, vor allem wenn es um Arabisch geht. Und in diesem Kontext treffen wir uns beide.

Ich stamme ursprünglich aus dem Norden Palästinas. Der Besuch Syriens ist daher für mich immer ein großer Traum gewesen. Die Möglichkeit mit einem berühmten syrischen Schauspieler wie Bassam Daoud zusammenzuarbeiten, war für mich daher ebenfalls wie der Besuch Syriens immer nur ein Traum. Und dann am Set zu stehen und zu drehen ist dann eine Vorstellung gewesen, die Wirklichkeit geworden wäre. Abdullah und ich teilen gemeinsame Assoziationen, was beispielsweise die Wahrnehmung ihrer Herkunftsdörfer angeht. Von der Bedeutung her, ging es darum Grenzen zu überwinden bzw. zu sehen, dass es eigentlich keine gibt. Und der Film Adnan ist dabei ein konkretes Format, an dem wir beide angefangen haben, zu arbeiten. 

 

*Im Interview spricht überwiegend Omar, der die Antworten von Abdullah aus dem Arabischen ins Deutsche übersetzt hat.

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Jannik studiert seit 2019 Politikwissenschaften im Bachelor an der Uni Hamburg. Seit November 2022 ist er als journalistischer Praktikant bei kohero. „Ich interessiere mich vor allem für interkulturelle Begegnungen, Flucht und Migrationsgeschichten.“

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Aus der Schulkantine der Kunsthochschule Als ich noch an der Kunsthochschule studierte, habe ich von Zeit zu Zeit in der Schulkantine gejobbt. Unser französischer Chef-Koch zauberte unglaublich tolle Gerichte – wahre Mensa-Delikatessen! Sogar die Mitarbeiter des NDR und Uni-Studenten speisten ab und zu bei uns in der Schulkantine. Ein Gericht ist mir besonderes in Erinnerung geblieben und ich koche das bis jetzt immer gerne für meine Familie: Artischocken mit Zitronenmayonnaise Im Grunde ist die Artischocke eine distelartige Blume, man nennt sie auch Blütengemüse. Gegessen werden die fleischigen Hüllblätter und der Boden der Knospe (Artischockenherz). Wird die Artischocke nicht rechtzeitig geerntet, dann wachsen aus der Knospe wunderschöne violette Blütenblätter. Also, zuerst den Stiel mit einem scharfen Messer und das obere Drittel von den Hüllblätter mit einer Schere abschneiden. Die Artischocke waschen und in gesalzenem, mit einigen Spritzern Zitronensaft gesäuerten Wasser ca. 40 Minuten kochen. Dass sie gar ist, erkennst du daran, dass sich die Blätter leicht lösen lassen. Inzwischen wird die Zitronenmayonnaise zubereitet: Ganz einfach fertig gekaufte Mayonnaise mit Zitronensaft nach Geschmack verfeinern. Wie man sie isst Die Blätter der Artischocke werden nicht einfach gekaut und heruntergeschluckt! Stattdessen ziehst du jedes einzelne Blatt, mit Zitronenmayonnaise benetzt, durch deine Zähne und isst den fleischigen unteren Teil davon. Arbeite dich Blatt für Blatt von außen nach innen, bis du das Herz des Gemüses erreichst. Dieses ist mit so genanntem „Heu“ bedeckt. Dieses solltest du nicht mitessen, sondern vorsichtig entfernen. Das Innere der Artischocke, also den Blütenboden isst man dann mit Messer und Gabel. Vergiss auch hier nicht die Zitronenmayonnaise. Genuss ist ein Muss! Eure Genia L.

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Rezenzion zu Nat Isabel: Hot Mixed Girl (2023)

Im Buch finden viele Prozesse gleichzeitig statt: Man stößt neben der Dekonstruktion (Aufzeigen von Diskurs), im ersten Teil, auf eine allmähliche Rekonstruktion (zeithistorische Aufarbeitung des Schwarzseins in einem deutschen Kontext) und schlussendlich auch eine Konstruktion (Analyse anhand der eigenen Erfahrung) der Autorin Nat Isabel von sich selbst und ihrer Geschichte, das jedoch im zweiten Teil. Hierin wird das Kernthema – die Existenz im weiblichen Schwarzen Körper in Deutschland – ontologisch subjektiviert. Die Autorin führt diesen Prozess anhand ihrer eigenen Person durch (subjektiv), wobei sie eine einzigartige Diskursübersicht anbietet (objektiv). Vom Objekt zum Subjekt In diesem beidseitigen Kontext wird ein ganzes ,,Portfolio“ an Themen diskursiv neu verhandelt, grundlegend sowie gegenwartsbezogen vertieft, so dass dabei gleichzeitig auch ein ablesbarer Emanzipationsprozess eingeleitet wird. Hierbei geht die Autorin den Weg vom Objekt zum Subjekt, von der Theorie in die Praxis, womit sie eine erkenntnistheoretische Pionierarbeit darlegt. Der einerseits wissenschaftliche und objektive Blickwinkel wird durch etwas Neues ergänzt: eine Komponente der Fallstudie, die sich mit der Belletristik vermischt, somit einen Meilenstein in der Wissensproduktion darstellt. Andererseits erzielt Nat Isabel mit ihrer Arbeit eine Transnationalisierung, indem sie den aufgearbeiteten Diskurs in der deutschen Historie verortet. Diesen diskursiven Zusammenhang verantwortet sie auch bewusst bis zu einem zielführenden Punkt, dass sie sogar aufkommende bzw. kontextuelle Fragen diversifiziert beantworten kann. Hierzu werden gleichzeitig auch urbane Phänomene aus anderen nationalen Kontexten herangezogen. Während Sie in einer tatsächlichen bahnbrechenden Leistung sowohl Argumente als auch Analysen zusammenführt, um es letztlich in einer zentralen Achse zu sortieren, welche zuvor voneinander isoliert waren. Des Weiteren bedient sie sich vieler nicht-deutschsprachiger Quellen. Zumal es in deutschsprachigen Literaturquellen an wissenschaftlicher Aufarbeitung zum Themenspektrum mangelt. Dagegen bemüht sich die Autorin um eine ehrliche Stimme, die oftmals eine nicht weiße, männliche Leserschaft impliziert. Diesen mutet sie trotzdem durch das vorliegende Werk auch mehr historische Verantwortung sowie persönliche Reflektion

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Kategorie & Format
Jannik studiert seit 2019 Politikwissenschaften im Bachelor an der Uni Hamburg. Seit November 2022 ist er als journalistischer Praktikant bei kohero. „Ich interessiere mich vor allem für interkulturelle Begegnungen, Flucht und Migrationsgeschichten.“

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