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3 Min. Lesezeit Persönliche Geschichten

Mohamed Chahrour: Brücken bauen und Geschichten erzählen

Mohamed Chahrour: Brücken bauen und Geschichten erzählen

„Da, wo ich herkomme, ist den meisten bewusst, dass es nicht zu mehr reichen wird als einen Amazon Lieferwagenfahrer“, sagt Mohamed Chahrour. Für ihn hat es zu mehr gereicht: Mohamed hat den Podcast „Clanland“ produziert, gemeinsam mit dem Hip-Hop Journalisten Marcus Staiger, den er nur „Staiger“ nennt. Außerdem ist er Schauspieler, schreibt gerade an einer Serie und komponiert klassische Musik. Mohamed ist aber auch das sechste von acht Kindern einer Familie, die Ende der 1980er Jahre vor dem Bürgerkrieg im Libanon floh.

In Zehlendorf, einem ziemlich bürgerlichen Berliner Viertel, verbringt Mohamed eine „ganz normale Unterschichtkindheit“. In seiner Grundschulklasse gibt es nur eine Türkin, „und die hat auch noch Schweinefleisch gegessen. Der sechsjährige Mo war völlig fertig mit der Welt.“ Mohamed lernt in der Schule, dass andere Kinder nicht ihren Aufenthalt verlängern müssen und außerdem nicht wissen, was Ratenzahlungen sind. „Da gab’s ein bisschen culture clash“, erklärt er grinsend.

Denn seine Onkel und Tanten sitzen auf noch gepackten Koffern in einem fremden Land. Wenn die Abschiebung kommt, wie viel Zeit gibt es dann überhaupt zum Packen? Gerüchte kursieren, man nähme ihnen vor der Abschiebung noch die Kinder weg. „In vielen Köpfen sind die Koffer bis heute nicht ausgepackt“, erklärt Mohamed. Denn Koffer auspacken, das bedeutet auch: mit der Heimat abschließen.

"Wir Chahrours sind nicht so anders"

Mit 13, 14 hängt Mohamed viel in Spandau rum, ein Ort, den die Polizei zu einem „kriminalitätsbelastetem Ort“ erklärt. Das bedeutet: Die Polizei darf willkürlich Menschen und Orte kontrollieren und durchsuchen. Und das wiederum bedeutet: Mohamed und seine Freunde, eigentlich noch Kinder, werden nun mehrmals am Tag ohne Anlass oder Erklärung von Polizeistreifen kontrolliert. Sie machen sich einen Spaß daraus: „Wenn die uns an die Wand gestellt und Fotos gemacht haben, haben wir denen gesagt: Ey, mach noch eins! Von dieser Seite!“

Mohamed wird oft gesondert kontrolliert, denn er heißt mit Nachnamen Chahrour. Eine Großfamilie, über die BILD und Co. titeln: „Araber-Clan soll Mann gekidnappt haben!“, oder: „Wer regiert wo? Die berüchtigtsten Clans in Deutschland!“.

Dass in Berlin lediglich 0,2 % aller Straftaten überhaupt der sogenannten Clan-Kriminalität zugeordnet werden können, dass auch Falschparken unter dem Namen Chahrour unter „Clankriminalität“ vermerkt wird, und der Begriff auf einem rassistischen Narrativ beruht, die eigentlich mittlerweile als widerlegt gelten sollte – geschenkt.

Doch nicht nur vonseiten der Polizei und der Mehrheitsgesellschaft werden Dinge in Mohamed und seine Familie projiziert. Auch seine Freunde sagen: Hey, was rennst du weg vor der Polizei? Du bist ein Chahrour, du solltest zu den Bullen hinrennen. „In einem Alter, wo es wichtig ist, krass und hart zu sein, war ich auf der Gangster Skala ziemlich weit oben“, erzählt Mohamed. „Aber ich bin nicht Pablo Escobar, ich bin nicht immun gegen Polizeischüsse. Ich mag’s auch nicht, wenn die mir Handschellen anlegen. Wir Chahrours sind nicht so anders.“

Warum Leute das trotzdem glauben? Mohamed zuckt mit den Schultern. Clanfamilien seien Projektionsfläche für jeden, der gerade Bock hat, zu projizieren. Noch bis heute wird Mohamed in Interviews gefragt, wie denn so das Leben in einer Clanfamilie ist. „Keine Ahnung, ich frühstücke und dann gehe ich zum Sport. Kinder rebellieren gegen ihre Eltern, Eltern verzweifeln an ihren Kindern. Tut mir leid euch zu enttäuschen, so anders als bei euch ist es nicht.“

„Erst dann wird man, unter Vorbehalt, akzeptiert"

Mohameds Leben wirkt wie ein Spagat zwischen Erwartungen, die eigentlich kaum zu erfüllen sind: Als er mit Musik und Theater beginnt, spürt Mohamed die Erwartung, die Unterschicht abzulegen. Wie alte Kleidung, aus der man rausgewachsen ist. Gleichzeitig erwartet das eigene Viertel, dass man ihm etwas zurückgibt, wenn man aufsteigt. Dass man nicht vergisst, wo man herkommt. Und dann noch sich „den Kanacken austreiben“, wie Mohamed es bezeichnet. „Erst dann wird man, unter Vorbehalt, akzeptiert. Dann ist man der, der nicht so wie die anderen ist.“

Aber diese Geschichten werden nicht erzählt. Kaum ein deutsches Medienhaus dreht Dokumentationen über unausgepackte Koffer, die unter den Betten warten. Oder über Menschen, die sich erst nach ihrem Tod den Wunsch erfüllen können, zurück in die Heimat zu kehren. Über Hoffnungen und Träume von Menschen, die nach Deutschland migrieren. Auch jene Hoffnungen, die enttäuscht wurden, vielleicht gerade diese.

Mohamed wählt provozierende Beispiele für die Berichterstattung deutscher Medien über Migrant*innen: „Jeder Journalist kann einen Koks-Taxifahrer mit meinem Nachnamen ausfindig machen. Euer Ernst? Aber einen ganz normalen Taxifahrer namens Chahrour konntet ihr nicht finden? Und weil zwei Hampelmänner in der Sonnenallee Baklava verteilt haben, ist das Leben meiner Familie im Libanon jetzt weniger wert?“ Vielleicht ist das polemisch. Vielleicht aber braucht es genau diese Polemik, um die Absurdität der Debatte um Migration, Integration und den Islam in Deutschland deutlich zu machen.

Mohamed hat es aufgegeben, irgendjemand etwas beweisen zu wollen.  Vielleicht ging es in der Berichterstattung über Familienclans oder muslimische Menschen ohnehin nie darum, sie zu verstehen, oder vielfältige Bilder von ihnen zu zeichnen. „Staiger hat mich bei so vielen Sachen abgeholt, indem er Brücken gebaut hat“, erklärt Mohamed. Dafür müsse man nicht mal bei allem einer Meinung sein. „Aber mach dir halt die Arbeit, dich mit dem anderen Menschen und seiner Geschichte auseinanderzusetzen.“

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