Wer sich ein wenig mit dem indischen Kino auskennt, der wird sicherlich schon mal von „Sholay“ gehört haben. Dieser „indische Western“ von Regisseur Ramesh Sippy aus dem Jahr 1975 zählt heute zu den erfolgreichsten und auch einflussreichsten indischen Filmen aller Zeiten. Viele Szenen und Charaktere aus „Sholay“ (zu Deutsch: Flammen) haben schon längst einen Kultstatus erreicht und werden bis heute mit Respekt und Liebe parodiert, in zeitgenössischen Filmen, indischen Werbungen, Award-Show-Segmenten. Dabei ist „Sholay“ selbst kein äußerst origineller Stoff gewesen – er ist unter anderem von Klassikern wie „Die sieben Samurai“ oder „Spiel mir das Lied vom Tod“ von Akira Kurosawa und Sergio Leone aus den 50ern und 60ern inspiriert.
Und doch kann man „Sholay“ nicht als irgendein Remake abstempeln, oder als billige Kopie, dafür hat der Film einen viel zu hohen Legendenstatus in der Geschichte des Weltkinos. Klar hat man sich hier und da an filmischen Motiven aus dem Westen bedient, aber daraus wurde ein durch und durch neues, einzigartiges Werk geschaffen. Und das alles haben wir vor allem zwei Männern zu verdanken: Salim Khan und Javed Akhtar.
Als Autorenduo Salim-Javed sind die beiden für viele ikonische Bollywood-Streifen verantwortlich. Neben „Sholay“ wären da noch: „Zanjeer“, „Deewar“, „Trishul“, „Don“ (das Original mit Amitabh Bachchan, nicht das Remake mit Shah Rukh Khan), „Shakti“ und weitere solcher Hits. Ihre Filme zeichneten sich vor allem durch die Figur des „Angry Young Man“ aus, der in den 70er Jahren die Unzufriedenheit und den Zorn des durchschnittlichen indischen Bürgers über verschiedene Missstände in der Gesellschaft ansprach. Mit Amitabh Bachchan fand man den perfekten Schauspieler für seine Verkörperung.
Eigentlich war es zur Blütezeit von Salim Khan und Javed Akhtar überhaupt nicht üblich, dass Drehbuchautorinnen wie Stars behandelt wurden und einen genauso hohen Stellenwert hatten wie ihre Regisseurinnen oder Schauspielerinnen. Aber die beiden waren einfach anders und sorgten dahingehend für eine Revolution (die übrigens bis heute nicht wiederholt wurde, Drehbuchautorinnen in Indien sind heute keine großen Namen mehr). Es war vor allem das „Salim-Javed“ auf den Filmpostern, was die Zuschauer*innen dazu brachte, ein Ticket zu kaufen. Denn ein Salim-Javed-Film war immer ein Highlight. Und nicht nur in Indien übrigens. Danny Boyles „Slumdog Millionaire“, der bei den Oscars 2009 gleich achtmal ausgezeichnet wurde, nutzte Filme wie „Deewar“ und Amitabh Bachchans „Angry Young Man“ Persona als Referenz.
Anfang der 80er trennten sich Salim und Javeds Wege. Aufmerksame „roots and reels“-Leser*innen werden vielleicht bemerkt haben, dass diese Namen schon in vorherigen Ausgaben gefallen sind. Salim Khan ist nämlich der Vater des berühmten Schauspielers Salman Khan, Javed Akhtar ist der Papa von Zoya und Farhan Akhtar, beides ebenfalls Filmemacher, die Nepo-Babies lassen wieder einmal grüßen. Und sie kommen nun zusammen, um für „Angry Young Men“ (auf Prime Video verfügbar) über das Phänomen „Salim-Javed“ zu sprechen. Allen voran die zwei Herren selbst natürlich, heute jeweils 88 und 79 Jahre alt.
Die dreiteilige Doku von Namrata Rao, die eigentlich als Cutterin bekannt ist, gibt wertvolle Einblicke in die Entstehungsgeschichte aller Salim-Javed-Arbeiten: wie die beiden zueinander gefunden haben, wie sie dafür gesorgt haben, dass sie als Drehbuchautoren ernst genommen werden. Und auch, wie sie privat miteinander und wie sie mit ihren Familien gewesen sind. Es ist eine sehr gut gemachte Serie geworden und interessant für alle, die etwas mehr über indische Filmgeschichte erfahren wollen. „Angry Young Men“ erinnert an eine (bessere) Zeit und an ein indisches Kino, das so leider nicht mehr existiert. Viele der Filme von Salim-Javed sind übrigens auf YouTube verfügbar, mit Untertiteln. Wer nach der Sichtung der drei Folgen Lust bekommt …
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